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weil sie traurig ist“, dachte Tibitu nun selber traurig.

      Tibitu wusste aus Erfahrung, dass es ihm nicht gelingen würde, Tibitea aufzuspüren, wenn sie in dieser Stimmung war. Resigniert ließ er die Schultern hängen, verwandelte sich in einen Spatz und flog auf den Dachfirst. Von dort aus betrachtete er, allein mit seinem Kummer, den restlichen Nachmittag die Umgebung, wobei er hin und wieder ein schrilles, missmutiges Tschilpen ausstieß und mit seinem Schnabel sein braunes Federkleid putzte.

       Viertes Kapitel

      Die Sonne stand schon tief, als Tibitu, der immer noch als Spatz verwandelt auf dem Dachfirst saß, aus dem nahen Wald eine schöne Stute heran galoppieren sah. Die Stute bremste aus vollem Lauf ab, warf ihre Vorderläufe in die Höhe und war plötzlich von einer hellen Wolke umgeben.

      Das Bild des schönen Tieres verblasste und aus dem Nebel tauchte Tibitus Mutter auf, die kurz ihre blonden Locken schüttelte, dann aber sofort prüfend ihren Blick über den Hof schweifen ließ.

      Als sie ihren Blick nach oben wandte und den Spatzen auf dem Dachfirst sitzen sah, lächelte sie. Ein zweites Mal lächelte sie, als sie den Boden, direkt unter dem Dachfirst, auf dem Tibitu saß, musterte. Jetzt wusste Tibitu, wo sich seine Schwester versteckt hatte.

      Er hatte sich nie erklären können, wie seine Mutter dies anstellte. Aber ihr konnten weder er noch Tibitea etwas vormachen. Egal in was sie sich auch verwandelten. Ihre Mutter erkannte sie sofort und in jeder Gestalt.

      „In einer halben Stunde kommen Vater und Tiba. Dann gibt es Abendessen!“, rief Mutter und verschwand aus Tibitus Blickfeld. Kurz darauf hörte man es unten im Haus klappern. Aus dem Schornstein kräuselte sich ein dünner Rauchfaden.

       *

      Tibitu hob seine Flügel und flatterte auf den Boden, wo er sich wieder zurück in Tibitu verwandelte.

      „Es tut mir von Herzen leid, Tea!“, sprach er in die Richtung, in der er seine Schwester vermutete.

      In einem kunstvoll gewebten Spinnennetz bildete sich eine kleine Wolke. Das Spinnennetz zerriss. Dann stand Tibitea vor ihm.

      „Es tut mir wirklich leid, Tea!“, wiederholte Tibitu und freute sich über das Lächeln, das plötzlich wieder in Tibiteas Gesicht erschien.

      Hand in Hand gingen sie in das Haus, wuschen sich und halfen der Mutter beim Eindecken des Tisches.

      Kurz darauf kamen auch der Vater und Tiba, ihr älterer Bruder, zurück, der Vater als mächtiger Adler und Tiba an seiner Seite als flinker Habicht.

       Fünftes Kapitel

      Später beim Abendessen zog der Vater seine Stirn in sorgenvolle Falten.

      „Was ist los? Was hast du?“, fragte die Mutter mit besorgtem Unterton in der Stimme.

      „Der Drache ist wieder gesehen worden. Familie Schwalbe hat ihn zuerst gesehen. Auch die Wildschweine an der westlichen Grenze des Waldes haben ihn gesichtet“, antwortete der Vater bedächtig und fügte sogleich hinzu:

      „Er ist über die Donnerberge gekommen und hat die Grenze des Waldes überflogen.

      Dabei hat er abwechselnd Feuer gespuckt und ein schrilles Kreischen ausgestoßen.

      Ebenso plötzlich, wie er aufgetaucht war, drehte er dann ab und verschwand wieder in Richtung der Donnerberge.

      Alle Tiere haben fürchterliche Angst vor ihm gehabt.“

      „Was bedeutet dieses Kreischen?“, fragte Tiba.

      „Das weiß niemand!“, schüttelte der Vater den Kopf.

      „Niemand versteht die Drachensprache. Und ich kenne auch keinen Tierhüter, der sich in einen Drachen verwandeln kann.“

      „Vielleicht können Drachen überhaupt nicht sprechen. Vielleicht können wir Tierhüter uns deswegen nicht in einen Drachen verwandeln.“, meldete sich nun Tibitea, die bislang nur still dagesessen hatte, eifrig zu Wort.

