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beseitigt.

      Insoweit läge ein Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden vor.

      Art. 78 Abs. 2 LVerf garantiert das Selbstverwaltungsrecht nur im Rahmen der Gesetze. Das Selbstverwaltungsrecht gilt also nicht uneingeschränkt. Der Gesetzgeber darf das Selbstverwaltungsrecht grundsätzlich einschränken. Der Regelungsbefugnis des Gesetzgebers sind allerdings Grenzen gesetzt („Schrankenschranken").

      Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der „Kernbereich" der Selbstverwaltung unantastbar. Der Wesensgehalt der Selbstverwaltung darf nicht „ausgehöhlt" werden. Im „Randbereich" der Selbstverwaltung muss den Gemeinden (nach dem Eingriff) ausreichender Gestaltungsspielraum bleiben.

      Bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit eines gesetzlichen Eingriffs ist also zunächst zu prüfen, wie wesentlich der Eingriff ist. Ein Eingriff in den Kernbereich (Wesensgehalt) der Selbstverwaltung ist immer verfassungswidrig und damit unzulässig. Ein Eingriff in den Randbereich der Selbstverwaltung ist verfassungsgemäß und somit zulässig, wenn er verhältnismäßig ist.

      Ein gesetzlicher Eingriff ist verhältnismäßig, wenn er

      -einen legitimen Zweck verfolgt,

      -geeignet ist,

      -erforderlich und

      -angemessen ist.

      Ein legitimer Zweck wird verfolgt, wenn der Zweck dem Allgemeinwohl dient. Geeignet ist die Eingriffsmaßnahme, wenn der mit dem Eingriff verfolgte Zweck damit erreicht oder zumindest gefördert wird. Erforderlich ist der Eingriff, wenn es kein minder beeinträchtigendes Mittel gibt, um den Eingriffszweck zu erreichen. Angemessen ist die Maßnahme, wenn der angestrebte Zweck und der Nachteil, den die Gemeinden durch den Eingriff erleiden, in einem ausgeglichenen Verhältnis stehen.

      Es ist daher zu prüfen, wie wesentlich der Eingriff durch die beabsichtigte GO-Änderung wäre.

      Die Gesetzesänderung würde in einem wesentlichen Teilbereich der Organisationshoheit, nämlich der Wahl der eigenen Organe, das Recht auf Selbstverwaltung nicht nur beschränken, sondern teilweise total beseitigen. Im Falle der Anwendung der beabsichtigten Gesetzesregelung gäbe es Gemeinden mit staatlich eingesetzten Organwaltern, die mehrere Jahre (je nach Zeitpunkt des vorzeitigen Ausscheidens des Amtsvorgängers) als Bürgermeister der betroffenen Gemeinden amtieren würden, ohne durch die Bürgerschaft legitimiert zu sein. Nach § 40 Abs. 2 Satz 1 GO wird die Bürgerschaft u.a. durch den Bürgermeister vertreten. Dieses elementare Recht der Bürger, ihre Vertretung (Art. 28 Abs. 2 Satz GG) zu wählen, wäre u. U. für einen durchaus nicht unerheblichen Zeitraum nicht mehr vorhanden.

      Die beabsichtigte Änderung des § 65 GO würde insoweit einen Eingriff in den Kernbereich der Selbstverwaltung darstellen. Dieser Eingriff wäre verfassungswidrig und damit unzulässig.

      Die Verfassungsbeschwerde wäre insoweit begründet.

      Die Verfassungsbeschwerde hätte folglich bezüglich der Regelung über die Nachfolgebestimmung Aussicht auf Erfolg.

      Anmerkung: Es empfiehlt sich im Zusammenhang mit der Nachbearbeitung des 1. Falles das Urteil des VerfGH NRW vom 15. Januar 2002 - VerfGH 40/00 - NWVBl. 2002, 1502 zu lesen.

      2. Fall: Aufgaben der Gemeinde, Anweisung zur Beanstandung eines Ratsbeschlusses

      Sachverhalt

      Da in der Praxis und in der öffentlichen Diskussion in letzter Zeit wiederholt über unzureichende Lebensmittelkontrollen geklagt worden ist, beschloss der Rat der kreisangehörigen Stadt St, in eigener Regie Lebensmittelkontrollen aufgrund des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches (LFGB) durchzuführen. Der Bürgermeister beabsichtigt, zur wirksamen Umsetzung dieses Beschlusses u.a. zwei Lebensmittelkontrolleure für das Ordnungsamt einzustellen. Die stellenplanmäßigen Voraussetzungen dafür liegen vor.

      Die zuständige Aufsichtsbehörde erhält Kenntnis von dem Beschluss und weist den Bürgermeister an, den Beschluss zu beanstanden.

