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sich außerdem in ihrem Innern aus. Nein! Sie wollte nicht mitgehen. Hilfesuchend sah sie Mathes an.

      »Lass sie in Frieden«, rief er. Er warf ihr einen besorgten Blick zu und zog an seinen Fesseln, bäumte sich auf, doch konnte sich nicht befreien.

      »Sei still!«, keifte der Mann. Er schubste Jonata vor sich her. Sie hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten.

      Was konnte sie tun? Wie sollte sie sich aus dieser Situation befreien? Sie dachte an damals, als dieser Widerling auf der Reise nach Sachsen sich an ihrem Körper hatte vergreifen wollen, und sie musste würgen. Säure kratzte ihren Rachen. Nein! Das würde sie nicht noch einmal mit sich machen lassen. Ihr Beutel hing immer noch an ihrem Gürtel. Darin befand sich ihr Messer. Das Messer ihres verstorbenen Bruders Lucas. Würde es ihr diesmal die ersehnte Rettung bringen? Bitte oh HERR, hilf mir, betete sie in Gedanken.

      Wie aus dem Nichts tauchte eine Hütte vor ihr auf. Eine eiskalte Hand umfasste ihr Herz. Jetzt war es so weit. Er brachte sie an einen Ort, an dem er ungestört mit ihr sein konnte. Von drinnen hörte sie nun das Schreien einer Frau. Dann war sie doch nicht die einzige Frau in dem Lager!

      Jonata wollte nach ihrem Messer greifen, aber der Mann riss die Tür auf und stieß sie ins Innere. Eine Frau lag am Boden, verschwitzt, in der Ecke drei Kerzen. Die Frau keuchte. Ihr Kleid war feucht zwischen den Beinen. Jetzt erst erkannte Jonata, dass sie hochschwanger war. Ihr Körper bäumte sich auf, sie stöhnte. Sie lag in den Wehen.

      »Hilf ihr«, sagte der Mann schroff.

      Jonata spürte ein Ziehen an ihrem Gürtel. Geschwind drehte sie sich um, doch der Kerl hatte ihr den Beutel mit dem Messer bereits abgeschnitten. Jetzt war sie wehrlos. »Was soll das?«, rief sie.

      Der Hüne trat hinaus und schlug die Tür hinter sich zu.

      Jonata blieb einen Augenblick wie versteinert stehen. Sie war keine Wehmutter, was sollte sie schon tun? Aber wahrscheinlich gab es keine weitere Frau in dem Lager. Sie riss die Tür auf und rief: »Ich brauche warmes Wasser, saubere Laken und mein Messer.«

      Der Mann drehte sich zu ihr um und starrte sie finster an.

      »Soll ich ihr nun helfen oder nicht?«

      »Wofür brauchst du das Messer?«, zischte er.

      »Für die Nabelschnur. Oder möchtest du sie durchbeißen?«

      Der Mann brummte unwillig, trat einen Schritt vor und baute sich vor ihr auf.

      Jonata hatte an Zuversicht gewonnen und stemmte die Hände in die Hüften. Die Wegelagerer waren auf sie angewiesen, und vielleicht wäre das Messer ihr Weg in die Freiheit.

      »Also gut. Sollst du bekommen.« Er gab ihr den Beutel zurück und verschwand in der Dunkelheit.

      Jonata betrat die Hütte. Die Frau krümmte sich unter einer Wehe, schrie und raufte sich die Haare. In der Ecke gab es eine Kiste mit einer Decke. Daneben befand sich eine karge Schlafstatt mit etwas Stroh. »Hilf mir!«, rief die Frau.

      Jonata versuchte, sich an Ells’ Geburt zu erinnern, doch bis auf die Pein verschwamm alles vor ihrem inneren Auge. Ein Satz der Wehmutter hatte sich jedoch in ihr Gehirn eingebrannt: »Sitzen ist besser als Liegen, Stehen besser als Sitzen und Laufen besser als Stehen.«

      »Kannst du aufstehen?«, fragte sie. »Lauf herum, solange es geht.«

      »Du hast gut reden«, keifte die Frau.

      Jonata trat näher und legte ihr eine Hand auf die Schultern. »Ich bin auch Mutter. Glaub mir, es wird helfen, dass dein Kind schneller in deinen Armen liegt.«

      Schwerfällig erhob sich die Frau. Sie war hübsch, hatte lange schwarze Haare und ein zartes Gesicht, das Jonata mehr an ein Kind als an eine Frau erinnerte. Vielleicht zählte sie sechzehn Lenze, möglicherweise siebzehn.

