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Menschenblut vergießt, dessen Blut soll auch

      vergossen werden!<

      Kaum hat das Volk der Menschen dieses Wort vernommen, so bricht es auf vom Berge Sinai, stürzt über das Land der Kananiter und opfert ganz demselben Gott in Strömen von Menschenblut, die durch Jahrhunderte fließen und bis zum Himmel rauchen. >Gib Frieden!< jammert es wieder über die Erde. >Gib Frieden!< klagt es wieder durch das Paradies. Und >Gib Frieden!< bittet es wieder in Gottes eigener Seele. Da sendet er den liebevollsten aller Geister, der Jesus heißt, zur Erdenwelt hinab. Der lehrt und ruft, daß man es durch alle Lande hört:

      >Liebet Eure Feinde! Segnet, die Euch verfluchen! Tut Gutes denen, die Euch hassen! Und betet für die, welche Euch verleumden und verfolgen! Denn wer zum Schwerte greift, der wird durch das Schwert umkommen!<

      Dies heilige Wort der Menschen-und der Nächstenliebe ist nie verklungen. Es klingt noch heut. Man hört es wohl, doch keiner will es achten. >Gib Frieden!< jammert abermals die Erde. >Gib Frieden!< klagt das leere Paradies. Und >Gib Frieden!< bittet Gottes eigene Seele. Da sendet er den irdischesten aller Geister, mit Namen Mohammed, der fast noch menschlich spricht und darum leicht begriffen werden kann. Doch der verirrt sich zwischen Paradies und Erde und sucht vergeblich nach dem rechten Weg, der tief hinab zum Menschenherzen führt. Da spricht der Herr: >Wenn keiner es erreicht, daß Friede werde, so gehe ich nun selbst!< Er schlägt den Mantel menschlicher Gestalt um seine Schulter und steigt zur Quelle Ssul im Paradies hinab. Die wächst bis Dschinnistan zum breiten Strom und fließt von da durch Ardistan, an beiden Ufern Frucht und Segen spendend, um an der Mündung neues Land und neues Volk zu schaffen. So wandert er, dem Flusse folgend, hinab nach Dschinnistan, um zunächst dort den Willen des Himmels zu verkünden. Doch kaum hat er sein Friedenswerk begonnen, wird er erkannt, und alles eilt herbei, ihn anzubeten. Er segnet jeden, der vor ihm erscheint, doch nur dem ‘Mir gestattet er, in die Zeitenfernen zu schauen, in den nicht mehr der Säbel und die Kanone, sondern nur der blanke Geist und der blitzende Gedanke die Schlachten schlagen. Dann wandert er weiter, am Strome abwärts, bis nach Ardistan. Er glaubt, er komme grad zur rechten Zeit, denn überall, wo er erscheint, ertönen Kriegstrompeten. Der ‘Mir von Ardistan will Dschinnistan erobern und rüstet heimlich zum plötzlichen Überfall. Der Herr versucht an vielen Orten zum Wort zu kommen, um das Verhängnis aufzuhalten, doch vergeblich. Und als er in der großen Stadt des Scheiks, die glänzend wie ein Traumbild aus dem Märchenland am Strome liegt, seine Stimme zu erheben und von Friedensbruch zu sprechen wagt, wird er als Landesverräter festgenommen und vor den Scheik gebracht. Der hält über ihn Gericht und spricht das Urteil aus: >Man führe ihn auf die Brücke und stürze ihn in das Wasser, weil er sich vor dem Blut des Krieges fürchtet!< Da fragt der Herr: >Ist jemand, der dies Urteil ändern kann?< >Es gibt keinen einzigen, der das vermag!< antwortet ihm der Scheik. >Auch Gott nicht?< >Nein! Allah ist Gott! Und der hat uns befohlen, sein Reich durch Schwert und Feuer zu verbreiten! Es werde Krieg!< Da hebt der Herr die Hand empor und ruft: >Es bleibe Friede! Hoch über dem, den Ihr zum Gott gemacht, steht der Erbarmer gegen den Verderber. Ich sage Dir, o Scheik: Du bleibst daheim; kein Tropfen Blut wird fließen!< Da springt der Scheik von seinem Sitze auf und donnert ihm zu: >Und ich, ich sage Dir, dem Feigling und Verführer meiner Krieger: So wenig, wie der Fluß, der Dich ersäufen soll, vor unserer Brücke umkehrt, Dich zu schonen, so wenig kehrt die Klinge, die ich zum Krieg gezogen habe, in ihre Scheide zurück! Das Urteil ist gesprochen; es werde ausgeführt!< Da hebt der Herr die Hand zum zweiten Male und spricht: >So sei es, wie Du sagst. Das Urteil ist gesprochen; es werde ausgeführt! Wenn Gott nicht mehr durch Worte belehren kann, so predigt er durch Taten. Der Strom floß Euch zu Friedenszwecken zu, nicht aber, um das Leben zu zerstören. Er werde Euch genommen! Nicht eine Pfütze bleibe Euch, die genug Wasser hat, auch nur einen einzigen Menschen zu ertränken! Und wehe Euch, wenn Ihr ihn durch die Waffe zwingt, zu Euch zurückzukehren! Denn alles, was da lebte, würde sterben!< - - - Ein Hohngelächter folgt diesen Worten. Man führt ihn hinaus zur Brücke, der Scheik auf hohem Roß voran. Der gibt, als die tiefste Stelle erreicht ist, den Befehl, den Gefangenen zu ergreifen und hinabzuwerfen. Da hebt dieser zum dritten Male die Hand, doch ohne ein Wort zu sagen. Sofort verfinstert sich der Himmel. Blitze zucken; drohende Donner rollen. Von der Brücke abwärts fließt das Wasser weiter; von ihr aufwärts aber bleibt es stehen. Es bäumt sich auf, wächst höher und höher und bildet eine Mauer, die zum Himmel zu streben scheint. Brüllend vor Angst und Entsetzen eilen die Menschen an die Ufer zurück. Nur einer bleibt, der Gefangene. Leuchtenden Angesichtes steht er auf der Brücke, die von den steigenden Wogen von der Erde gelöst und hoch emporgetragen wird, bis sie verschwindet. Dann sinkt das Wasser zusammen und beginnt, wieder abzufließen, doch nicht abwärts, wie bisher, sondern aufwärts, nach oben, woher es gekommen ist. Der Himmel wird wieder hell. Das Bett des Flusses aber liegt leer, und die entsetzte Menschheit flieht aus der Stadt, deren Trümmer heutigen Tages wasserlos in die Steppe starren, durch welche sich der dürre, ausgetrocknete Lauf in zahllosen Windungen vor Durst und Hunger krümmt, bis er in den Wäldern der Ussul verschwindet.«

