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sondern auch um meinetwillen ein:

      »Der Scheik der Haddedihn meint es nicht wörtlich so, wie er es sagt. Er will Euch nicht verleiten, ohne Grund in das Gebiet Eurer Feinde einzufallen, um dort zu sengen, zu brennen, zu plündern und zu morden. Aber wenn sie vor Euch die Flucht ergreifen müßten und Ihr sie bis hinüber verfolgtet, so wäre das wohl nicht gegen Dein zwar menschenfreundliches, aber auch entschlossenes und tapferes Gefühl.«

      »Nein, gewiß nicht!« gestand sie zu. »Ich würde sogar dazu raten.«

      »Wirklich?« fragte ich, nicht ohne Absicht, sondern mit ganz besonderer Betonung.

      »Wirklich!« versicherte sie, es ebenso betonend wie ich.

      »So tut es doch! Schlagt sie aus Eurem Reich hinaus und in das ihrige hinüber! Oder noch besser: Wartet gar nicht erst, bis sie herüberkommen, sondern fallt gleich an Eurer Grenze über sie her, daß sie umwenden und zurückkehren müssen!«

      »Sie hinausschlagen - - -?« fragte Taldscha erstaunt.

      »Über sie herfallen!« rief der Scheik.

      »Daß sie umwenden! An unserer Grenze? Und zurückkehren müssen!« so sagten und fragten und wiederholten auch die anderen.

      »Das erfordert Blut, viel Blut!« warnte Taldscha.

      »Nein!« antwortete ich. »Vielleicht keinen Tropfen, keinen einzigen!«

      »Unmöglich! Man kann doch kein ganzes Kriegsheer über die Grenze hinübertreiben, ohne daß Blut vergossen wird!«

      »Das meine ich auch!« stimmte der Scheik bei. »Aber das sollte uns wohl nicht hindern, diesen Rat zu befolgen, der mir gar nicht übel gefällt. Es ist besser, einige Tote zu haben, als von den Tschoban und aller Welt als feig verschrien zu werden. Ich bitte Dich, Effendi, uns Deinen Plan mitzuteilen. Ist es möglich, ihn auszuführen, so daß er uns Nutzen schafft, so werden wir ihn ausführen. Ich bin überzeugt, daß Taldscha einverstanden ist.«

      Sie nickte nur. Ich aber entgegnete:

      »Einen Plan kann ich Euch noch nicht sagen, denn ich habe noch keinen. Ich kenne Euer Land noch nicht und folglich auch die Gegend nicht, um welche es sich handelt. Freilich, einen Gedanken habe ich bereits jetzt. Und der scheint gut zu sein. Aber, um ihn sich entwickeln zu lassen, muß ich Fragen tun, die ich Euch heut abend unmöglich vorlegen kann. Dazu ist morgen Zeit. Ich halte es nämlich für sehr möglich, die Tschoban zu besiegen und für immer zurückzutreiben, ohne daß es Euch einen einzigen Toten oder eine einzige Wunde kostet. Wenn Ihr wollt, so könnt Ihr es morgen erfahren. Für heut aber soll nun Ruhe sein. Es ist nun schon über Mitternacht. Ich gehe schlafen!«

      »ich auch!« stimmte Halef bei, der meine Absicht, nur von der Unterhaltung loszukommen, sehr wohl verstand.

      Wir gingen also zu unseren Pferden, bei denen wir uns so niederlegten, daß ihre Hälse unsere Kopfkissen bildeten. Das waren sie und auch wir gewohnt. Die Ussul aber blieben noch sitzen, um das für sie unendlich wichtige, aber auch unendlich unbegreifliche Thema, welches ich ihnen gegeben hatte, weiter auszuspinnen. Das ganze Heer der Tschoban besiegen und für immer zurückzuschlagen, ohne daß es einen einzigen Toten oder auch nur eine einzige Verwundung kosten solle! Das wollte ihnen nicht in die trägen Köpfe, ihnen, die bisher weiter nicht gewußt hatten, als auszureißen, sich zu verstecken und dann hinter den abziehenden Feinden her zu jammern und zu schimpfen. Mein Gedanke kam mir aus der Beschreibung, die der Scheik mir über den hochinteressanten Engpaß Chatar geliefert hatte. Und ich gedachte dabei an eines meiner Erlebnisse bei den Haddedihn-Arabern, deren Scheik jetzt Halef war; nämlich an das so erfolgreiche Zusammentreiben aller ihrer Feinde in das >Tal der Stufen<, das ich im ersten Bande meiner >Reiseerzählungen< beschrieben habe. Vielleicht eignete sich der Engpaß noch viel besser zu so einem pfiffigen Streiche als jenes Tal der Stufen, in welches die Gegner gelockt werden mußten, während die Tschoban auf alle Fälle gezwungen waren, ihren Weg durch den Paß zu nehmen, von dem ich überzeugt war, daß er ihnen sehr leicht verhängnisvoll werden könne.