      Die Frau ging in der Hütte im Kreis, bis eine erneute Wehe sie übermannte, sie in die Knie ging und abwechselnd keuchte und schrie. Diese Schmerzen! Jonata konnte sich noch gut daran erinnern. Viele Frauen sagten, man würde die Qualen vergessen. Das konnte sie nicht bestätigen. Und sie hatte Angst davor, diese Tortur ein zweites Mal zu durchleben, wenn Gott sie wieder mit der Leibesfrucht segnen sollte. Aber der erste Schrei, das süße Gesicht des Neugeborenen würde sie für jede Wehe entschädigen.

      Der Mann kam zurück, brachte einen Eimer mit Wasser und ein paar Tücher. Er trat nah an sie heran, sodass sie seinen weinseligen Atem roch. »Mach keine Dummheiten mit dem Messer, oder dein Freund darf bald die Flammen im Fegefeuer zählen«, flüsterte er ihr ins Ohr. Seine Augen blitzten feindselig auf. Dann drehte er sich um und verschwand.

      Jonata atmete tief durch und wandte sich der Frau zu. Diese krümmte sich vor Schmerzen. Jonata wischte sich den Schweiß von der Stirn.

      »Wie heißt du?«, fragte die Frau nach einer Wehe. »Und woher kommst du?«

      »Jonata. Ich komme aus Wittenberg. Die Männer haben uns vorhin überfallen und hergebracht.«

      Die Frau nickte.

      »Und du?«

      »Marlein. Ich habe früher in Magdeburg gewohnt.«

      »Früher?«

      »Bevor …« Marlein wand sich erneut unter einer Wehe.

      Jonata legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Tief ein- und ausatmen. In den Bauch.«

      »Es tut so weh«, jammerte Marlein.

      »Jede Wehe bringt dich deinem Kind näher.« Sie hatte diesen Satz gehasst, als ihre Wehmutter ihn gesagt hatte, und doch fiel ihr nichts Besseres ein. »Darauf kannst du dich freuen!«

      »Ich freue mich nicht«, keuchte sie. »Ich will das verdammte Balg nicht haben.« Ihre Augen funkelten.

      Jonata schluckte. Eine Ahnung wuchs zu einem schauderhaften Gedanken heran. »Wie lange bist du schon hier?«

      Marlein spuckte aus. »Drei Jahre.«

      Jonata bekam eine Gänsehaut. »Wer ist der Vater?«

      »Das weiß ich nicht.«

      Jonata presste die Zähne aufeinander. Drohte ihr das gleiche Schicksal? Hatten sie ihr keinen Sack über den Kopf gezogen, weil die Männer sie behalten wollten?

      Womöglich ließen sie Mathes wieder laufen. Dann würde er zurückkehren und nach ihr suchen. Doch woher sollte er wissen, wo sich das Lager befand? Selbst sie würde den Weg nicht wiederfinden. Sie waren so lange durch die stockfinstere Nacht gelaufen, dass sie keine Anhaltspunkte hatte.

      Ein Schrei holte sie aus ihren Gedanken. Sie schaute nach, ob sie bereits das Köpfchen sehen konnte, doch das Kind war noch nicht so weit.

      Es dauerte noch Stunden, bis die Presswehen einsetzten, Marlein wurde immer schwächer. Sie blutete stark. Jonata fragte sich, ob das normal war. Hoffentlich würde das Neugeborene durchkommen. Auch wenn Marlein das Kind nicht haben wollte, würde Jonata es nicht ertragen, einen erblassten Säugling im Arm halten zu müssen.

      »Es drückt so«, jammerte Marlein.

      Endlich! Nun würde es nicht mehr lange dauern. Jonata forderte sie auf, bei der Wehe kräftig zu pressen. Bei der nächsten Wehe sah man das Köpfchen, und dann flutschte der ganze Körper eines Mädchens in Jonatas Hände. Es schrie laut auf und schien gesund zu sein. Jonata durchschnitt die Nabelschnur und legte den Säugling auf Marleins Brust, wie es ihre Hebamme damals bei Ells gehandhabt hatte.

      Marleins Gesichtszüge wurden weich, während sie ihr Kind betrachtete. »Meine Kleine, alles wird gut.«

      Jonata legte mehrere Tücher um das Neugeborene, damit es nicht fror. Marlein bot ihrer Tochter die Brust an. Nach einer Weile klappte es, und die Kleine fing an zu saugen. Was für ein Moment des Glücks! Doch verlor Marlein weiterhin Blut und wurde zusehends blasser.

      Die Nachgeburt kam mit einem regelrechten Blutschwall. Jonata legte ein Tuch unter Marlein, doch das löste das Problem nicht. Und nun? Sie sah Marlein an, die in den Anblick ihrer

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