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wenn sie schon Interessentinnen für die Schule hatte.

      »Also … unsere Schenke steht seit Längerem leer, und ich kann lesen und schreiben, und da dachte ich –«

      »Ihr wollt unterrichten?«, platzte es aus Seitz heraus.

      Wieso glaubten alle, sie wäre dazu nicht fähig? »Ich bin keine Magistra, aber Jonata hat mir das Lesen und Schreiben beigebracht. Es kann nicht so schwierig sein.«

      Es war wichtig, dass die Mädchen und Frauen der Stadt es ebenfalls lernten. Hätte sie es früher gekonnt, hätte sie vielleicht ihren Vater vor dem Tod bewahren können. Nach der Ermordung ihrer Mutter hatte ihn in kürzester Zeit die unerhörte Hustenkrankheit dahingerafft. Figen war zuvor mit dem Oktavheft ihrer Mutter zum Pfarrer gegangen und hatte ihn gebeten, daraus vorzulesen. Ihre Mutter hatte als Wehmutter darin ihr Wissen über Heilkunde und die Hebammenkunst festgehalten. Doch der Pfaffe hatte nur gelacht und das Buch in der Kutte verschwinden lassen. »Das geschriebene Wort ist nichts für Frauen«, hatte er gesagt. Wut kochte in Figen hoch, wenn sie an diese Begegnung dachte.

      »Habt Ihr je eine Schule besucht?«, fragte Seitz.

      Sie stemmte die Hände in die Hüfte. »Nein, aber ich will kein Gymnasium eröffnen, sondern die Mädchen das Lesen und Schreiben lehren. Mein Unterricht soll praktisch veranlagt sein, christlich gestimmt. Sie sollen Flugblätter und christliche Schriften lesen können.« Und nicht auf die Pfaffen angewiesen sein, fügte sie in Gedanken hinzu.

      »Ich sehe schon, das Vorhaben ist nicht mehr aus Euch herauszubekommen.« Er lächelte.

      »Würdet Ihr Eure Schwestern zu mir auf die Schule schicken?«

      »Meine Mutter wird begeistert sein, wenn Ihr ihnen das Lesen anhand von Luthers Schriften beibringt.« Er zwinkerte ihr zu.

      Ihr wurde warm ums Herz. Sie hatte ihn überzeugt, dann würde er sie sicherlich unterstützen. »Wenn Eure sechs Schwestern zum Unterricht kommen, lässt sich das einrichten.« Sie lächelte.

      »Ich glaube nicht, dass meine Mutter auf alle im Haus verzichten kann, aber ein paar werden sicherlich kommen.« Er grinste. »Ich glaube, die Beginen werden sich noch ärgern, ihre Zöglinge in den Garten geschickt zu haben.«

      ***

      »Wo gehst du hin, Mama?«, fragte Ells.

      Jonata umarmte ihre Tochter. »Das habe ich dir doch schon erklärt. Ich muss in meine alte Heimatstadt. Mein Vater ist gestorben, und ich möchte zur Beerdigung.«

      »Kommst du morgen wieder?«

      »Leider nicht. Es wird ein paar Tage dauern, aber ich werde mich beeilen.«

      Ells verzog den Mund, und die traurigen Augen brachen Jonata das Herz. Aber ihre Tochter würde in guten Händen sein. Cristina nahm Ells an die Hand und zog sie zu sich. »Komm, du kannst mir beim Brotbacken helfen.«

      »Au ja!«, rief Ells, hüpfte auf und ab und folgte der Magd ins Haus. Jonata schluckte. Sie vermisste ihre Tochter jetzt schon.

      Jonata führte ihre Stute zur Druckerei, dort wollte Mathes Roht auf sie warten, nachdem er ein paar Exemplare von Luthers Neuem Testament erworben hatte. Sie konnte es ihm nicht verübeln, auch wenn sie am liebsten schon vor Stunden aufgebrochen wäre. Nun hatte die Sonne den Zenit überschritten. Sie band das Pferd neben Mathes’ Stute an den Pfahl und betrat die Druckerei. Ihr schlugen die vertrauten Gerüche nach Papier und Druckerschwärze entgegen.

      Mathes stand mit Michael Lotter neben dem Setzkasten. An der Druckerpresse herrschte geschäftiges Treiben. Ein Mann legte das Papier ein, der spargeldünne Lehrling färbte mit den zwei Farbballen geschickt den Satz mit der Druckerschwärze ein, und ein muskulöser Hüne zog kräftig am Pressbengel. Sie liebte das Geräusch, wenn sich die Holzspindel senkte und das Papier gegen den eingefärbten Druckstock presste. So entstanden Schriften, Wissen und Freiheit.

