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      Als ich sie endlich in Händen hielt, traute ich meinen Augen nicht. Ein Teil der Konzepte war kaum leserlich. Katharina Schratt hatte die Briefe – einer »Mode« der damaligen Zeit folgend und aus Gründen der Papiereinsparung – kreuz und quer aufgesetzt. Das sieht so aus:

      Es fand sich ein Experte, dem es gelang, diese Konzepte zu entziffern: Ernst Hübsch von der Handschriftensammlung der Wiener Stadtbibliothek nahm die Mühe auf sich. So ist es hier möglich, zum ersten Mal die Briefe der Katharina Schratt an den Kaiser zu veröffentlichen. Da es auch gelang, bisher geheimgehaltene Briefe Franz Josephs an die Schauspielerin ausfindig zu machen, liegt jetzt erstmals ein Großteil der gesamten Korrespondenz vor. Die interessantesten Stellen wurden ausgewählt und in diese Biographie eingearbeitet. Durch Gespräche mit Zeitgenossen der Katharina Schratt – allen voran ihre Nichte Katharina Hryntschak – war es möglich, ein sehr persönliches Bild der Schauspielerin, die die wichtigste Vertraute des Kaisers von Österreich war, zu erhalten. Zusätzliche Recherchen sowie der Einblick in bisher unveröffentlichtes Dokumentationsmaterial runden dieses Bild ab.

Wien, im August 1998 Georg Markus

      »KATHARINA HABSBURG-LOTHRINGEN

      GEB. SCHRATT«

       Die Ehe mit dem Kaiser

      Das Erzbischöfliche Ordinariat in Wien. Ein Barockpalais, vis-à-vis dem Stephansdom im Herzen der k. u. k. Haupt- und Residenzstadt gelegen, Mitte des 17. Jahrhunderts von Giovanni Coccapani erbaut. In dem prunkvollen und weitläufigen Gebäudekomplex, der den Erzbischöfen von Wien als Amtssitz dient, befindet sich ein kleines Gotteshaus, die Andreaskapelle. Teile des alten Gemäuers dieser Kapelle sind gotischen Ursprungs und gehörten zum seinerzeitigen Pfarrhof von St. Stephan.

      Wien, in den letzten Jahren der Monarchie. Ein alter Herr, von den Lasten eines sorgenreichen Lebens gezeichnet, und eine um 23 Jahre jüngere Frau betreten das Erzbischöfliche Palais. Ein Priester geleitet sie in die Andreaskapelle, wo die beiden getraut werden. Sie gehen eine Ehe ein, die »vor Gott« geschlossen, vor der Öffentlichkeit aber geheimgehalten wird. Dieses Paar konnte und durfte eine »normale« Hochzeit nicht feiern. Denn er war der Kaiser von Österreich und sie die Tochter eines Schnittwarenhändlers aus Baden bei Wien, von Beruf Schauspielerin. Beide waren verwitwet. So unterschiedlich ihre Herkunft, ihr gesellschaftlicher Rang auch gewesen sind, zum Zeitpunkt dieser Eheschließung verband sie doch eine rund drei Jahrzehnte andauernde Romanze, wie sie in der Geschichte der österreichisch-ungarischen Monarchie einmalig war: die Liebe zwischen Kaiser Franz Joseph I. und der Hofschauspielerin Katharina Schratt.

      »Gewissensehe« nennt die katholische Kirche diese Form der geheimgehaltenen Legalisierung einer Verbindung. Damals wie heute werden diese Gewissensehen äußerst selten eingegangen, denn normalerweise will man seinen Partner vor Zeugen und vor der Öffentlichkeit heiraten.

      Diese Hochzeit mußte aber geheim bleiben. Wie kommt es, daß das Geheimnis um die Trauung heute, Jahrzehnte nach der Zeremonie, doch bekannt wird?

      Um dies zu ergründen, versetzen wir uns in das Jahr 1934. Der Kaiser war seit 18 Jahren tot, Katharina Schratt lebte, mehr als 80 Jahre alt, zurückgezogen in Wien. Die noch junge und doch schon wieder im Sterben befindliche Erste Republik hatte gerade einen Bürgerkrieg, der mehr als 300 Tote und 700 Verwunderte forderte, überstanden. Die Sozialdemokratische Partei Österreichs war von der christlichsozialen Regierung verboten worden, ihre Führer wurden inhaftiert, neun von ihnen zum Tode verurteilt und hingerichtet, anderen gelang die Flucht ins Ausland, von wo sie im Untergrund weiterarbeiteten.

      Vier Monate nach diesen als »Februarkämpfe« des Jahres 1934 in die Geschichte Österreichs eingegangenen Unruhen, wollte ein junges Paar heiraten. Dieses mußte seine Eheschließung ebenfalls geheimhalten, auch wenn in diesem Fall ganz andere Gründe ausschlaggebend waren als Jahrzehnte vorher für den Kaiser und die Schauspielerin: Der Wiener Medizinstudent Otto Wagner – er wurde später Primarius des St.-Josef-Spitals in Wien – entstammte einer konservativen, altösterreichischen Familie. Weder seine Eltern noch die seiner Braut, Edeltraut Dobrucka-Dobruty-Doliwa, Tochter polnischer Aristokraten, durften von dieser Hochzeit erfahren, zumal Otto Wagner sein Studium noch nicht abgeschlossen hatte. In der damaligen Zeit galt man deshalb als noch nicht »reif« für die Ehe. Trauzeuge dieser Hochzeit war der später namhafte Wiener Sozialreformer und Universitätsprofessor August Maria Knoll, zuvor auch Privatsekretär des österreichischen Bundeskanzlers Ignaz Seipel.

