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Der erste Russe. Lasha Bugadze
Читать онлайн.Название Der erste Russe
Год выпуска 0
isbn 9783627022655
Автор произведения Lasha Bugadze
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Als die Prozession der heiligen Nino dem Ende zuging und Vater Dawit mit der feierlichen Liturgie begann, sprang ausgerechnet jener Mann, der heilige Narr Gabriel, auf das Kirchenpodest, legte sich die riesigen Pranken auf die Brust und rief erst strahlend, dann erzürnt, der Teufel habe auf einem weißen Flügel gespielt und er, der Mönch, habe der Versuchung zu tanzen nicht widerstehen können.
»Er spielte und spielte, und ich konnte einfach nicht aufhören, ich, ein erwachsener Mann und Mönch, ich lachte und tanzte!«
Es schien, als habe keiner unten in der Menschenmenge erwartet, dass die Prozession solch einen Ausgang nehmen würde, zumindest ich nicht, denn bis dahin war mir noch nie ein tanzender alter Mann untergekommen.
»Wo kommt ihr her? Welchen Weg seid ihr gegangen?« Der Mönch, der offenbar gar nicht so alt war, wie er aussah, lächelte aus dem zahnlosen Mund. »Wer seid ihr?«
Vater Dawit trat gehorsam beiseite und ließ wie ein schuldbewusster Schüler den Kopf hängen.
»Was hat mir der Teufel angetan, und was wird er euch wohl antun, ihr armen Sünder?«, schrie der Mönch und schwebte tanzend auf den Altarraum zu. »Er ist nicht schwach, nein, sehr stark ist er, wenn er mich tanzen ließ, mich, einen Mönch, was wollt ihr dann schon gegen ihn ausrichten?«
Vater Dawit versuchte ihn höflich und so gut er konnte zu beschwichtigen, obwohl der Besessene mit den Händen fuchtelte und so etwas wie ein Knurren von sich gab. Dann aber breitete er theatralisch die Arme aus und legte ihm den Kopf an die Brust, unter den Bart. »Heilige Nino«, sprach er, »heilige Nino«, wiederholte er noch zwei- oder dreimal und schlug ein Kreuz. »Noch ist sie nicht erschienen. Die ganze Nacht hat mich der Teufel tanzen lassen …«
Der Mönch neigte betont demütig und verglichen mit seinem vorherigen Benehmen erstaunlich gehorsam vor Vater Dawit den Kopf.
»Gott segne euch«, sagte jemand hinter mir.
Diese Worte waren dermaßen unpassend, dass plötzlich von allen Seiten ein Zischen erklang:
»Pssssst …«
Das war alles total interessant, zumindest interessanter, als ich gedacht hatte, aber ich wollte trotzdem weg von hier: Diese unbehagliche Atmosphäre, dieser lächerliche und beängstigende Narr, diese Menschenmassen … Es gab so viele Eindrücke, und ich konnte die Geschehnisse hier und auf dem Weg der heiligen Nino überhaupt nicht einordnen. War es wirklich erhebend und positiv, oder passierte hier etwas unerträglich Unnatürliches und Verstörendes um uns herum? Einerseits hatte es mir gefallen, das Kreuz des Apostels Andreas zu tragen und in meinen Träumen auf einer antisowjetischen Demo von Swiad Gamsachurdia oder Merab Kostawa gelobt zu werden, andererseits konnte ich den dummen Physiker nicht vergessen, den Heiden, und seine eingeschüchterte, bleiche Frau mit dem weinenden Kind auf dem Arm, die ihren diskussionsfreudigen Mann am Ende hilflos und verängstigt von der sie umringenden Menschenmenge weggezogen hatte.
Zum meinem Glück endete die Liturgie bald. Meine Mutter, Tante und andere Leute waren jedoch plötzlich der Ansicht, Vater Dawit könne es als Zeichen von Missachtung werten, wenn man ohne Beichte und Abendmahl gehen würde.
»Ist es verwerflich, keine Beichte abzulegen?«, fragte meine Mutter.
Auch ich sollte die Beichte ablegen – die erste Beichte meines Lebens, die der krönende Abschluss eines Marsches über Dutzende Kilometer sein würde, aber ich wusste wirklich nicht, was ich hätte sagen sollen, denn im Gegensatz zu meinem Klassenkameraden hielt ich mich für völlig frei von Sünde – das war ich tatsächlich – und ich hatte keine Vorstellung davon, was zur Hölle ich Vater Dawit auftischen sollte.
