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Katharina Schratt. Georg Markus
Читать онлайн.Название Katharina Schratt
Год выпуска 0
isbn 9783902998477
Автор произведения Georg Markus
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Verständlich wird diese ungewöhnliche Romanze erst, wenn man die Persönlichkeiten der Schauspielerin und des »Sie innigst liebenden Franz Joseph« (der Kaiser in unzähligen Briefen an die Schratt) zu durchleuchten versucht.
Kennengelernt hat die Schratt den Kaiser auf völlig unromantische Weise: Wie Tausende andere Künstler, Kaufleute oder Beamte in der Monarchie war sie zu einer Audienz ins Schloß Schönbrunn, der Sommerresidenz des Herrschers, geladen worden. Der Monarch – bekanntlich ein extremer Frühaufsteher, und danach richteten sich auch die Termine für die Besucher – hatte an manchen Tagen weit mehr als hundert Personen aus den verschiedensten Schichten der Bevölkerung zu empfangen. Dementsprechend wenig Zeit war für eine solche Audienz vorgesehen.
Eines Vormittags war Katharina Schratt, seit knapp vier Jahren verehelichte Frau Kiss de Ittebe, zum Kaiser befohlen. Die damals 30jährige hatte sich als Schauspielerin sowohl im benachbarten Ausland als auch als Ensemblemitglied des angesehenen Wiener Stadttheaters einen Namen gemacht und war soeben ans k. u. k. Hofburgtheater engagiert worden. Das war im Jahre 1883, und diesen Zeitpunkt könnte man als den Grundstein der Verbindung ansehen. Franz Joseph hatte Katharina Schratt bereits Jahre zuvor – im Dezember 1873 – auf der Bühne gesehen. Er war gemeinsam mit Kaiserin Elisabeth ins Stadttheater gekommen, wo man anläßlich seines 25jährigen Regierungsjubiläums eine Festvorstellung »Der Widerspenstigen Zähmung« von William Shakespeare gab. Katharina Schratt war in ihrer vielumjubelten Rolle als Käthchen aufgetreten, dürfte dem Monarchen aber weiter nicht aufgefallen sein.
Zehn Jahre später stand sie also vor ihrem obersten Herrn, um sich – wie das bei neuen Mitgliedern des Burgtheaters so üblich war – bei ihm vorzustellen. Wie der Historiker Heinrich Benedikt beschreibt, soll sich diese erste persönliche Begegnung folgendermaßen abgespielt haben:
Katharina Schratt kannte Hofrat Dr. Paul Schulz, den Präsidenten des Wiener Patentamtes, dessen Vater Burgtheaterarzt gewesen war. Von Paul Schulz ließ sie sich beraten, wie man sich während einer Audienz beim Kaiser zu benehmen habe. Der hohe Beamte, vom Kaiser besonders geschätzt und selbst schon des öfteren in Audienz empfangen, versuchte nun, der jungen Schauspielerin das strenge höfische Zeremoniell in allen Details zu erklären.
Katharina Schratt kam also – als gewissenhafte Schauspielerin hatte sie sich bereits den Text zurechtgelegt – zu Schulz ins Patentamt, um sich letzte Instruktionen für den großen Tag zu holen. Sie spielte dem Freund die Szene vor, mit der sie sich beim Kaiser für die Aufnahme ans Hoftheater offiziell bedanken wollte.
»Euer Majestät geruhten …« sagte sie zu Dr. Schulz, der während dieser Probe den Kaiser darstellte. Dann ließ sich die Schratt in einen Fauteuil fallen. »Ganz falsch« wurde sie von Schulz unterbrochen, »du darfst dich keinesfalls niedersetzen, sondern mußt stehen und nach dem Hofknicks dein Sprüchlein sagen.«
Wenige Tage später war es soweit. Frau Schratt wurde in die Allerhöchsten Gemächer Seiner Majestät vorgelassen. Sie trug ein Taftkleid und ihr rotblondes Haar war durch einen schwarzen Schleier verdeckt.
Brav begann sie ihren wohlpräparierten Text aufzusagen: »Euer Majestät geruhten …« Nun unterbrach sie der Kaiser: »Gnädige Frau, wollen Sie sich nicht setzen?«
Frau Schratt: »Danke Majestät. Euer Majestät geruhten …« Der Kaiser: »Ja, warum wollen Sie sich nicht setzen?«
Frau Schratt: »Der Schulz hat’s mir verboten!«
Das eigentliche Gespräch zwischen dem Kaiser und der Schauspielerin ging dann folgendermaßen vor sich: »Es freut mich, Frau Schratt, Sie kennenzulernen. Hoffentlich werden Sie sich an meinem Theater wohlfühlen. Wie gefällt es Ihnen denn?« Katharina Schratt, die bereits einige Burg-Proben absolviert hatte, antwortete: »Majestät, es gefällt mir sehr. Nur ist alles so vornehm wie sonst in keinem Theater. Die Kollegen sind nobel, wie wir es beim Theater nicht gewohnt sind. Soviel Etikette. Jedem gebührt dies oder jenes. Selbst der Souffleur schaut aus wie ein Graf.«
Der Kaiser soll – schon als sie sich nicht setzen wollte und auch dann während des kurzen Dialogs – immer wieder vor Vergnügen so laut aufgelacht haben, daß seine Adjutanten im Vorraum ihren Ohren nicht zu trauen glaubten, denn zu lachen hatte es sonst für Franz Joseph auch schon Anfang der Achtzigerjahre des vorigen Jahrhunderts sehr wenig gegeben.
