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die Daten 2., 3. und 4. August tragen. Gegen 18 Uhr 30 legt er den Füller schwer auf die Schreibtischplatte, so als hätte er eine mühsame, beschwerliche Arbeit hinter sich gebracht, und zieht aus der Tasche seiner Tuchweste eine Taschenuhr hervor. Der Porzellandeckel springt mit leisem Klicken auf. In der Stille des Dienstraumes dröhnt das kleine Glockenspiel so laut, dass Benedict sich fast die Ohren zuhält: »Üb immer Treu und Redlichkeit, bis an dein kühles ...!«

      *

      Schwungvoll setzt der Chef der Protokollabteilung im Bonner Bundespräsidialamt seine Initialen auch noch unter das letzte Blatt des vierzigseitigen Entwurfs. Sorgfältig schraubt er den teuren Füllfederhalter mit der goldenen Schreibfeder zu und löscht die noch nasse Tinte ab.

      Dann schiebt er die englische Version in einen großen Umschlag, den er schließlich versiegelt in die bereitstehende Kuriertasche steckt. Noch heute Abend würde das Ergebnis der monatelangen Verhandlungen mit einem diplomatischen Kurier an den Palast des Thronfolgers abgehen. Morgen früh würde der Präsident die deutsche Fassung auf seinem Schreibtisch vorfinden.

      Der Staatsbesuch auf Einladung des Präsidenten ist damit perfekt. Die Maschinerie kann anrollen, damit die Visite des Thronfolgers und seiner Gattin zwischen dem 2. und 7. November reibungslos abläuft.

      Der Leiter der Protokollabteilung erhebt sich von seinem polierten, nun völlig leer gearbeiteten Schreibtisch und schaut auf die Wandquarzuhr.

      Es ist 18 Uhr 30.

      *

      Die Frau hat einen leichten Trenchcoat an und trägt einen Hut auf dem Kopf, der die Fülle ihres Haares verbirgt. Mit beiden Händen angewinkelt in den Manteltaschen, geht sie auf hochhackigen Schuhen mit einem leicht aufreizenden Gang in Richtung Parkeingang.

      Als sie um die steinernen Torpfosten herum im Dunkel des Parks verschwunden ist, löst sich aus dem Schatten der gegenüberliegenden Häuserzeile eine männliche Gestalt und überquert die menschenleere Straße. Es führen mehrere Wege in und durch den Park, und als der Mann ebenfalls das Steintor passiert hat, hält er kurz inne, abwägend, welchen der fünf Wege er wählen soll.

      Leise rauschen die hohen Baumkronen im Wind. Die Blätter des niedrigen Buschwerks rascheln und wispern.

      Von der Frau mit dem wiegenden Gang ist nichts zu sehen oder zu hören. Nach kurzer Zeit entscheidet sich der Mann für den breitesten, geradewegs durch den Park führenden Weg und beschleunigt seine Schritte. Unter den Sohlen seiner Schuhe knirscht leise der Kies, und sein Atem wird keuchend lauter. Nach knapp hundert Metern, hinter einer leichten Wegbiegung, weiß er, dass er die richtige Wahl getroffen hat.

      Die Frau ist in Sichtweite vor ihm.

      Jetzt dreht sie den Kopf zurück. Bemerkt, dass sie allein mit diesem Mann auf dem Parkweg ist. Der Schritt ihrer langen Beine wird unsicher, wechselt dann. Eben noch selbstsicher und fast lockend, fällt er nun in ein hastig kurzes Trippeln.

      Der Verfolger stößt einen bösartig-höhnischen Laut aus und beginnt zu laufen, um den Abstand zu der fliehenden Frau schneller zu verringern. Ein leiser Schrei.

      Die Frau ist mit einem Fuß umgeknickt. Der Absatz ihres Schuhs ist abgebrochen. Sie zieht beide Schuhe aus und wirft sie von sich. Der Hut fällt ihr dabei runter, und der immer schneller werdende Mann sieht lange, helle Haare vor sich.

      Aber die Frau, in ihrer würgenden Angst vor dem Mann, dessen keuchenden Atem und dessen schwere Schritte sie schon ganz dicht hinter sich hört, denkt nicht daran zu schreien. Sie macht einen folgenschweren Fehler, als sie den breiten Parkweg verlässt, um auf einem der schmaleren Nebenwege ihrem Peiniger zu entkommen.

      Um noch bessere Bewegungsfreiheit zu haben, reißt sie sich den beengenden Trenchcoat vom Leibe, der an einem der Büsche hängenbleibt. Und um noch schneller fliehen zu können, rafft sie den Rock weit über die Oberschenkel nach oben.