Sollte ich mir etwa ihm zuliebe Sünden ausdenken?
»Unmöglich, dass du keine Sünden hast«, sagte die Kommilitonin meiner Mutter, wie alle ihre Geschlechtsgenossinnen unterschwellig verliebt in Vater Dawit, »horch in dich hinein!«
Ich wurde wütend, weil ich mich unter Druck gesetzt fühlte, ganz besonders von meiner Mutter, die so tat, als wäre sie auf meiner Seite, aber gleichzeitig dachte, es könne mir nicht schaden zu beichten. Und außerdem, so sagte sie, könne ich Vater Dawit damit eine Freude machen. Also musste ich mit diesem Mann über irgendetwas reden, damit er sich gebauchpinselt fühlen würde. Wie ich mich schämte, seine Zeit zu verschwenden und ihm irgendwelchen Unsinn aufzutischen: Ich hätte meine Mutter gekränkt, ein Mädchen zum Weinen gebracht, sei frech zu meinem Großvater gewesen …
»Faulheit ist eine Sünde, zum Beispiel«, sagte eine Frau, die auf einem Stein saß und glasige Augen hatte. »Völlerei, Gefräßigkeit …«
Sie zählte Wörter auf, deren Bedeutung ich nicht kannte. Ich war furchtbar verwirrt, weil ich krampfhaft versuchte, mich an Sünden zu erinnern (oder mir welche auszudenken), um einer Beichte würdig zu sein. Ich dachte, ich könnte einfach die Sünden eines anderen aufschreiben – zum Beispiel die meiner Großmutter, die als Kind Katzenbabys ertränkt hatte.
Der Vorschlag, die Sünden aufzulisten, machte die Sache nicht einfacher.
Generell waren damals viele bestrebt, den Geistlichen möglichst viel über ihr Privatleben zu erzählen (am meisten diejenigen, die in Wahrheit gar kein Privatleben hatten), die Leute füllten Seite für Seite mit winzigen, schiefen Buchstaben – sie schrieben und schrieben alle unmöglichen und möglichen Sünden auf, begangene oder nur imaginäre, angelastete oder echte.
Diejenigen, die so einen weiten Weg zurückgelegt und sich jetzt zur abschließenden Liturgie zusammengefunden hatten, legten sich nun Büchlein auf die Knie und sinnierten fleißig über ihre Vergehen. Manche schrieben »Meine Sünden«, andere »Sündenliste«.
Meine Mutter wollte mir beim Schreiben meiner Sündenliste helfen, doch dann fiel mir gerade noch eine echte Sünde ein. Ich hatte mit dem neuen Videorekorder des Nachbarn einen Ausschnitt eines Pornofilms (über das zügellose Leben Katharinas II.) gesehen. Und so schrieb ich zwei Worte ordentlich auf das reine Blatt Papier:
Meine Sünden
Ich fügte eine Nummerierung hinzu:
1.
2.
3.
Dann bekam ich doch Skrupel, eine echte Sünde aufzuschreiben, zerknüllte das Blatt und wandte mich mit einer zurechtgelegten Bitte an Vater Dawit: »Vater Dawit, ich bin das erste Mal hier und bitte Euch um Hilfe.«
Das bedeutete, der müde Priester, der wahrscheinlich nicht einmal wusste, dass ich die Beichte nur als Zeichen der Wertschätzung ihm gegenüber ablegen wollte, musste sich nun Fragen einfallen lassen, die er einem sündigen Kind stellen konnte.
Vater Dawit saß mit gelangweilter Miene neben einer hohen Kommode und schien zu faul, um über meine Sünden nachzudenken.
Endlich überwand er sich und fragte: »Verärgerst du deine Eltern?«
»Ja«, erwiderte ich erfreut.
»Faulenzt du?«
»Ja.«
»Sagst du schlimme Wörter?«
»Ja.« (Dabei tat ich das gar nicht.)
»Hast du jemandem Kummer bereitet? Sagen wir, einem Freund?«
»Ja.«
»Wie?«
»Ja.«
»Wie, hab ich gefragt.