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plötzlich wieder aufgewacht und habe die Augen geöffnet. Und sie nahm wieder meine Hand und sagte: „Neigen Sie sich doch bitte mal zu mir. Ich möchte sie umarmen.“ Und als das geschah, durchpulste mich ein Strom von Liebe in einem nie gekannten Maße. Es war sicherlich noch ein Teil jener Liebe, die Jesus Christus ihr vermittelt hatte. Und sie fügte hinzu, dass sie von nun an, jeden Menschen, sogar einen Verbrecher, umarmen könne. Ich habe natürlich alles, was ich von ihr vernommen hatte, in meinen Computer eingegeben, um, wie ich dir schon sagte, einmal ein Buch über außerkörperliche Erlebnisse zu schreiben.

      Ich muss schnell Schluss machen, denn die rote Lampe leuchtet auf. Tschüss. Leo.

      ***

       29.12.2013

       Meine geliebte Zwillingsschwester!

      Bald beginnt ein neues Jahr. Von meinem Doktor Dudszinski habe ich heute im Briefkasten eine Ansichtskarte aus Davos in der Schweiz gefunden. Er schreibt nebst den besten Wünschen zum Neuen Jahr, dass er bedauere, dass ich nicht bei ihm sein könne. Und er unterschreibt mit „in Liebe M.“ Liebt er mich, oder begehrt er mich nur als eine Trophäe in seiner Sammlung weiblicher Ent- bzw. Aufdeckungen? Ich weiß nicht. Soll ich mich ihm anvertrauen und mich ihm hingeben? Er sieht sehr gut aus, ist sehr gescheit, wird von den Kollegen geschätzt und ist zu uns Schwestern immer sehr verbindlich und nett, fragt oft, wie es uns geht. Und jeder von uns dreien ließ er durch die Oberschwester zum Fest in einem Weihnachtstütchen eine Tafel Schokolade überreichen mit einer Weihnachtskarte. Ich glaube, Felicitas schwärmt heimlich von ihm. Denn als sie seine Weihnachtskarte las, drückte sie, unbeobachtet, wie sie wohl glaubte, einen Kuss darauf. Zeigst du William alle meine Mails? Sprecht ihr eigentlich deutsch oder englisch miteinander? Wenn ich bei mir in der warmen Badewanne sitze, denke ich oft an euch, wie ihr dort im Meerwasser schwimmt. Aber passt auf. Ich habe in einer Zeitung gelesen, dass ein Hai bei Sydney einen Badenden angegriffen hatte, er aber von zwei Tauchern noch rechtzeitig gerettet werden konnte. Jetzt habe ich mir die Winterreifen aufziehen lassen, so, dass ich in weniger als zwanzig Minuten in der Klinik sein kann. Schneit es denn auch mal in Sydney, wenn wir hier Sommer haben? Im Radio höre ich gerade Songs von Udo Jürgens, den wir beide so sehr verehrten. Ich denke noch oft an unseren gemeinsamen Abend zurück, als wir nach seinem Konzert ihn zufällig in jenem Restaurant trafen und er vor unserem Tisch in Begleitung einer Brünetten stehen blieb und uns Zwillingsschwestern ein Kompliment über unsere Schönheit machte, nach unseren Namen und nach unserem Wohnort fragte, während seine Begleiterin ihn von uns wegzuziehen versuchte. Er hätte sich bestimmt gerne zu uns gesetzt. Und dann meinte er noch, wir müssten zum Film gehen, denn man würde sicherlich wieder mal ein Doppeltes Lottchen gebrauchen wie die damaligen Kesslerzwillinge. Schade. Denn hätte er sich zu uns gesetzt, hätte er bestimmt uns an eine Film- oder Fernsehagentur vermitteln können. Er wird wohl außer uns Zweien Tausende von weiblichen Fans haben, die auch im Bett an ihn denken mögen. Doch als wir uns William teilten, hörten wir zwar Udos Schlager im Radio, aber unser Traummann war dann William. Soll ich es dir gestehen? Ich vermisse euch beiden, vor allem wenn ich einsam im Bett liege.

      Gruß und Kuss von deiner Leo.

      ***

       31.12.2013

       Geliebte Zwillingsschwester, liebe Tara!

      Heut ist Silvester. Was werdet ihr unternehmen? Geht ihr tanzen? Ich würde ja auch gerne auf einen Silvesterball gehen, aber erstens hätte ich keine Begleitung und zweitens habe ich Nachtdienst. Aber dazu hatte ich mich ja selbst zur Verfügung gestellt. Felicitas und Elisabeth gehen aber auf einen Ball ins Hilton Hotel. Und hatten wir nicht vor drei Jahren auch William auf dem Silvesterball der Technischen Universität wieder getroffen, nachdem wir ihn nach der Oper zum Essen eingeladen hatten? Und leider hatten wir damals seine Telefonnummer verbummelt. Und er hatte einige Knaller besorgt, die wir dann mit Begeisterung vor der TH in die Luft sausen ließen, obwohl Tausende von bunten Lichtertropfen, nachdem sie sich mit einem Knall in der Luft versprühten, herniederfielen. Wir beide waren beschwipst. Und am frühen Morgen noch bei Dunkelheit brachte er uns nach Hause. Wir luden ihn zum Kaffee ein und dann sagte er, dass er uns beide küssen möchte. Und wir ließen es zu, und alle drei lachten wir, und schwupp die wupp landeten wir zu dritt im Bett.

