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zurück, wo er endlich das neue Spiel zu Ende bringen konnte. Anschließend ging er, immer unruhiger werdend, in dem kleinen Raum mit der Klappcouch und dem Computerplatz hin und her, auf und ab. Er kannte die Anzeichen mittlerweile. Versuchte auch nicht mehr, wie bei den ersten Malen, sich ihnen entgegenzustemmen. Erst diese umfassende Unruhe, dann die Verlagerung des unruhigen Herzschlags hinauf in den Hals. Dieses Gefühl, als wäre der Hals mit einem Mal ein dicker pochend aufquellender und die Luftröhre einengender Ring. Dann die Ausdehnung eines heftigen Fieberschauers auf die ganze Hautfläche des Körpers, die einer pulsierenden Sonne ähnlich Hitzewellen abstrahlte. Eine gewaltige, sich ständig aufblähende Herpesblase.

      Gegen neun Uhr abends hielt er es nicht mehr in dem engen, stickigen Raum aus. Er stürzte hinaus und nahm den üblichen Weg, nicht ohne vorher das lange, scharfe Messer aus dem Versteck zu holen.

      Jetzt, als das Feuerwerk beginnt, stolpert er suchend zwischen den dunklen Leibern der Schaulustigen am Rheinufer herum. Fast ängstlich vermeidet er jede Berührung. Ein kleiner Junge umkurvt wieder und wieder den Herumtaumelnden, den er offensichtlich für betrunken hält, kreist dabei mit einer Hand über dem Kopf und kräht laut: »Blaulicht, Blaulicht, Blaulicht!« Der Mann mit der heißen Haut, die ihm fast die Kleider zu verbrennen scheint, stößt das Kind schließlich zu Boden und entflieht der Polizeiwagenfantasie des Kleinen.

      Plötzlich stoppt der Anblick einer mit dem Rücken ihm zugewandten Frauengestalt das ziellose, wirre Straucheln des Mannes. Die Gestalt ist wie alle anderen am Ufer in die Betrachtung der zerplatzenden Feuerträume vertieft und hat den Kopf leicht nach hinten gebeugt. Sie steht am Rand der Menschenmenge, nur noch kleine Grüppchen von Zuschauern und einzelne Betrachter werden hier vom Schein der Himmelsbilder angeleuchtet. Zu spät Gekommene, aber auch Flüchtige vor der Masse.

      Die Frau trägt einen eng gegürteten Regenmantel und hat einen Hut auf dem Kopf. Sie steht auf leicht gespreizten, schlanken Beinen und hat beide Hände in die Manteltaschen gesteckt. Der Mann nähert sich der ahnungslosen Frau von hinten und zieht die Waffe aus der Hosentasche. Als die Klinge herausfährt, bemerkt er erstaunt, dass sie nass wird. Auf dem blau-fettigen Stahl perlen Regentropfen. Im Schein der krachenden Feuerbälle und Raketen beginnt die Feuchtigkeit auf dem Metall sich zu verfärben, Blau, grün, silberfarben, rot... Ganz dicht steht er jetzt hinter der Frau. Wieder merkt er, wie sich all sein Blut nur noch an einer Stelle seines Körpers staut. Sein Atem wird gierig und röchelnd. Er atmet schon ihren Geruch ein. Ein Geruch, der ihm eigenartig vertraut vorkommt, eine dunkle Erinnerung zurückzurufen scheint. Dann presst er sich mit dem ganzen Gewicht seines heißen Körpers von hinten an die Frau ... legt seinen linken Arm schraubstockartig um ihre in den Taschen vergrabenen Unterarme ... nimmt ihr durch sein von hinten zwischen ihre Schenkel geschobenes Bein die sichere Standfestigkeit ... hält ihr mit der rechten Hand das Stilett mit der scharfen Spitze nach oben an die Halsschlagader und flüstert heiser: »Nicht bewegen! Ich bin der Spritzer!«

      Die Frau, die eben noch die blitzartige Attacke ohne Anstalten zur Gegenwehr über sich ergehen ließ, dreht ihren Kopf beim Klang der Stimme an ihrem Ohr völlig überrascht und jede Vorsicht vergessend nach dem Angreifer um. »Duuuu?!« Die eben ängstlich geöffneten Lippen finden sich zu einer höhnischen Grimasse zusammen. Die noch vor Sekunden weit auf gerissenen Augen verengen sich zu diesem bösartig-spöttischen Katzenblick, den er immer so gefürchtet hat. Natürlich. Der Geruch. Ihr Geruch! Wenn sie jetzt bloß nicht wieder anfängt ...