      Als ich Halef hierüber eine kurze Bemerkung machte, wich der Schlaf sofort von ihm. Er richtete sich halb empor und sagte:

      »Sihdi, das wäre eine Wonne für mich, so etwas wieder zu erleben! Wie bist Du auf diesen prachtvollen Gedanken gekommen?«

      »Durch den Scheik, der mir die Örtlichkeiten beschrieb. Zwar kann man das, was dieser gute Mann behauptet, nicht als geologisch erwiesen annehmen, sondern man muß es erst prüfen; aber etwas Wahres ist doch jedenfalls daran, und man könnte viel Blutvergießen und noch anderes, ebenso Schlimmes verhindern, wenn man die Ussul veranlaßte, den Tschoban heut über eine Woche in diesem schmalen Engpaß entgegenzutreten.«

      Ich erzählte ihm, was ich von dem Scheik während des Ruderns erfahren hatte. Als ich damit zu Ende war, teilte er mir mit, daß während unserer Abwesenheit das Gespräch auch unter den Ussul auf den verschwundenen Fluß gekommen sei. Auf seine Bitte habe der Sahahr ihm dann die Sage erzählt.

      »So kennst Du sie nun?« fragte ich.

      »Ja,« antwortet er. »Willst Du sie hören?«

      »Sehr gern.«

      »Sie raubt uns nur wenig Schlaf, denn sie ist kurz. Vorher aber muß ich Dir sagen, daß die Ussul nur Gott allein verehren, keinen andern bei oder neben ihm. Bei ihnen ist nur er der Inbegriff der Allmacht, Weisheit und Liebe. Nur er allein kann, was er will, und wenn die Hilfe und das Erbarmen des Himmels sich der Erde naht, so geschieht das nur durch ihn. Das war es, was Du wissen mußtest. Und nun kann ich erzählen.«

      Halef machte wie immer, wenn er etwas Derartiges erzählte, vorher eine Pause, um seine Gedanken zu sammeln und den richtigen, klar hindurchführenden Faden zu finden. Dann begann er:

      »Weit, weit von hier, hoch über Dschinnistan hinauf, liegt das verlorene einstige Paradies. Seine Tore sind geschlossen. Wer nach ihm sucht, der sieht es von weitem glänzen, jedoch hinein kann keiner. Sogar dem Blick ist es versagt, die himmelhohen Mauern zu übersteigen. Bei Tage in sonnengoldenen Lettern, bei Nacht in flammenheller Sternenschrift sieht man über ihm den göttlichen Ruf erstrahlen:

      >Ist Friede auf Erden, dann kommt!<

      So oft ein Jahrhundert vorüber ist, springen alle Pforten und Tore des Paradieses auf, und eine unendliche Fülle durchdringenden Lichtes flutet über die Erde und über die Menschen hin, die auf ihr wohnen. Da wird alles, alles offenbar, was je geschehen ist und was noch heut geschieht. Die Erzengel treten vor die Tore. Ihre Scharen erscheinen zu Tausenden und zu Zehntausenden auf den Mauern. Sie schauen herab, ob endlich Friede sei; aber stets ist Krieg und Mord und Zank und Streit. Da erheben sie ihre Stimmen. Ein Weheschrei erschallt, er steigt vom Himmel auf die Erde nieder. Das Licht verschwindet, mit ihm das Paradies. Den Schrei aber hören nie die Mächtigen, die Reichen, die Sieger, sondern nur die Schwachen, die Armen, die Unterdrückten und Geknechteten, die händeringend und hilfeflehend in stiller Kammer beten, daß Gott der Herr sie von ihrem Leid, von ihrer Qual erlöse.

      Diese Bitten und Gebete sind mächtiger als die mächtigsten der Menschen. Was kein Sterblicher vermag, das vermögen sie. Sie steigen unsichtbar zum Paradies empor, versammeln sich vor seinen Mauern und wachsen zu Millionen und Millionen an. Sie helfen einander, heben einander über die Mauern hinweg, dringen ein in das Paradies und klammern sich an die Engel. Sie heften sich an die Flügel der Gnade, an die Fittiche des Erbarmens, die über dem Paradiese wehen, und werden von ihnen emporgehoben zum Allbarmherzigen, um in sein Herz zu dringen und es anzufüllen, bis es überschwillt. >Gib Frieden!< jammert es über die Erde. >Gib Frieden!< klagt es durch das Paradies. >Gib Frieden!< bittet es in Gottes eigener Seele. Da sendet er den strengsten aller Geister, der Moses heißt, zum Sinai hernieder.

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