      „Das ist gut möglich!“, lächelte der Vater sie an.

      „Aber mach dir keine Sorgen, meine Kleine. Der Drache ist zwar riesig groß. Bis an unsere Hütte traut er sich aber nicht heran. Hier seid ihr sicher.“

      „Aber wir können doch wegen dieses Drachens nicht Tag und Nacht die Waldgrenze im Westen bewachen.“, warf nun die Mutter ein.

      „Es gibt doch noch so viel anderes zu tun! Bald ist auch das Tierfest. Stell dir vor, alle Tiere sitzen friedlich zusammen und dann greift der Drache an!“

      „Das ist schon richtig.“, gab der Vater zu.

      „Wir werden uns etwas einfallen lassen müssen. Denn wir können unsere Tiere nicht ohne Schutz lassen.“

      „Hat es so etwas, wie diesen Drachen schon einmal gegeben, oder ist dieser Drache einmalig?“, wollte Tiba wissen.

      „Vor vielen Jahren ist unter den Fischen des Flusses eine Erzählung umgegangen, dass ein Tier, auf das die Beschreibung eines Drachen passen würde, den Fluss herunter getrieben worden sein soll. Es soll rot-grün gewesen sein. Und es war tot.“, erläuterte der Vater mit einem bedächtigen Kopfschütteln.

      „Ich bin mir bis heute nicht sicher, ob ich diese Geschichte glauben soll, auch wenn mir Papa Wels, den ich damals danach gefragt hatte, bei seinen langen Barteln geschworen hat, dass er dieses Tier im Fluss hat treiben sehen. Ich denke, wir werden das nie genauer erfahren.“, schloss der Vater seine Erzählung.

       *

      Tibitu hatte sich von dieser Unterhaltung kein Wort entgehen lassen. Zuerst hatte er geglaubt, sein Vater habe mit der Geschichte vom Drachen nur deswegen angefangen, um ihm und Tibitea einmal mehr einzuschärfen, ja nicht das Gebiet der Hütte zu verlassen.

      Aber die ernste Sorge für die anderen Tiere des Waldes in den Worten seines Vaters, brachte Tibitu zu der Überzeugung, dass an der Geschichte mit dem Drachen doch mehr dran sein musste, als er bisher geglaubt hatte.

      Während sich seine Familie noch über den Drachen, dessen Eindringen in das Waldgebiet und die zu treffenden Maßnahmen unterhielt, reifte in Tibitu ein verwegener Entschluss.

      Er würde sich allein auf den Weg nach Westen machen und in das Gebiet der Donnerberge eindringen. Alles andere würde sich dann schon finden.

      Dann würde er dem Drachen ordentlich die Meinung sagen und ihm ein für allemal verbieten, die anderen Tiere zu ängstigen. Das konnte doch nicht so schwer sein.

      In diese und andere Gedanken versunken, räumte er mit Vater und Tiba zusammen den Tisch ab.

       *

      Später, als alle schon zu Bett gegangen waren, stellte sich Tibitu nur schlafend und wartete ungeduldig die Zeit ab, bis Tibitea, mit der er sich das Zimmer teilte, tief und fest atmete. Leise, um seine Schwester nicht zu wecken, stand er auf, schnappte sich seine Kleider und seinen Zaubersack und schlich sich aus dem Haus.

      Erst, als er die Hütte schon ein ganzes Stück hinter sich gelassen hatte, zog er sich an, hängte sich seinen Zaubersack um und nahm entschlossen seinen Weg auf, schnurstracks nach Westen, in jene Richtung, in welcher nach den Erzählungen des Vaters der Drache gesichtet worden war.

       Sechstes Kapitel

       Ja! Ihr habt richtig gehört. Ein Zaubersack! Ein richtig echter Zaubersack. Ich bin mir sicher, ihr wollt jetzt wissen, was es damit auf sich hat.

       Das geschah nämlich so:

      Als Tibitu und Tibitea frisch geboren waren, sprach sich dies unter den Tieren des Waldes wie ein Lauffeuer herum.

      „Unsere Tierhüter haben Zwillinge bekommen!“, tuschelte es allenthalben und alle Tiere, die Großen wie die Kleinen, freuten sich. Nicht in erster Linie für Tibitus und Tibiteas Eltern, die schließlich Nachwuchs

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