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genug nervt, so unnormale Eltern zu haben«, sagte Yannick heftiger, als er beabsichtigt hatte, und schämte sich im nächsten Moment schon dafür.

      Leon hatte sich erschrocken ebenfalls aufgesetzt. »Sorry. Ich meinte nicht, ich wollte nicht …«

      »Nein, mir tut es leid. Vergiss es einfach. Du wirst meine Mutter wahrscheinlich sowieso nie kennenlernen. Sie lebt in Holland.« Und mit einem Mal machten ihn seine getrennten, mehr oder weniger berühmten Eltern regelrecht wütend. »Sie haben sich getrennt, als ich ein Baby war«, fuhr er bitter fort. »Ich habe nicht einen Geburtstag oder ein Weihnachten mit ihnen beiden zusammen gefeiert. Eigentlich habe ich meine Mutter bisher in meinem Leben kaum gesehen, weil sie immer woanders gelebt hat. Seit ein paar Jahren nicht einmal mehr in Deutschland.«

      Einen Moment war es still. »Das … das wusste ich nicht«, murmelte Leon dann und sah ehrlich betroffen und auch mitfühlend aus.

      »Ich habe ja nicht einmal einen Streit zwischen ihnen mitbekommen oder so was«, fuhr Yannick leise fort und starrte in seinen Schoß. »Ich kenne es ja auch gar nicht anders, als dass sie getrennt sind. Und trotzdem beschäftigt es mich oft. Diese Vorstellung, wie zwei Menschen sich so sehr lieben können, dass sie heiraten und zwei Babys miteinander bekommen – und dann bricht alles auseinander und sie wollen scheinbar nichts mehr voneinander wissen.« Warum erzähle ich Leon das alles? Yannick hatte noch nie so offen über so persönliche Dinge mit jemandem gesprochen. Das zunächst so lockere Gespräch hatte sich in ein sehr tiefgehendes entwickelt. Das guttat. Er hatte plötzlich ein Gefühl von Freundschaft in der Brust. Ein sehr schönes Gefühl.

      Gescheitert

      Markus saß in seinem Arbeitszimmer, das niemand außer ihm betreten durfte und das immer abgeschlossen war. In dem Fotos hingen, die niemand sehen sollte, Fotos aus der Zeit in Heschbach, von Hellström und von Nowak, vom Berner Sennenhund, vom kleinen Yannick und von Veronica. In dem sein Trikot der Geparden hing, die #12, Sladowski. In dem der Ehering lag, den er mit Veronica getauscht und den er fünf Jahre am Finger getragen hatte. Es hätte sein ganzes Leben lang sein sollen. In dem alle Bücher standen, die Veronica Treu geschrieben hatte. Er hatte sie alle gekauft und gelesen. Hier konnte er sich seinen Erinnerungen und Sehnsüchten hingeben. Auch jetzt hatte er die Tür wieder hinter sich verschlossen. Sein Büro war sein Rückzugsort, an dem es allerdings oft nicht wohltuend und angenehm war, sondern vielmehr schmerzhaft.

      Markus zog die oberste Schreibtischschublade auf und holte das kleine Samtkästchen heraus. Öffnete es. In ihm befand sich sein Ehering. Markus & Veronica war darin eingraviert. 23.6.2000. Ein Ring, das Symbol für die Ewigkeit. Ihre Ewigkeit war fünf Jahre lang gewesen. Markus erinnerte sich ganz genau an ihre Verlobung. Er hatte Veronica zum Abendessen in seine Wohnung eingeladen und den ganzen Tag damit verbracht, sie zu schmücken. Mit Kerzen und Rosenblättern und Herz-Konfetti. Er hatte ihr Lieblingsessen gekocht, Spagetti Bolognese, mit richtigen, dicken Fleischbällchen, wie in Susi und Strolch, ihrem Lieblingsfilm. Nach dem Essen hatte Markus sie in das geschmückte Wohnzimmer geführt. Und dann war er vor ihr auf die Knie gegangen, hatte ein Kästchen mit einem Verlobungsring geöffnet und alles vergessen, was er sich eigentlich zurechtgelegt hatte vorher. Er hatte ihr so vieles sagen wollen. Wie wunderschön sie war, wie toll sie schreiben konnte und dass sie jeden Erfolg, den sie mit ihren Büchern errang, mehr als nur verdiente, wie sehr er sie liebte, wie viel sie ihm bedeutete. Letztendlich war nur ein »Möchtest du mich heiraten?«, aus seiner Kehle gekommen.

      »Oh Markus! Ja!«, hatte sie geschluchzt und angefangen zu weinen. Diese drei Worte hörte er in seinen Ohren immer noch so deutlich wie damals. Er hatte sie hochgehoben, sie herumgewirbelt und geküsst und ganz fest gedrückt. Er war in diesem Moment so glücklich gewesen wie noch nie zuvor, war so unendlich dankbar für diese wunderbare Frau in seinem Leben gewesen.

      Es war eine ganz kleine Hochzeit geworden. Mit den engsten Verwandten und Freunden. Markus holte den Ring aus seinem Samtbett hervor, betrachtete ihn einen kleinen Moment. Ein dünner Silberring. Das Zeichen dafür, dass er mit Nicki zusammengehörte. Er spreizte seine Finger und schob den Ring langsam über den Ringfinger. Er passte noch immer wie angegossen. Ob Nickis Ring noch passte? Sie hatte schon etwas zugenommen über die Jahre. Trotzdem war sie immer noch die schönste Frau auf der Welt für ihn. Seine Nicki. Ich sollte diesen Ring immer noch tragen, seit dreizehn Jahren. Genau wie sie.