      Der Mann sieht jetzt nur noch die Frau mit den wehenden Haaren und den im Mondlicht glänzenden Oberschenkeln vor sich. Jetzt hat er die Frau erreicht. Reißt sie mit der rechten Hand an der Schulter herum und sieht das schweißüberströmte Gesicht mit den glänzenden, roten Lippen und den weit aufgerissenen Augen ganz dicht vor sich. »Nein, nein... nicht...!«

      Der ruckartige Griff mit der Linken in das volle Haar im Nacken. Das grobe Zerreißen der Bluse über den angstvoll bebenden Brüsten mit der Rechten und dann ...

      »Mickie! Mickielein! Komm zum Essen!«

      Verdammt. Gerade an der besten Stelle. Wo diese neue Sound-Software doch so unwahrscheinlich lebensecht ist. Echt geil. Scheiße!

      Unwirsch betätigt der Mann mit dem schütteren Blondhaar die Tastaturen seines Computers. Das Bild auf dem Farbmonitor fällt zusammen. Rechtzeitig.

      Die Tür der kleinen Gartenlaube öffnet sich, und eine korpulente Frau steckt ihren Kopf ins Zimmer. »Immer sitzt du vor diesem blöden Ding.« Die Frau macht ein Schmollmündchen. »Ich werd’ noch mal richtig eifersüchtig! Ich hab’ dir doch dein Lieblingsessen gekocht, Junge!« Mit einem entsagungsvollen Seufzer steht der dickliche Mann von seinem Platz am Computer auf.

      »Ich komme ja schon, Mama!«

      *

      Seit Samstagmittag strömen die Menschentrauben unaufhörlich auf die Wiesen zu beiden Seiten des Rheins. Ein Teil ist in Düsseldorfs Altstadt an den Biertheken hängengeblieben und würde später kaum noch den Weg bis an den Rhein schaffen. Die anderen versuchen, geleitet von mehr oder weniger stadtkundigen Polizeibeamten, rechtzeitig eine möglichst günstige Aussichtsposition zu besetzen. Türkische Großfamilien nutzen die Gelegenheit und breiten ihre Picknickdecken aus. Über den Wiesen steigt der Rauch kleiner Grillfeuerchen auf. Es riecht nach Schaschlik und Gyros. Vor den Eis- und Würstchenbuden bilden sich lange Menschenschlangen. Auch die aufgestellten Altbierbuden sind dicht umlagert, und schon seit fünf Uhr ist kaum noch ein Fleckchen Grün zu sehen. Die jetzt noch Kommenden werden große Schwierigkeiten haben, noch ein halbwegs freies Plätzchen zu ergattern.

      Auf dem Rhein wimmelt es von kleinen und großen Booten, und auch die Rheinbrücken bleiben vom Ansturm der Besucher keineswegs verschont. Es hat sich bis nach Belgien und Holland herumgesprochen, dass das letzte japanische Feuerwerk in Düsseldorf am gleichen Platz ein Ereignis von außerordentlicher Pracht und Schönheit gewesen war, ein Schauspiel, das man gesehen haben muss!

      Und immer wieder gehen die besorgten Blicke der Schaulustigen hoch zum bewölkten Himmel. Würde das Wetter diesmal halten?

      »Ich hab’ Ihnen alles hingestellt, Jungchen. Kartoffelsalat ist fertig, und die Rindswürstchen brauchen Sie nur zu brühen. Nicht kochen! Bier ist wohl genug im Kühlschrank, und wenn’s nicht reicht ... zwei Kästen Budweiser sind noch in der Vorratskammer!«

      »Ist gut, Lore. Ich find’ mich schon zurecht. Danke!«

      »Morgen Abend bin ich ja wieder zurück. Abwasch stellen Sie einfach in die Küche. Viel Spaß zusammen. Tschüssing!«

      Benedicts Haushälterin Lore hat nicht viel übrig für den Rummel, wie sie gesagt hat. »Sollen für das viele Geld lieber was Nützliches machen. Die Stadt hat sowieso zu viele Schulden!« Und so würde sie das Wochenende bei irgendeiner ihrer unzähligen Freundinnen verbringen und über alte Zeiten plaudern.

      Lore besitzt die kleine Eigentumswohnung direkt über der Benedicts in dem sanierten Altbau am Oberkasseler Rheinufer. Sie ist eine nicht wegzudenkende Hinterlassenschaft der bei einem Bergunfall ums Leben gekommenen Kitty Benedict, geb. van Salm. In bewährter Manier hat sie alles für die beiden Gäste vorbereitet, die Vitus H. Benedict als Fenstergucker heute Abend in seiner Wohnung erwartet.

      Normalerweise empfindet

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