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Der kam ihm langsam doch zu erwachsen vor.

      Georg arbeitete im und außer dem Haus wie von ihm erwartet. Ohne zu murren und ohne zu fragen, wie und wohin denn der Herr B. verschwunden sei und ob er überhaupt jemals wieder erscheinen würde. Im Krieg war er nicht. Das wusste er ganz genau. Darüber verlor seine Frau auch kein Wort. Das Motorrad, hatte sie anfangs gemeint, sei die Ursache allen Übels. Und dass es da Weiber gebe, die gern bei ihm aufsitzen wollten. Danach sprach sie nie mehr davon. Vom Bertl aber redete sie jeden Tag, und hätte sie jemals einen Brief von ihm bekommen, sie hätte ihn Georg gezeigt. Da war er ganz sicher.

      8 IM STURM

      Der Krieg hat so manchen Ortsbewohnern das Leben gekostet und den Bertl der Frau B. in seinen kalten Nebeln verschluckt. Vermisst nennt man das, Frau B. erhält Kenntnis davon in einem Schreiben. Dich hat der Krieg verschont und mir den Bertl genommen, klagt sie bitter, und schaut das Kostkind von der Seite her wie ein noch fremderes an. Die Nachbarin meint beschwichtigend, oft kämen die tot Geglaubten ganz unerwartet und fröhlich wieder, warum denn nicht auch der Bertl. Aber Frau B. hat kein Ohr für das was geredet wird, ihr eigenes Gespür sagt ihr alles. Sie kramt ein Foto von Bertl aus ihrem Nachttisch und nadelt es an die Wand, genau über dem Küchentisch.

      Der Krieg geht seinem Ende entgegen, sagen die Leute. Die Front rückt näher. Bombengeschwader verunsichern das Land, noch mehr die Stadt. Sogar in abgelegenen Gegenden haben die Menschen Angst. Weiter weg sind Bomben gefallen, doch scheint zumindest keiner aus dem Dorf dadurch zu Tode gekommen zu sein. Oder doch? Der Ort, in dem das Haus der Familie B. steht, wirkt jetzt verlassen, still, windig und leer. Ist jemand hier unterwegs, kann einer in seinen Augen Angst und Trauer erblicken. Der Krieg gibt seine Verwundeten ab in die Lazarette, Vermisste per Brief an die Mütter.

      Georg hat seine Bäckerlehre angetreten, mehr als ein halbes Jahr hat er bereits hinter sich, da wird er eines Tages per Post in die Heimatgemeinde beordert. Das Vaterland braucht seine Hilfe. Volkssturm! Der Krieg ist in eine Phase getreten, in der jeder Mann gebraucht wird, auch ein junger, ein alter. Die Lehre ist demnach unterbrochen, die Klassenkameraden im Dorf sind bereits auf der Liste, nur bei Georg dauert es länger weil seine Papiere fehlen. Keine Geburtsurkunde, rein nichts. Also Wartezeit. Jetzt hat Frau B. den Burschen wieder an ihrem Küchentisch sitzen. Der weiß nicht was er tun soll um den Schmerz der Frau B. zu lindern. Fühlt sich unerwünscht in ihrer Nähe und will gleich wieder fort. Wünscht, so wie der Bertl, unauffindbar für sie zu sein um nicht als verschmähter Rest ihrer zerstörten Welt ihr Leid noch zu vergrößern. Doch wäre es wirklich ein Vorteil, würde Georg so wie damals der Bertl, gleich die Einberufung bekommen? Wäre es leichter für die arme Frau, wenn beide Buben vermisst wären oder gar mausetot?

      Die Sechzehnjährigen sind jetzt als letztes Aufgebot zur Verteidigung des Landes berufen. Volkssturm nennt man das? fragt sich Frau B. Die Siebzehnjährigen sind längst fort und doch hat keiner gehört, dass die Gefahr für die daheim Gebliebenen durch deren Einsatz verringert worden wäre.

      Georg weiß immer noch nicht, ob er auch wie die anderen sechzehn ist oder nicht. Wie es scheint wissen die Behörden es auch nicht. Es werde alles genauestens eruiert, man bitte noch um etwas Geduld, erklärt man ihm und Frau B., die das Kostkind vielleicht schon recht gern aus dem Haus gehabt hätte, oder auch nicht. Das Gewünschte wird in wenigen Tagen vorhanden sein. Georg schämt sich für so viel Aufwand seinetwegen. Er, der nicht einmal wissen darf, an welchem Ort nach welchen Papieren gesucht wird, fragt sich freilich auch, wer die Bestätigung seines Daseins so lange hütet. Gibt es überhaupt einen Nachweis für seine Existenz? Muss die Behörde nur wegen des Volkssturms jetzt alles ausfindig machen oder muss sie vielleicht Papiere neu herstellen lassen, weil irgendetwas nicht stimmt an der Sache, weil nirgends etwas rein gar nicht zu finden ist? Warum weiß denn niemand wann Georg geboren ist? Seine Mutter müsste es doch wissen! Warum fragt sie denn keiner?