      Dann fiel ihr Blick auf den kleinen Tisch. Und da lag es: »Das Neue Testament Deutsch« von Martin Luther. Jonatas Herz schlug einen Takt schneller. Sie trat näher heran, klappte das Buch auf und fuhr mit den Fingern über die verschnörkelte Initiale. Wie lange hatten die Menschen auf die Heilige Schrift in ihrer Sprache warten müssen. Wie lange hatte sie darauf gewartet!

      Sie nahm das Buch in die Hände und überblätterte die Vorrede, bis sie zum »Evangelion Sanct Matthes« gelangte. Am Anfang war ein Holzschnitt eingefügt, der einen Mann zeigte, der in einem Buch schrieb. Vor ihm stand ein Engel mit erhobenem Zeigefinger. Alles war in ein »D« als Anfangsbuchstaben gehüllt. Was für ein passendes Bild. »Djs ist das buch von der gepurt Jhesu Christi der do ist ein son Dauids des sons Abraham. Abraham hat geporn den Jsaac …«

      Simon kam ihr entgegengestürmt und schloss sie in die Arme. »Wie kann ich dich noch umstimmen?« Seine Stimme klang belegt.

      »Gar nicht.«

      Er drückte sie fest an sich. »Ich habe solche Angst!«

      »Brauchst du nicht. Vertrau auf Gott«, sagte sie, obwohl ein Teil seiner Angst auf sie übersprang. Sie wusste nicht, was sie in Köln erwartete, doch sie wollte sich nicht einschüchtern lassen. Sie würde findiger sein als ihr Bruder Enderlin und bald wieder nach Wittenberg zurückkehren.

      »Wie hat Ells es aufgenommen?«

      Jonata löste sich aus der Umarmung. »Sie glaubt, dass ich morgen wieder da bin, und war begeistert, als Cristina mit ihr Brot backen wollte.« Sie sah auf das Buch. »Können wir es uns leisten, Figen ein Exemplar zu schenken?«

      Simon nickte.

      Jonata strich über den Buchrücken. Sie träumte schon lange davon, das Neue Testament endlich einmal vollständig zu lesen. Bisher kannte sie nur Auszüge. Das Buch sollte eineinhalb Gulden kosten, doch als Arbeiter der Druckerei würde Simon es günstiger erhalten. Nur die wenigsten würden sich das leisten können.

      »Bleib nicht zu lange fort.« Simon drückte ihr einen Kuss auf die Stirn.

      Mathes trat zu ihnen. »Ich bringe dir deine Frau so schnell wie möglich wohlbehalten zurück.«

      Simon schlug dem Buchführer freundschaftlich auf die Schulter. »Ich verlasse mich auf dich.«

      Mathes zwinkerte ihm zu. »Hauptsache, sie sitzt so geschickt im Sattel, wie du erzählt hast. Denn nur, wenn wir schnell zu Pferde sind, werden wir schnell wieder hier sein.«

      »Daran wird es nicht scheitern«, sagte Jonata. »Hast du alle Schriften und Bücher, die du wolltest?«

      Mathes grinste. »Ich habe nie alle Schriften, die ich möchte, aber ich habe genug, um damit gute Geschäfte in Köln zu machen. Sollen wir?«

      Jonata wandte sich Simon zu, sah in seine verschiedenfarbenen Augen. Eins braun, eins grün. Sie konnte sich immer noch darin verlieren. Sie strich ihm ein paar lockige Strähnen hinters Ohr. »Sorge dich nicht zu sehr. Ells ist bei Cristina in guten Händen, und du wirst in den nächsten Tagen genug zu tun haben, dass die Zeit im Nu vergeht, bis ich wieder zu Hause bin.«

      »Wenn du zum heiligen Simon Zelotes nicht wieder hier bist, werde ich dich persönlich holen.«

      Das war am achtundzwanzigsten Oktober, also gab er ihr über einen Monat Zeit. Mehr würde sie nicht brauchen. Sie grinste. »Ist das eine Drohung oder ein Versprechen?«

      Er grinste ebenfalls. »Du weißt, dass ich dir niemals drohen würde.« Er senkte den Kopf und küsste sie. Seine Lippen waren warm und weich. Wie sehr sie seine Küsse vermissen würde.

      »Ich bin bald zurück«, flüsterte sie ihm ins Ohr.

      Sie trat mit Mathes aus der Druckerei, sah noch einmal zu ihrem Mann, der ihr traurig lächelnd nachblickte.

      »Dann mal los! Wir sollten keine Zeit verlieren«, sagte Mathes. »Ich habe mir schon überlegt, wo wir heute Nacht rasten, dafür müssen wir uns beeilen.«

      Das ließ sich Jonata nicht zweimal sagen, verstaute das Buch in dem Bündel, das sie an den Sattel gebunden hatte, machte ihre Stute los und schwang sich

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