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einen Moment ganz gefesselt von ihrem tiefen Blick. Dann wurde ihm bewusst, wie tief er seinerseits ihr in die Augen sah, und zuckte leicht zurück. Er wusste, wie sehr Amy jeder Abschied schwerfiel, dass sie solch eine Angst vor Verlusten und dem Loslassen hatte, doch noch nie schien ihn das so berührt zu haben wie jetzt. Er selbst verspürte plötzlich auch den Drang, unbedingt bei ihr bleiben zu wollen. Er hatte sie immer über alles geliebt, doch noch nie hatte er selbst sich so schwer mit dem Abschied getan. Irgendwie … irgendwie war über den Sommer etwas mit ihm passiert. Es war, als sähe er Amy irgendwie anders, neu .

      »Mach’s gut«, murmelte Amy leise und zog ihre feine Nase hoch.

      Yannick gab ihr einen Stupser darauf, wie er das so oft schon getan hatte, doch noch nie hatte er so dabei gefühlt wie jetzt. »Du auch, Hasenherz. Ich hab dich lieb.«

      »Ich dich auch! Du schreibst mir, oder?«

      »Aber ja! Halt die Ohren steif!« Irgendwie war Yannick plötzlich verwirrt über sich selbst, über seine Gefühle, löste sich beinahe etwas ruckartig von Amy und ging auf Leons Mazda zu.

      Amy sah ihm nach und hatte das eigenartige, noch nie da gewesen Gefühl, ihre Nasenspitze, auf die Yannick so zart und sanft gestupst hatte, würde brennen.

      Bitte, lass ihn gut ankommen, lass ihn die Fahrt gut überstehen, schoben sich die quälenden Gedanken und Sorgen in ihren Kopf zurück, aus dem sie für einen Augenblick vertrieben worden waren von diesen ganz und gar komischen Gefühlen, die sie bei diesem Abschied, den es doch schon so oft gegeben hatte, überkommen hatten. Er kam ihr noch schwerer vor als sonst.

      Ienni und Anja Brücker winkten dem roten Mazda nach, bis er um die Kurve verschwunden war. Kaum war er nicht mehr zu sehen, ließ Ienni ihre winkende Hand sinken und rüttelte ihre Mutter am Arm. »Fahren wir jetzt?«

      Anja lachte. »Ich muss noch meine Handtasche holen, dann kann es losgehen.« Sie drückte Ienni die Hundeleine in die Hand und streckte ihre eigene Markus zum Abschied noch einmal entgegen, bevor sie im Haus verschwand.

      Ienni warf ihre dunklen Locken über die Schultern und wandte sich geradewegs an Amy, die noch immer trübsinnig und zugleich verwirrt die Straße entlang starrte. »Mama muss heute nicht arbeiten und wir fahren shoppen und Eis essen.« Ienni lächelte Amy aufgeschlossen und freundlich an. »Hast du vielleicht Lust, mitzukommen? Am liebsten esse ich Schokospagettieis. Du kennst unsere Lieblingseisdiele bestimmt noch gar nicht. Da gibt es das leckerste Schokospagettieis, das du dir vorstellen kannst …«

      Amy spürte, wie die Tränen sie überwältigten, sie drehte sich auf dem Absatz um und war im Haus verschwunden.

      Ienni verstummte in ihrer Schwärmerei über die Eisdiele, in der Markus und Veronica vor so vielen Jahren Eis essen gegangen waren, und starrte die Haustür an, die mit einem leisen Klick wieder ins Schloss fiel.

      Markus fuhr sich übers unrasierte Kinn und blickte Ienni an, von der er sich so sehr wünschte, dass Amy sich mit ihr anfreunden würde, was er aber insgeheim für ebenso unmöglich hielt, und hörte sich sagen: »Nimm es ihr nicht übel. Es geht ihr momentan nicht so gut.«

      Heschbach gewann in Augsburg mit Sechs zu Fünf, ein Tor hatte Yannick geschossen. Er freute sich über den Sieg vor allem deshalb, weil er sich von Markus zu Hause dann nicht wieder einen Vortrag würde anhören müssen. Vielleicht würde er Yannick sogar loben. Wenn Markus Zeit dafür fand.

      Die Spieler waren ausgelassen angesichts des ersten gewonnenen Testspiels, planten beim Abendessen schon die Siegesfeier, zu der sie nachher aufbrechen wollten, und alberten dabei lautstark und blödsinnig herum. Yannick schob still sein Essen in sich hinein. Diese gemeinsamen Abendessen ermüdeten ihn und strengten ihn an. Es war ja nicht so, als hätte man nicht schon von morgens an ununterbrochen zusammengehockt. Ab einem gewissen Punkt ertrug Yannick das nicht mehr und wollte einfach nur noch seine Ruhe haben. Er konnte die Ansicht, eins der schönsten Dinge beim Mannschaftssport sei das Zusammenhocken mit den Kameraden, nicht recht verstehen. Er beendete daher ziemlich schnell sein Abendessen und fegte nach oben.