      Der Bub muss längst das Alter zur Einberufung haben, meinen die Leute. Sei doch ganz gut gewachsen, sehnig und kräftig wie der geworden ist mit den Jahren! Frau B. bleibt Antworten auf solche Reden schuldig, auch sie weiß nicht, wann und wo Georg in diese Welt kam. Aber weiß sie denn wirklich nichts? argwöhnen andere. War nicht vor einiger Zeit ein wildfremdes Auto an ihrem Gartentor stehen geblieben? Ein Auto! Wo doch keiner der Dorfbewohner hier jemals ein Auto gehabt hat? Und ist da nicht eine schlanke schwarzhaarige Frau aus dem schwarz glänzenden Fahrzeug gestiegen, die scheu, wenn nicht verschreckt, um sich geblickt hat? Hat die nicht mit Frau B. dort am Gartentor heimlich getuschelt? Und ist diese Person nicht viel später erst, im Laufschritt der Gartentür der Frau B. entschlüpft …

      Georg schaut fröstelnd in den beinah schon entlaubten Garten hinaus. Hat denn da wirklich einer nach seinem Geburtstag gesucht? Nie hat er jemals Geburtstag gehabt. Andere haben so etwas jedes Jahr. Für ihn ist ein Geburtstag nie denkbar gewesen, nur der Bertl hat den seinen jährlich gefeiert und noch dazu ein Geschenk bekommen. Gibt man einem Kostkind seine Dokumente vielleicht deshalb nicht in die Hand, damit man sich zusätzliche Gaben an ihn erspart? Oder weil dabei Fürchterliches zu Tage käme? Doch egal, was geschrieben steht in solchen Papieren, von Georg werden sie dringlicher erwartet mit jedem Tag, in jedem Fall sind sie wünschenswert.

      Mit zwiespältigen Gefühlen zählt Georg Tage und Wochen, die er im Haus der Frau B. verbringt. Sie meint, für das Kämpfen sei er sowieso viel zu jung. Zu jung, um schon ein Mann zu sein. Der Bertl ja! Der sei einer gewesen. Wieso, verteidigt sich Georg, wieso bin ich kein Mann? Er ist in dem letzten Jahr wieder ein Stück gewachsen, sieht sauber gewaschen aus. Frau B. blickt ihm nach, wenn er aus und ein geht bei ihr und wischt sich immer wieder die Augen. Wegen Bertl muss sie weinen, nicht wegen Georg. Das wissen die Nachbarin und alle anderen Dorfbewohner auch. Sie betrachten Georg scheu und nie ohne Nachdenklichkeit. Jetzt geht er bald fort. Wird ja vermutlich auch bereits sechzehn sein.

      In Wahrheit ist das ein längst verlorener Krieg, klagen die Nachbarn. Dass dieser auch mit Georg und seinen Altersgenossen keineswegs zu gewinnen sein kann, haben alle begriffen. Die Burschen sind herausgeholt worden aus ihren Nestern und so, wie sie da standen, begutachtet, registriert. Der Volkssturm hat alle Sechzehnjährigen mit sich gezogen und zögert so lang nur bei Georg. Bis endlich einer der wichtigen Männer der Dorfgemeinde in der Amtsstube ihm alles Nötige überreicht. Mit der trockenen Erklärung, die vorliegenden Papiere seien ab nun die seinen.

      Georg schämt sich für seine Aufregung, seine Hilflosigkeit. Sein Herz klopft wie wild. Da, deine Geburtsurkunde! sagt der Mann. Du bist zwar erst fünfzehn, aber bald wirst du sechzehn sein. Du freust dich doch, dass du jetzt Dokumente hast wie alle anderen? Weißt ab nun, wer du bist und woher du kommst, wann geboren und wo, und auch, wo du jetzt hingehörst. Kannst also ruhig zum Volkssturm gehen. Das sagt er launig und drückt Georg die kostbaren Papiere in die schweißnasse Hand. Hat einige Zeit gedauert und eine Menge Arbeit gemacht, fügt er hinzu. War nicht einfach, das zu bekommen. Deine Heimat ist nämlich nicht dieser Ort, sondern ein anderer.

      Was? Laut aufschreien darf Georg hier nicht, nur erschrocken ist er. Nimmt seine Stimme gleich wieder zurück. Und wo …? Er greift nach einer Stuhllehne, die in Reichweite steht, um sich festzuhalten, fühlt sich elend und ziemlich getroffen. Wo … gehöre ich hin?

      Das steht’s eh g’schrieben, lacht der Mann, schaut in eine aufgeschlagene Mappe und wird fast ein wenig verlegen dabei. Wirst es gleich selber lesen. Darauf weiß Georg nichts zu sagen. Was denn auch. Wenn anderswo sein Wohnort ist, wieso steht er dann hier? Die Papiere zittern in seiner Hand, er fürchtet sich sie vor die Augen zu heben. Und was, wenn hier behauptet wird, er ist gar nicht der, für den er sich hält? Immerhin, zumindest der Name stimmt. Georg. Der andere Name auch. Und da steht …, wahrhaftig! Da steht auch der Name einer Frau, vermutlich derjenigen, die ihn geboren hat. Röte steigt auf in Georgs Gesicht, in die Augen. Schwach werden ihm Hand und Knie. Stehend liest er den Namen der Frau, die ihn nicht so wie der Märchenstorch mit dem Schnabel gebracht, sondern mit Menschenhänden irgendwo hingelegt und dort einfach liegen gelassen hat. Sie selber ist fortgegangen. Irgendwohin. Sein Geburtsort ist die Stadt, dieselbe, aus der er eben gekommen ist, wo er als Lehrling gewerkt und gewohnt hat. Gehört er … dorthin …?

      Nein, dorthin auch nicht. Georg kann nicht lachen, obwohl

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