Ansonsten dürfte die Schratt während dieser ersten Begegnung mit dem Kaiser ziemlich schüchtern gewesen sein. Das geht jedenfalls aus einem Brief hervor, den Franz Joseph ihr etliche Jahre später, am 26. Juni 1896, als die beiden bereits eine innige Freundschaft verband, schrieb:
»… unter den 128 Audienzen, die ich gestern hatte, war das Burgtheater stark vertreten, lauter Bedankende, Sonnenthal, Robert, Thimig, Frau Lewinsky und Frl. Kallina. Letztere war sehr liebenswürdig und gesprächig, gar nicht befangen, wie jemand Anderer bei ihrer ersten Audienz …«
So sehr die naive Befangenheit der jungen Katharina Schratt dem Kaiser auch gefallen haben mag, dieser »Auftritt« allein kann noch lange nicht den Ausschlag gegeben haben, daß die später so tiefe Verbindung zwischen den beiden zustande kam.
Schon wenige Wochen nach der ersten Audienz suchte Frau Schratt nun ihrerseits um einen neuerlichen Termin beim Kaiser an.
Sie hatte vier Jahre zuvor den ungarischen Aristokraten Nikolaus von Kiss geheiratet und ihm ein Jahr später einen Sohn geboren. Die Ehe existierte jedoch nur noch auf dem Papier. Nikolaus von Kiss bereiste als österreichisch-ungarischer Diplomat die halbe Welt und war kaum je in Wien anzutreffen. Dennoch fühlte sich Katharina Schratt, obwohl von ihrem Mann getrennt, seiner Familie gegenüber verpflichtet und so kam es, daß sie in einer Familienangelegenheit keinen anderen Ausweg sah, als den Kaiser persönlich aufzusuchen und um Intervention zu bitten:
Katharina Schratts Ehemann Nikolaus hatte einen Onkel namens Ernö von Kiss gehabt. Dieser war kaiserlicher Berufsoffizier gewesen und im Jahre 1838 im Range eines Obersten als Kommandant des Husarenregiments »Hannover« in den Ruhestand versetzt worden. Zehn Jahre später, als die Revolution ausbrach, meldete sich Ernö Kiss freiwillig, um der Ungarischen Revolutionsarmee zu dienen. Der inzwischen 69jährige Pensionär wurde sofort mit dem Titel eines Generals eingestellt. Vorerst kommandierte er ein Armeekorps in Südungarn, ab Januar 1849 war er vorübergehender Oberbefehlshaber der gesamten Revolutionstruppen.
Während die Regierung der Revolutionsarmee versprochen hatte, daß den Offizieren – im Falle die Waffen niedergelegt würden – nichts widerfahre, wurden am 13. August 1849 alle kommandierenden Generäle von den verbündeten russischen Truppen verhaftet. Am 6. Oktober desselben Jahres wurden die 13 höchsten Offiziere – also auch Ernö von Kiss – auf der Festung Arad durch den Strang hingerichtet. Dieser Tag ist übrigens heute noch ungarischer Nationalfeiertag.
Alle Welt – insbesondere die Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritannien – hatten damals gegen die Hinrichtungen schärfstens protestiert. Franz Joseph war zu diesem Zeitpunkt erst ein Jahr lang Kaiser gewesen und mit seinen 19 Jahren praktisch noch nicht der wahre Regent des Reiches. Die Staatsführung lag vielmehr in den Händen seiner herrschsüchtigen Mutter Sophie und des Ministerpräsidenten Felix Fürst zu Schwarzenberg. War Franz Joseph, der den Befehl zur Hinrichtung von sich aus kaum gegeben hätte, moralisch unschuldig, so drückte ihn doch sein Leben lang ein Schuldgefühl, weil 13 Generäle – bereits während seiner Regentschaft – exekutiert worden waren. Zu Kaiserin Elisabeth sagte er mehrmals, daß ihn der Tod der Revolutionsoffiziere besonders bedrücke: »Wenn ich könnte, würde ich sie mit meinen eigenen zehn Fingern wieder ausgraben.«
Revolutionsgeneral Ernö von Kiss, bereits seit 34 Jahren tot, war also Anlaß für eine weitere Begegnung zwischen Katharina Schratt und Kaiser Franz Joseph. Der Monarch hatte sich nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich im Jahre 1867 – zu diesem Zeitpunkt wurden die beiden Reichshälften zu gleichberechtigten, selbständigen Staatsgebilden – bemüht, die eingezogenen Vermögen der hingerichteten Offiziere an deren Erben zurückzugeben. So war es auch im Falle Kiss gewesen.