      Die Eheschließung zwischen Otto Wagner und Edeltraut Dobrucka fand am 30. Juni 1934, ebenfalls in der Andreaskapelle des Wiener Erzbischöflichen Palais, statt. Bevor der Pfarrer die Trauung vornahm, hatte er in der der Kapelle angrenzenden Sakristei jenes Trauungsbuch auf den Tisch gelegt, in das Gewissensehen eingetragen werden. Dann verließ der Priester für wenige Minuten den Raum. Die drei Anwesenden sahen sich das aus dem Geheimarchiv des Erzbischöflichen Palais geholte Buch an und wurden Zeugen einer sensationellen Eintragung. Hier stand schwarz auf weiß, worüber in Österreich zwar seit Jahrzehnten gemunkelt wurde, was aber niemand wahrhaben wollte, geschweige denn beweisen konnte: Kaiser Franz Joseph und Katharina Schratt hatten geheiratet. Die Eintragung – mit den eigenhändigen Unterschriften – lautete auf die Namen: »Franz Joseph von Habsburg-Lothringen und Katharina Kiss de Ittebe, geb. Schratt«.

      Im Katholischen Kirchenrecht/Abschnitt Eherecht ist unter dem Kapitel »Gewissensehe« zu lesen:

      »Die Gewissensehe (matrimonium conscientiae) ist die Ehe, die wohl in der ordentlichen Form, aber ohne Verkündung geschlossen und geheimgehalten wird. Sie kann nur vom Ordinarius (das ist in diesem Fall der Erzbischof von Wien, Anm. d. A.) gestattet werden. Der Eintrag dieser Ehe hat in einem besonderen, im Geheimarchiv der bischöflichen Kurie aufbewahrten Buch stattzufinden, nicht im Pfarr-, Ehe- und Taufbuch.«

      Dieses im Geheimarchiv der bischöflichen Kurie aufbewahrte Buch lag also am 30. Juni des Jahres 1934 aufgeschlagen vor Otto Wagner, Edeltraut Dobrucka und deren Trauzeuge August Maria Knoll. Sie konnten die Eintragung – jeder für sich und unabhängig voneinander, wie sie später berichteten – klar und deutlich lesen.

      Alle drei Zeugen dieser Eintragung sind heute tot. Doch sie berichteten zu ihren Lebzeiten mehreren ihnen nahestehenden Personen gegenüber von ihrer Beobachtung. August Maria Knoll erzählte davon seinen Söhnen Reinhold, Norbert und Wolfgang und seinem Schüler, dem heute bekannten Wiener Politologen und Universitätsprofessor Dr. Norbert Leser.

      Dieser, vom Autor der vorliegenden Biographie befragt, meint über die Eheschließung:

      »Für mich gibt es an der Glaubwürdigkeit der Angaben meines Lehrers August Maria Knoll keine Zweifel, es sind ihm aus dieser Behauptung niemals irgendwelche Vorteile erwachsen, er hat in der Öffentlichkeit auch nie Verwendung davon gemacht. Ich bin sicher, daß Kaiser Franz Joseph und Frau Schratt tatsächlich verheiratet waren.«

      Dr. Reinhold Knoll, Historiker und Assistent an der Universität Wien, ist, ebenfalls von seinem Vater informiert, von dieser Eheschließung nicht weniger überzeugt:

      »Auch meinen Brüdern und mir hat unser Vater mehrmals von seiner Wahrnehmung im Trauungsbuch der Andreaskapelle erzählt. Es gab für ihn keinen Zweifel, daß Kaiser Franz Joseph und Katharina Schratt verheiratet waren.«

      Der Ehe Otto Wagner-Edeltraut Dobrucka (die 1936, nachdem Wagner sein Studium abgeschlossen hatte, auch »öffentlich« nachgeholt wurde) entsprangen drei Kinder: Der heutige Universitätsprofessor Dr. Otto Wagner jun. ist Oberarzt der 1. Chirurgischen Universitätsklinik in Wien, seine Schwestern Dr. Edeltraud Lothaller als Zahnärztin in Wien tätig und Magister Barbara Binder-Krieglstein unterrichtet als Gymnasialprofessorin. Die Recherchen führten den Autor auch zu ihnen. Sie bestätigen:

      »Ihre Information ist richtig. Unsere Eltern haben am Tag ihrer Eheschließung die Eintragung im Trauungsbuch gesehen. Sowohl unser Vater als auch unsere Mutter haben mehrmals davon erzählt und empfanden es als begrüßenswerten Zug des Kaisers, Frau Schratt geheiratet zu haben.« Das bewußte Trauungsbuch existiert vermutlich nicht mehr. Als die Nationalsozialisten 1938 in Österreich einmarschierten,

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