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Tier, in das sie sich damals verwandeln konnte. Mit einem eleganten Satz setzte sie über den Zaun. Ihre scharfen Katzenaugen hatten die flüchtende Maus sofort erspäht. Ein paar rasche Sätze und ein letzter Sprung! …

      Kurz darauf saß die Katze schnurrend auf Tibitus Schoß, die Krallen noch in seine Jacke geschlagen. Tibitu schnappte heftig nach Luft. Gleich darauf verwandelte sich auch Tibitea in einer kleinen Nebelwolke wieder zurück in Tibitea.

       *

      „So ein Mist!“, schimpfte Tibitu.

      „Jetzt hab` ich dich doch gekriegt!“, triumphierte Tibitea und warf lachend ihren Kopf zurück, wobei ihr blonder Haarbusch lustig hin und her wippte.

      Du hast mich nur gekriegt, weil es nicht geklappt hat, dass ich mich in einen Hund verwandelt habe.“, murrte Tibitu und verzog sein Gesicht zu einer schmollenden Grimasse, was nicht so recht gelingen wollte, weil seine Mundwinkel immer lächelnd nach oben zeigten.

      Doch wollte er es jetzt wissen.

      „Ich verwandle mich jetzt in einen Hund!“, kündigte er laut an, sprang auf und schüttelte sich.

      Gleich darauf nahm sein Gesicht eine längliche Form an und seine Ohren wurden spitz. Sein Körper überzog sich mit einem flauschigen Hundefell. Er ging nieder auf alle Viere und aus seinen Händen und Füßen formten sich Pfoten.

      Doch dann schien es einen Augenblick lang, als habe sich ein Schleier aus Nebel über ihn gelegt. Das Bild des Hundes verpuffte.

      Aus dem Nebelschleier verflüchtigte sich für einige Augenblicke ein bitter-süßer Geruch. Kurz darauf saß Tibitu wieder in Gestalt eines kleinen Jungen auf der Wiese.

      Das Fell war verschwunden. Aus den Pfoten waren wieder Hände und Füße geworden. Und das Gesicht unter den blonden Haaren mit den blauen Augen, der spitzen Nase und dem ewigen Lächeln war eindeutig Tibitus Gesicht.

      „So ein Mist!“, schimpfte er erneut und schlug wütend mit der Faust auf den Boden.

      Tibitea betrachtete ihn missbilligend, stemmte die Hände rechts und links in die Hüften und legte schließlich ihren Kopf auf die rechte Seite.

      „Papa hat doch gesagt, dass wir noch nicht groß genug sind, uns in einen Hund zu verwandeln!“, belehrte sie ihren Bruder mit einem Tonfall in der Stimme, der Tibitu irgendwie an seine Mutter erinnerte, deren Stimme den gleichen Tonfall annahm, wenn sie mit etwas, was der Vater oder er und seine Geschwister getan hatten, nicht einverstanden war.

      „Na klasse!“, dachte er missmutig. „Erst hat die Verwandlung in einen Hund nicht geklappt und jetzt bekomme ich auch noch eine Strafpredigt!“

      Um die zu erwartenden Vorwürfe von sich abzulenken, beschloss er, einen anderen Schuldigen zu finden.

      „Ach Papa!“, winkte er deswegen betont lässig ab. „Papa will doch nur nicht, dass wir uns in etwas wirklich Großes verwandeln.“

      „Wie kannst du nur so etwas Gemeines über Papa sagen, Tibitu!“, kam er damit bei seiner Schwester gar nicht gut an.

      „Du weißt genau, dass es Papa immer gut mit uns meint. Hat er uns nicht bis jetzt alles gezeigt, was wir schon können. Ohne Papa könntest du dich nicht einmal in einen Regenwurm verwandeln! Hörst du!“

      Tibitu wusste schon, dass Tibitea recht hatte. Doch er hatte sich geärgert. Zuerst hatte ihn Tibitea beim Fangenspielen erwischt. Dann hatte die Verwandlung in den Hund nicht geklappt.

      Und jetzt das Schlimmste: Tibitea hatte recht. Das wollte Tibitu nicht auf sich sitzen lassen.

      Anstatt aber nun einfach zu sagen: „Du hast recht, Tibitea. Tut mir leid!“, hörte sich Tibitu weiter schimpfen.

      „Papa!, Papa! Ich höre immer nur Papa! Wenn Papa das gewollt hätte, könnten wir uns schon lange in einen Hund oder in ein noch größeres Tier verwandeln. Er will das bloß nicht.