      Aufgabe

      Ist diese Anweisung rechtmäßig?

      Lösung

      Nach § 122 Abs. 1 Satz 1 GO kann die Aufsichtsbehörde den Bürgermeister anweisen, Beschlüsse des Rates, die das geltende Recht verletzen, zu beanstanden. Die Anweisung wäre also rechtmäßig, wenn der Ratsbeschluss rechtswidrig wäre.

      Nach § 2 GO sind die Gemeinden in ihrem Gebiet ausschließliche und eigenverantwortliche Träger der öffentlichen Verwaltung, soweit Gesetze nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmen. Das bedeutet, dass die Gemeinden grundsätzlich berechtigt sind, in ihrem Gebiet sämtliche öffentlichen Aufgaben wahrzunehmen. Nur in den Fällen, in denen Gesetze etwas anderes bestimmen, ist ihnen dies untersagt.

      Eine solche gesetzliche Bestimmung könnte § 1 des Gesetzes über den Vollzug des Lebensmittel-, Futtermittel- und Bedarfsgegenständerechts NRW (LFBRVG NRW) sein. Danach obliegt der Vollzug des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches (LFGB), also auch die Lebensmittelkontrolle, den Kreisordnungsbehörden als Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung.

      Die Aufgaben der Kreisordnungsbehörden nehmen nach § 3 Abs. 1 OBG die Kreise und kreisfreien Städte wahr.

      Die Stadt St ist eine kreisangehörige Stadt. Der Ratsbeschluss verstößt somit gegen § 1 LFBRVG NRW i. V. m. § 3 Abs. 1 OBG.

      Die Anweisung der Aufsichtsbehörde, den Ratsbeschluss zu beanstanden, ist folglich rechtmäßig.

      3. Fall: Aufgaben, Konnexitätsprinzip

      Sachverhalt

      Der Landtag des Landes NRW erlässt ein „Gesetz zur sozialpädagogischen Betreuung an allgemeinbildenden Schulen". Danach sind die Gemeinden als Schulträger verpflichtet, an jeder Schule in gemeindlicher Trägerschaft mindestens eine Vollzeitstelle für die sozialpädagogische Betreuung der Schülerinnen und Schüler einzurichten und entsprechendes Fachpersonal einzustellen. Hinsichtlich der Kosten sieht das Gesetz folgende Regelung vor: „Die Kosten trägt die Gemeinde".

      Die Gemeinden begrüßen grundsätzlich die verpflichtende Einführung einer sozialpädagogischen Betreuung an allen Schulen. Sie halten allerdings die Kostenregelung für verfassungswidrig.

      Aufgabe

      Ist die Auffassung der Gemeinden bezüglich der Kostenregelung zutreffend?

      Anmerkung: Die Verfassungskonformität (neue Aufgabe mit Personalverpflichtung) ist zu unterstellen und nicht zu prüfen.

      Lösung

      Die Kostenregelung wäre nicht verfassungsmäßig, wenn diese neue Aufgabe zu einer wesentlichen Belastung der betroffenen Gemeinden führen würde. Nach Art. 78 Abs. 3 Satz 1 LVerf i. V. m. § 3 Abs. 4 Satz 2 GO ist bei der Übertragung neuer Aufgaben, die zu einer wesentlichen Belastung der betroffenen Gemeinden führen, durch das Gesetz aufgrund einer Kostenfolgeabschätzung ein entsprechender finanzieller Ausgleich für die entstehenden notwendigen durchschnittlichen Aufwendungen zu schaffen (striktes Konnexitätsprinzip).

      Die Verpflichtung, pro Schule eine sozialpädagogische Vollzeitstelle dauerhaft zu schaffen, bedeutet eine wesentliche Belastung der gemeindlichen Haushalte. Folglich bedarf es einer gesetzlichen finanziellen Ausgleichsregelung. Die bloße Feststellung der Kostenträgerschaft („die Kosten trägt die Gemeinde") genügt der Anforderung der Schaffung eines gesetzlich geregelten finanziellen Ausgleichs nicht.

      Die Kostenregelung ist somit nicht verfassungsgemäß.

      4. Fall: Gleichstellungsbeauftragte

      Sachverhalt

      Die Gemeinde G hat im Mai vergangenen Jahres die 10.000-Einwohnermarke überschritten. Zurzeit hat sie 10.103 Einwohner. Der Bürgermeister hat nach anfänglichem Zögern auf Drängen aller im Rat vertretenen Fraktionen die Stelle zur Wahrnehmung der Aufgabe zur Gleichstellung von Frau und Mann hausintern ausgeschrieben. Daraufhin ging lediglich die Bewerbung von Paul P ein. P ist Gemeindehauptsekretär und

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