      Als Halef bis hierher erzählt hatte, machte er eine Pause, um eine innere Betrachtung anzustellen, die er mir dann mitteilte, indem er fortfuhr:

      »Ist es nicht rührend, wie lieb die Ussul sich ihren Gott denken, Sihdi?«

      »Ist er es etwa nicht?« fragte ich.

      »Na, höre, was unsern Herrn Allah betrifft, so kommt er mir schon längst nicht mehr so freundlich vor wie früher. Es muß sich einer von uns beiden geändert haben, er oder ich. Der Gott der Christen ist nicht bloß Herr und Gebieter, wie Allah, sondern zugleich auch Vater und Patriarch, und zwar ein außerordentlich gerechter und guter. Das gefällt mir sehr von ihm. Das habe ich früher gar nicht gewußt, sondern erst durch Dich erfahren. Und betrachte ich mir die Sage, die ich soeben erzählt habe, so erscheint mir der Gott der Ussul dem Gott der Christen viel, viel ähnlicher als unserm Allah. Nur fehlt ihnen die Lehre von Gottes Sohn, dem Erlöser. Doch glaube ich, daß nur ein wirklicher, ein wahrer, ein guter Christ hierher zu kommen und ihn zu verkünden brauche, so würde er sehr bald und sehr viele gläubige Schüler finden. Übrigens weiß ich von Dir, daß eine jede Sage eine Wahrheit enthält, die man in der Tiefe suchen muß. So ist es wohl auch mit dieser Sage von dem verschwundenen Flusse, der plötzlich umgekehrt und aufwärts gelaufen ist, um nach seiner Quelle zurückzukehren?«

      »Jedenfalls.«

      »Und die Wahrheit, die sich in dieser Sage verbirgt?«

      »Ist wahrscheinlich eine zweifache, eine äußerliche und eine innerliche, eine geographische und eine sozialphilosophische.«

      »Das verstehe ich nicht. Du kannst mir nicht zumuten, aus dem Unterbewußtsein in das Oberbewußtsein zu steigen, während ich doch jetzt, um einzuschlafen, aus dem Oberbewußtsein in das Unterbewußtsein zu fallen habe. Das wäre grad der umgekehrte Weg. Also, sprich deutlicher!«

      »Der äußere oder geographische Kern der Sage ist, daß es hier wirklich einen Fluß, und zwar einen bedeutenden, gegeben hat. Der ist verschwunden. Jedenfalls infolge eines Naturereignisses, welches man sich nicht erklären konnte, so daß man zur Sage griff, um es sich verständlich zu machen.«

      »Aber so große Flüsse können doch nicht verschwinden, wenigstens nicht so schnell!«

      »Allerdings nicht. Aber sie können ihr altes Bett verlassen, ihren bisherigen Weg verändern, sogar infolge von Entwaldungen der Berge sich nach und nach zurückziehen. Wie es sich hier in diesem Falle verhält, werden wir erfahren, wenn wir erst längere Zeit im Lande gewesen sind.«

      »Und die andere Wahrheit der Sage, die innere?«

      »Die bezieht sich darauf, daß die Entwicklung des Menschengeschlechts nicht nach kriegerischen, sondern nach friedlichen, versöhnlichen Wegen zu suchen hat. Der Name der Quelle und des Flusses war Ssul, das ist Friede. Diese Quelle liegt im Paradiese. Der Friede ist Himmelsgabe. Wo er fließt, da segnet er nicht nur das, was bereits besteht,

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