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      Aber das Wissen um eine neue Generation von Tierhütern, die auch künftig dafür Sorge tragen würde, dass sich Menschen und Tiere würden verständigen können, nahmen die Tiere des Waldes mit großer Freude und Erleichterung auf.

       *

      Einige Tage nach der Geburt der Zwillinge tauchte indessen Familie Bär an der Hütte der Tierhüter auf.

      Tibitus und Tibiteas Eltern gingen den Besuchern entgegen und verwandelten sich im Gehen in Bären, um mit den Neuankömmlingen sprechen und sie begrüßen zu können.

      Nach dem ersten freundschaftlichen Gebrumm kam Mamma Bär zur Sache.

      Sie zog zwei unscheinbare und offensichtlich sehr alte und abgetragenen Ledertaschen, an denen zum Umhängen jeweils eine lange, geflochtene Lederkordel befestigt war, hervor und überreichte diese den erstaunten Tierhütern.

      Papa Bär erklärte dazu:

      „Seit vielen Generationen von Bären sind diese Taschen im Besitz unserer Sippe. Wir haben immer gut auf sie aufgepasst.

      Sie gehörten zwei Tierhütern, so wie ihr es seid, einem Mann und einer Frau, die lange Zeit zusammen mit unseren Vorfahren in unserer Bärenhöhle gelebt, und die stets dafür Sorge getragen hatten, dass es Familie Bär gut ging.

      Wir wissen heute nicht mehr, woher die beiden kamen. Wir wissen auch nicht mehr, was sie dazu bewogen hat, sich aus der Welt der Menschen und der anderen Tiere zurückzuziehen und sich unserer Sippe anzuschließen.

      Aber in unserer Familie hat man immer nur mit der größten Hochachtung von diesen Menschen gesprochen.

      Wenn die beiden allerdings etwas benötigten, was es in unserer Bärenbehausung nicht gab, mussten sie nur in eine dieser Taschen greifen und konnten sich alles, was sie brauchten, daraus hervorziehen.

      Als die beiden alt und gebrechlich geworden waren, hatten sie unseren Vorfahren eingeschärft, immer gut auf diese Taschen zu achten.

      Sie prophezeiten, dass eines Tages in unserem Wald zwei Tierhüterkinder, ein Junge und ein Mädchen, aus demselben Mutterleib am selben Tag geboren würden. Nur für diese seien die Taschen bestimmt.

      Danach waren die beiden Alten spurlos verschwunden.

      Unsere Vorfahren haben lange versucht, ebenfalls etwas aus den Taschen zu ziehen, um sich ihre Wünsche zu erfüllen. Aber stets erfolglos.

      Seit vielen Generationen wissen wir, dass es uns Bären nicht bestimmt ist, diese Taschen zu besitzen. Aber die Achtung, die unsere Vorfahren diesen zwei alten Menschen entgegengebracht hat, ist bei Familie Bär bis heute lebendig geblieben.

      Ihr habt uns in diesem Winter das Leben gerettet, als die Menschen aus dem Tal kamen und den Wald vor unserer Höhle mit Feuer roden wollten, um dort Felder anzulegen. Hättet ihr diesen Menschen nicht Einhalt geboten, hätten wir elendiglich am Rauch ersticken oder verbrennen müssen. Zum Dank sollen jetzt eure Kinder, auf welche die alte Prophezeiung zutrifft, diese Taschen bekommen.“

      Nach dieser langen Rede drehten sich Papa und Mama Bär um, brummten noch einige Male freundlich zum Abschied und trotteten zurück in den Wald.

      Zurück ließen sie zwei alte Ledertaschen, die von Tibitus und Tibiteas Mutter sorgsam in Verwahrung genommen wurden.

      An die Geschichte mit der Prophezeiung und der Fähigkeit der Taschen, Wünsche zu erfüllen, wollten jedoch weder der Vater noch die Mutter glauben, erst recht nicht, als beide erfolgslos versucht hatten, etwas aus den Taschen zu ziehen, aber außer einer Hand voll staubiger und nach altem Leder riechender Luft nichts daraus hervorzubringen wussten.

      Das änderte sich aber, als Tibitu und Tibitea zwei Jahre alt waren und sich tapsig ihren Weg durch das Haus suchten.

       Wollt ihr wissen, was an jenem Tag geschah?

      Eines Nachmittags suchte die Mutter nach ihren Zwillingen und hörte sie in der Vorratskammer plappern und lachen. Als sie die Tür öffnete, glaubte sie, ihren Augen nicht trauen zu dürfen.