      Ein weiterer Vorteil daran, so schnell wie möglich aus der Gesellschaft zu verschwinden, bestand darin, dass man dann nahezu den gesamtem Waschraum für sich alleine hatte. Yannick machte sich rasch für die Nacht fertig, dann krabbelte er in sein Bett. Er schob sich Kopfhörer in die Ohren, nur, damit die Geräusche etwas leiser und gedämpfter zu ihm drangen und damit die Leute dachten, er wäre nicht ansprechbar, und zog Drei Kameraden aus seiner Tasche, das er sich mitgebracht hatte. Bücher und Chatten mit Amy, das half ihm immer, die Auswärtsspiele zu überstehen. Und heute hatte er wieder einmal sein Lieblingsbuch dabei. Yannick las viel, aber seit er Drei Kameraden vor einem Dreivierteljahr zum ersten Mal gelesen hatte, schob er die Bücher, die er eigentlich gerade las, oft beiseite, um wieder zu Drei Kameraden zu greifen.

      Yannick war pingelig, was den Zustand von Büchern anging; er konnte durchgeknickte Buchrücken oder Eselsohren nicht ausstehen – aber seinem Lieblingsbuch sah man es an, dass es schon tausendmal in den Händen gehalten und durchblättert worden war. Yannick hatte es schon so oft quergelesen, überflogen, durchblättert und an bestimmten Szenen Halt gemacht, um sie noch einmal zu lesen. Er glaubte, dass es ihm niemals langweilig werden könnte. Das Schicksal von Robby, Pat, Köster und Lenz hatte es ihm angetan wie sonst kein anderes. Das Schicksal von Robby und Pat. Von Robby, der sich gleich zu Pat hingezogen fühlte, von dem der Leser gleich wusste, dass er verliebt war, der es selbst aber lange noch nicht wusste oder es sich nicht eingestehen wollte. Dass dieses Mädchen seine große Liebe war. Sein kurzes Glück, an das er sich zunächst weigerte zu glauben, daran, dass er sich bei ihr fallen lassen konnte. Weil ihn der Krieg und die Nachkriegszeit gelehrt hatten, dass es wohl auf der Welt kein Glück geben konnte, zumindest keins, dem nicht unweigerlich eine noch größere Leere als vorher folgen musste. Aber schließlich konnte er sich selbst nichts mehr vormachen. Als ihm bewusst wurde, dass er für sie anders fühlte als für andere Frauen und dass er viel mehr von ihr wollte als bloß ihren Körper. Als er begann ihr vorzulügen, durch Südamerika gereist zu sein, und ihr die Eindrücke aufzutischen, die eigentlich Lenz dort gesammelt hatte, aus lauter Angst, andernfalls zu wenig für sie sein und sie verlieren zu können. Als er mit der Prostituierten Lisa nicht mehr schlafen konnte, weil das Untreue für ihn war. Als er ihr einen Hund schenkte, damit sie jemanden hatte, während er versuchte Geld zu verdienen, damit sie keinen Grund hätte, sich mit einem anderen Mann die Langeweile zu vertreiben. Als er, der harte Robby, zu weinen begann, weil Pat den Blutsturz überlebt hatte. Als er erfuhr, wie es um sie stand, dass ein unvermeidlicher Aufenthalt im Sanatorium kurz bevorstand – und ab da war er alles für Pat. Ab da nahm er jede Gelegenheit wahr, ihr zu zeigen, wie viel sie ihm bedeutete, dass er sie trotz ihrer Krankheit mit Haut und Haaren liebte. Sie gingen gemeinsam durch die Straßen und stellten sich vor, sie seien reich und könnten sich die Pelze und Fracks aus den Schaufenstern kaufen. Auf dem Sterbebett versprach er ihr ein Kind, wenn sie nur erst wieder gesund wäre. Sie fantasierten auf eine so verzweifelte, krampfhafte Weise, um Pats Krankheit zu vergessen, Robby quälte sich selbst so verzweifelt mit der Hoffnung und der Zuversicht, an die er selbst und auch Pat nicht glaubten, um ihr Mut zu machen und stark und tapfer für sie zu sein – Robby tat alles für Pat, was Yannick auch für Amy getan hätte. Er mochte sie alle drei, Lenz, Köster und Robby, aber Robby war sein Lieblingscharakter. Weil er unter der harten und unnahbaren Schale romantisch und leidenschaftlich war und auch ein bisschen schüchtern und unsicher manchmal, weil er sich manchmal wie ein kleiner Tollpatsch und sehr kindlich verhielt, weil er einfach sehr menschlich war und man seine Gefühle und Gedanken nachvollziehen konnte. Aber am meisten mochte Yannick Robbys Hingabe, mit der er sich um Pat kümmerte und sorgte.

      So wie ich mich um Amy. Beim Lesen hatte Yannick sich an mancher Stelle wahrhaftig an sich selbst und Amy erinnert gefühlt. Weil er das alles, was Robby für Pat tat, auch für Amy getan hätte. Robby Lohkamp war Yannicks Held. Er hatte ja sogar mit dem Rauchen angefangen wegen ihm. Ich bin gefühlsduselig, dachte er und lehnte sich in seinem Kissen zurück. Oder gefühlsselig. Das klang schöner, positiver.

      Da flog die Tür auf, Yannick zuckte zusammen und wusste wieder, dass er sich in der Jugendherberge befand, wo er nie so ganz alleine mit seinen Gedanken und Träumereien sein konnte. Seine Zimmerkollegen

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