      Markus zog den Ring wieder ab, steckte ihn zurück in das Kästchen und schob es in die Schublade. Er betrachtete Veronicas wunderbare Bücher, die auf einem der Regalbretter standen. Markus hatte jedes von ihnen verschlungen. Und ganz besonders liebte er die Liebesszenen, die romantischen Szenen. Weil er wusste, dass Veronica an ihn, an sie beide gedacht haben musste beim Schreiben. Und oft genug war es fast gewesen, als würden die Figuren durch die Bücher zu ihm selbst sprechen. Nein, nicht die Figuren – als spräche Veronica durch ihre Figuren zu ihm. Ihre Bücher waren für ihn immer die Möglichkeit geblieben, sich ganz nah bei ihr zu fühlen. Und manchmal hatte er schon damals das Gefühl gehabt, dass er ihre wahren Gedanken und Gefühle nur durch ihre Bücher begreifen konnte. Dass diese Frau, seine Ehefrau vor ihm und allen anderen Menschen immer verschlossen geblieben war und dass er sie ganz eigentlich nur durch ihre Bücher kennengelernt hatte. Sie selbst hatte ihn nie ganz an sich herangelassen. Aber das war in Ordnung gewesen. Markus hatte sie trotzdem über alles geliebt. Er hatte immer versucht, diese unausgesprochenen Dinge, die Veronica aus irgendeinem Grund einfach nicht aussprechen konnte, unausgesprochen zu lassen. Weil er geglaubt hatte, dass sie genau das von ihm brauchte, um sich ihm doch hingeben zu können. Nicki war einfach eine ganz besondere Frau. Sie war seine große Liebe.

      Markus stand auf und holte aus seinem abschließbaren Bürocontainer eine Mappe mit Fotos hervor. Obenauf lag ein Bild von ihnen dreien. Von Nowak, Hellström und Sladowski. Sie waren darauf eingemummt in Mäntel, Schals und Mützen zu sehen, im Winter, eng beieinander und lachend. Markus Mitte zwanzig, Nowak und Hellström älter. Die beiden waren erfahrene Veteranen gewesen, er noch jung und topfit. Schnell vor allem. Seine Spezialität.

      Markus strich mit dem Daumen über die Gesichter der beiden. Ohne euch hätte es meine erfolgreichen Jahre nicht gegeben. Ihr wart die guten Spieler. In eurer Mitte habe auch ich gut gewirkt, aber in Wahrheit konntet ihr es, und ich nicht. Markus war niemals so gut gewesen, wie er damals gewirkt hatte, er hätte niemals in der ersten Reihe spielen und so viele Punkte erzielen können. Nur mit Nowak und Hellström war das möglich gewesen. Markus’ Leistung war nicht aus ihm selbst gekommen; irgendwie war sie von Nowak und Hellström ausgegangen.

      Wie unterschiedlich sie drei doch gewesen waren! Und doch waren sie auch außerhalb des Eises gut miteinander ausgekommen. Die beiden waren eigentlich sogar Markus’ beste Freunde gewesen. Und so besondere Kameraden wie sie hatte Markus auch nie wieder gefunden. Es war wie mit allem im Leben: Ganz genau dieselben Umstände gab es immer nur ein Mal. Nichts konnte sich ein zweites Mal genau so wiederholen wie etwas Vergangenes. Und deshalb musste man besondere Momente und kostbare Geschenke genießen, in vollen Zügen, und versuchen, sie so lange wie möglich zu halten.

      Ob sie wohl immer noch befreundet, immer noch in Kontakt wären? Wie lange sie wohl noch in Heschbach gespielt hätten? Ob Veronica noch hier wäre? Ob wir eine richtige Familie wären?

      Markus legte das Foto auf den Schreibtisch, zog einen Stapel anderer Fotos aus der Mappe und blätterte ihn durch. Eine junge Veronica lachte ihm entgegen, mit diesem süßen, etwas scheuen Lachen. Markus hatte so viele Bilder von ihr, und er fragte sich manchmal, warum er sie so oft und überall fotografiert hatte. Doch auf der anderen Seite kamen ihm diese Fotos viel zu wenig vor. Zu wenig, um in wehmütigen Erinnerungen zu schwelgen, von ihr zu träumen.

      Auf vielen Fotos hatte sie auch Yannick auf dem Arm, als er noch ein Baby gewesen war. Markus musste lächeln und seufzen zugleich. Sie waren so eine wunderbare kleine Familie gewesen. Sie waren zwar noch jung und erst ein halbes Jahr verheiratet gewesen, als Veronica schwanger geworden war, doch trotzdem war es Markus irgendwie perfekt vorgekommen, vielleicht sogar gerade, weil es so früh und ungeplant passiert war. Irgendwie hatte es das Ganze noch romantischer gemacht. Es war immer romantisch mit Veronica gewesen. Nicht mit Kerzen und Rosen und Herzchen, sondern vielmehr, weil Veronica so scheu und ruhig

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