      »Du ekelhaftes Schwein!«, springen ihn die Worte aus dem jetzt vor Wut verzerrten Gesicht an, »du, du ... perverses Muttersöhnchen ... ist das alles, was du auf Lager hast?... Mehr hattest du ja noch nie zu bieten... du, du...«

      »Sag es nicht...«, wimmert es aus seinem Mund, »sag es nicht... sag es nicht! Bitte. Bitte!!!«

      Der Schluss des glänzenden Spektakels über dem Rhein kündigt sich an. Die Zuschauerränder lösen sich schon langsam auf. Aus der Mitte einer auseinanderstrebenden, weißen Himmelspflanze entfaltet sich mit einem Knall eine prachtvolle blaue Blume, aus deren verlöschenden Funken wiederum mit einem Kanonenschlag eine strahlend rote, den ganzen Himmel ausfüllende Chrysantheme entsteht. Die Stahlseile der Rheinbrücken scheinen zu glühen, und die Gesichter der nach oben jubelnden Menge verfärben sich im Schein des Himmels. Das Wasser des Rheins wechselt in ein fleckiges Rot. Blutrot.

      2

      Als Benedict aus dem grün-weißen Ford Scorpio aussteigt, stehen die beiden Arbeiter von der Stadt neben zwei uniformierten Beamten und schildern einem Reporter ungeniert ihre morgendlichen Erlebnisse. Der RP-Fotograf, der wohl heute die Sonntagsmesse versäumen wird, probiert eine neue Einstellung. Am Montagmorgen wird das Bild im Düsseldorfer Lokalteil die beiden Stadtreiniger neben zwei Polizisten und direkt neben der verkrümmt liegenden Leiche zeigen. Das Foto wird der Beweis sein für eine souveräne Aufnahmetechnik, denn in Wirklichkeit findet das Gespräch über dreißig Meter vom Fundort entfernt statt.

      »Mensch, Herr Onkelbach, ziehn Sie Ihre Show gefälligst woanders ab, Sie seh’n doch, dass wir hier zu tun haben!« Benedict staucht den RP-Mann lautstark zusammen, was zur Folge hat, dass er sich zusammenzuckend mit der rechten Hand an den Kopf fasst. Der Reporter grinst mitleidvoll-verschwörerisch. »Na, na, na, 'n bisschen freundlicher zur öffentlichen Meinung! Eins von den dreißig Bieren war wohl schlecht, was?«

      Der Hauptkommissar bringt nur ein bemühtes Lächeln zusammen, und bevor er noch was sagen kann, hat sich der Zeitungsmensch mit dem Fotokollegen im Schlepptau auf den Weg in seine Redaktion gemacht.

      Fröstelnd geht Benedict zur Mitte des Fundbezirks zurück, der mit gelben Bändern abgesperrt ist. Neben der Leiche hockt Doemges wie ein spitzschnabliger Brillengeier und schreibt eifrig in sein Notizbuch. Die beiden Neumänner suchen mit starr nach unten gerichteten Blicken Meter um Meter des abgesperrten Areals ab.

      Nachdem der Fotograf - diesmal der richtige - seine Aufnahmen gemacht hat, betrachtet auch Benedict nochmals den zusammengekrümmten Körper. Die Frau ist noch ziemlich jung. Vielleicht Ende Zwanzig oder Anfang Dreißig. Ein herbes Profil mit halblangem Blondhaar. Das Gesicht schon in wächserner Leichenblässe erstarrt. Ein beigefarbener Hut mit einer breiten Krempe liegt ziemlich mitgenommen neben der Leiche im zertrampelten Gras. Mantel und Rock sind hochgeschoben und lassen eine zerrissene Strumpfhose sehen. Blut am Hals. Rostrote Flecken auf dem Mantelrücken, hauptsächlich um die Einstichstellen herum. Und noch andere Fleckenränder.

      Benedict kommt ächzend wieder aus der Hocke hoch. Er spürt, dass ihm Knie und Waden vor Anspannung zittern. Prüfend spreizt er beide Hände waagerecht und betrachtet die unruhig tanzenden Finger. Was für ein Sonntag! Der Restalkohol würde sicherlich noch zwei Tage ausreichen.

      Nachdem gestern die letzte Rakete verglüht war, stellten sie der Einfachheit halber den Kasten Bier gleich ins Wohnzimmer neben den Tisch und spielten eine endlose Reihe von Bock- und Ramschrunden.

      Gegen sechs Uhr morgens, graues Regenlicht drang durch das große Fenster, war auch der zweite Kasten fast geleert, und Benedict legte seine beiden Gäste auf dem Sofa und der Gästematratze ab, bevor er selbst völlig groggy aufs Bett fiel.

      Das endlose Gedudel des Telefons drang schließlich doch noch durch die Bierschwaden seines völlig benebelten Gehirns, und als der Fahrer des Einsatzfahrzeugs unten klingelte, torkelte Benedict noch immer schwankend die Treppe runter und blinzelte aus verklebten Augen in das Licht dieses frühen Sonntags. Der Polizeimeister am Steuer übte sich in Nachsicht und öffnete außerdem die Fenster des Wagens weit.

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