      Deswegen, nur deswegen zeigt er uns nicht, wie das geht!“

      Tibitu war zwischenzeitlich in Fahrt. Tief holte er Luft und blies sich auf. Sein ausgestreckter Zeigefinger stieß immer wieder in Richtung Tibitea, die ihn fassungslos aus ihren großen, grünen Augen anstarrte.

      Doch auch jetzt dachte Tibitu nicht daran, sich zu mäßigen.

      „Das ist genauso, wie diese dumme Geschichte mit dem Drachen, die er uns immer auftischt!

      Hörst du Tibitea! Mit dem Drachen! Den hat Papa doch auch nur erfunden, damit wir Angst bekommen und hier bei der Hütte bleiben!“

      In Tibiteas Augen erschienen Tränen, die ihr kurz darauf über die Wangen kullerten.

      „Du bist so gemein zu Papa!“, brachte sie noch hervor. Dann drehte sie sich um und rannte davon.

      Tibitu blickte ihr erschrocken nach. Das hatte er nicht gewollt.

      „Tibitea!“, rief er ihr laut hinterher. Doch vergebens. Er sah, wie seine Schwester im Laufen heftig ihren Kopf schüttelte, bis sie hinter der Hausecke verschwunden war.

       *

      Tibitu stand mit hängendem Kopf da. Jetzt hatte er ein schlechtes Gewissen. Weder Papa noch Tibitea konnten etwas dafür, dass er sich hatte von Tibitea fangen lassen. Eigentlich hatte er auch gewusst, dass er die Verwandlung in einen Hund noch nicht beherrschte. Und jetzt hatte er deswegen Streit mit seiner geliebten Schwester.

      Doch dann schoss ihm plötzlich ein anderer Gedanke durch den Kopf.

      Eigentlich war doch Tibitea an allem schuld war. Sie hätte nicht einfach weglaufen dürfen. -Genau! - Das war es. Tibitea hätte ihn nicht einfach stehen lassen dürfen. Dann würde er sich jetzt nicht so allein, so schuldig und so schlecht fühlen.

      Missmutig blickte er sich um. Neben ihm tanzte summend ein Schwarm Mücken in der Luft.

      Tibitu beschlich ein fürchterlicher Verdacht. Kurz entschlossen verwandelte er sich selber in eine Mücke.

      Da hatte er es! Der ganze Schwarm lachte ihn aus!

      „Bsssss…Hihihi…Habt ihr das gesehen, hihihi! Ein Wauwauhund, hihihi. Wie schön er auf seine spitze Nase gefallen ist, der kleine Mann, hihihi…“, ging es in einem fort. Die in der Luft tanzenden Mücken amüsierten sich köstlich über seinen Fehlversuch.

      Für einen kurzen Augenblick dachte Tibitu in seiner Wut und Enttäuschung daran, sich in eine Schwalbe zu verwandeln und auf Mückenjagd zu gehen.

      Doch dann erinnerte er sich rechtzeitig daran, dass ihm seine beiden Eltern vom ersten Tag seiner Ausbildung zum Tierhüter an eingeschärft hatten, dass man seine Macht als Tierhüter nie missbrauchen dürfe.

      Dass man sich nie, gar nie, gleich aus welchem Grund, in ein größeres Tier verwandeln dürfe, um ein kleineres Tier zu erschrecken oder dieses gar zu jagen.

      Wie aus dem Nichts bildete sich ein feiner Nebel und Tibitu stand wieder als kleiner Junge auf der Wiese, allein und umsummt von tanzenden Mücken, die ganz offensichtlich ihren Spaß hatten. Von Tibitea war nichts mehr zu sehen.

       Habt ihr schon einmal ein richtig schlechtes Gewissen gehabt, weil ihr jemand anderem Unrecht getan habt? Dann wisst ihr, wie sich Tibitu jetzt fühlte.

      Mit trotzig gesenktem Kopf, aber kein bisschen getröstet von seinen Gedanken, schlenderte er missmutig zurück zum Haus. Je länger er ging, desto mehr fiel sein Zorn in sich zusammen. Desto mehr erkannte er, wie ungerecht er zu Tibitea gewesen war.

      Als er schließlich um die Hausecke bog, hinter der Tibitea verschwunden war, schämte er sich zutiefst für sein Verhalten. Er musste sich unbedingt bei Tibitea entschuldigen.

      So sehr er jedoch suchte. Von Tibitea war keine Spur zu entdecken.

      „Tibitea!“, rief er leise. Doch er bekam keine Antwort.

      „Tea! Es tut mir leid!“, brachte er etwas lauter hervor. Aber Tibitea blieb verschwunden.

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