      Tibitu und Tibitea saßen auf dem Fußboden. Zwischen ihnen lagen die beiden Taschen, die sie aus der unteren Schublade eines Schrankes gezogen hatten.

      Um die Kinder herum lagen jede Menge Dinge, die es vorher – was niemand besser als die Mutter wusste – niemals im Haushalt der Tierhüter gegeben hatte.

      Als die Mutter dann mit eigenen Augen sah, wie Tibitea ein kleines Holzpferd aus einer der Taschen zog, so eines, wie sie sich immer gewünscht hatte, wurde es der Mutter klar, dass die Geschichte der Bären vom ersten bis zum letzten Wort wahr gewesen war.

      Als auch später, im Beisein des Vaters, sowohl Tibitu wie auch Tibitea fast jeden Gegenstand, den sie sich wünschten, aus der Tasche ziehen konnten, schwiegen alle Zweifel.

       *

      Indessen gelang es keinem anderen Familienmitglied, die wundersamen Kräfte der Tasche zu mobilisieren. Nur Tibitu und Tibitea waren dazu im Stande.

      Auch hatten die Taschen offensichtlich eine eigene Meinung, was sie preisgaben und was nicht. Problemlos gaben sie Nahrungsmittel, Süßigkeiten, Spielsachen oder Gebrauchsgegenstände her, wenn eines der Kinder Hunger hatte oder gerade etwas anderes, zum Beispiel ein Kleidungsstück, dringend benötigte.

      Genauso konsequent verweigerten die Taschen ihren Dienst, wenn die Kinder etwas daraus hervorziehen wollten, was nur gewünscht wurde, um anzugeben oder um unnötigen Überfluss anzuhäufen.

      Das führte dazu, dass Tibitu und Tibitea im Laufe einer nur sehr kurzen Zeit ein sehr gutes Gespür dafür entwickelten, was sie wirklich benötigten und was nicht.

      Allerdings schienen die beiden Zaubertaschen auch einen gewissen Sinn für Humor zu haben.

      Denn wenn vor allem Tibitu etwas benötigte, um seiner Umgebung einen lustigen Streich zu spielen, verweigerte ihm seine Tasche nie den Dienst und unterstützte Tibitu bei selbst dem ärgsten Schabernack.

       Doch jetzt wollt ihr sicher wissen, wie es mit Tibitu weiterging, der sich heimlich und allein des Nachts auf den Weg gemacht hatte.

       Siebtes Kapitel

      Tibitu hatte sich für seinen Plan eine gute Nacht ausgesucht. Es war klar und die Sterne funkelten in aller Pracht. Zusammen mit einem hell schimmernden Vollmond milderten sie die Schwärze der Nacht und gaben dem einsamen Wanderer ausreichend Licht, um seinen Weg nach Westen, wo der Drache gesichtet worden war und wo, wie allgemein bekannt war, die Donnerberge lagen, nicht zu verfehlen.

      Tibitu kannte sich aus mit den Sternen und wusste, dass er sich nicht verlaufen würde. Er hatte von Kind auf von seinem Vater und von seinem älteren Bruder Tiba gelernt, wie man sich auch nachts zurechtfindet.

      Er schritt daher munter aus und verlor auch nicht einen kurzen Augenblick lang die Richtung nach Westen, wo nach den Erzählungen des Vaters hinter den Donnerbergen der fürchterliche Drache sein Unwesen treiben solle. In seinem entschlossenen Eifer bemerkte er nicht, dass ihn ein kleiner, dunkler Schatten verfolgte.

       *

      Als er einige Zeit so gegangen war, übermannte ihn die Müdigkeit. Er suchte sich ein geschütztes Nachtlager unter einem dichten Weidengestrüpp nahe einem kleinen munteren Flüsschen und streckte sich auf einem Lager aus weichem Moos aus. Kurz bevor ihm die Augen zufielen, blickte er nach oben.

      Auf einem Ast direkt über seinem Lagerplatz leuchteten zwei gelbe Augen in der Dunkelheit und starrten ihn an.

      Unter diesen Augen sah Tibitu im diffusen Licht des Mondes kräftige, spitze Krallen, die den Ast über ihm mit sicherem Griff umklammert hielten.

      Als sich seine Augen noch besser an das schwache Licht gewöhnt hatten, erkannte Tibitu zwischen den beiden funkelnden Augen einen kräftigen, gebogenen Schnabel und ein dunkles Federkleid.

      „Hallo Frau Schleiereule!“, murmelte Tibitu

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