      Wenn ich jetzt so über mein vergangenes Jahr nachdenke, was sich alles in meinem Leben ereignet hat, dann waren es vor allem die Bücher, die ich gelesen habe. Neben einigen Liebesromanen zur Zerstreuung - und vielleicht aus Sehnsucht, auch einmal so kräftig geliebt zu werden - hatte ich mich in die Romane von Leo Tolstoi, Victor Hugo, Ernest Hemingway, Francoise Sagan und auch wieder in die Werke der deutschen Klassiker vertieft. Warum geht es in allen Romanen, die ich bisher gelesen habe, immer um die Liebe? Hat Jesus gemäß den Aussagen von Frau Winter recht, dass wir auf Erden wie auf einem Übungsgelände unsere Liebe exerzieren? Hier wird sie eingeübt. Und viele, die schon aus früheren Leben weit in der Liebeseinübung fortgeschritten sind, sollen den anderen, denen es noch in vielem an Liebe mangelt, Vorbild hinsichtlich der Liebe sein? Gibt es eigentlich in der höheren Welt, sprich Jenseits, vorbereitende Liebesschulen, wo wir das einstudieren, was wir dann auf Erden als Erlerntes ausüben sollen? Ist also die Erde eine Schule der Liebe, wo wir beweisen sollen, was wir in den höheren Liebesschulen gelernt haben? Ich muss unbedingt mehr über das Jenseits und seine Geheimnisse erfahren. Vielleicht sollte ich mich mal in einer esoterischen Buchhandlung umsehen und mich dort beraten lassen. Oder vielleicht begegne ich einem netten Mann, der mir darüber viel erzählen würde. Er würde bestimmt dann auch mein Herz gewinnen.

      Jetzt ist es bald wieder Zeit, dass ich in die Klinik fahre. Es ist schon seit Stunden hier dunkel. Doch einige Straßen leuchten noch im weihnachtlichen Glanze.

      Ich wünsch euch beiden ein ganz glückliches neues Jahr mit viel Erfolg und LIEBE.

      Ich küsse euch. Eure Leo.

      ***

       4.1.2014

       Geliebte Zwillingsschwester, liebe Tara!

      Gestern Abend tauchte auf einmal Marek wieder auf, braun gebrannt und voller Elan. Da wir allein im Schwesternzimmer waren, umarmte er mich und sagte, wie sehr ich ihm gefehlt habe. Und er gestand mir seine Liebe. Ich hielt ihm zwar meinen Mund hin, aber zum Küssen war mir nicht zu Mute, zumal ich vorhin ein Fläschchen mit Chloroform hinfallen ließ und der Raum voller Gerüche war, die nicht zur Liebessteigerung beitrugen. Und da wir Schritte kommen hörten, nahmen wir schnell wieder Abstand. Felicitas kam herein, begrüßte ihn mit je einem Küsschen auf die Wangen. Kennen die beiden sich etwa etwas näher, durchfuhr es mich. Sie wolle nur eine Schlaftablette für einen Patienten holen. Dann verließ sie den Raum wieder. Und Marek fasste mich wieder beim Arm und sagte, dass er mich morgen Mittag zu sich einladen möchte, habe er noch eine Ente im Gefrierfach, die wir braten könnten. Und dann wolle er mir seine Bilder nebst einem selbst aufgenommenen Film zeigen, um mir zu veranschaulichen, wie schön die herrlichen Winterlandschaften in den Schweizer Bergen sind, samt den wunderbaren Skipisten. Ich wollte erst absagen mit irgendeinem Vorwand. Mir fiel aber keiner ein. Und da er mich mit seinen blauen Augen fast flehentlich anschaute, sagte ich zu. Er reichte mir dann seine Visitenkarte. Er wohnt in Smargendorf, also nicht allzu weit weg von mir. Ich werde dir berichten, was ich dort mit ihm erleben werde. Aber zeige meine diesbezüglichen Mails nicht William, bitte.

      Will er eigentlich nur mit mir schlafen? Ist seine mir gegenüber ausgesprochene Liebe wirklich echt? Oder ist sie nur gespielt, um mich in sein Bett zu luchsen? Ich habe ein ungutes Gefühl. Vielleicht sollte ich ihn morgen anrufen und absagen mit der schon einmal vorgebrachten Entschuldigung, nicht pässlich zu sein. Aber ich habe ihm ja mein Kommen versprechen müssen. Also werde ich doch hingehen. Na, mal sehen.

      Warum kann man Männer meist nur über das Bett erobern? Und wenn wir sie darin enttäuschen, dann lassen sie uns wie eine heiße Kartoffel fallen. Ja, irgendwann will ich natürlich heiraten und Kinder bekommen. Das hatten wir beide uns doch auch schon als Teenies vorgenommen und dass wir dann alle zusammen in einem Bauernhaus auf dem Land leben wollten. Aber erst den Mann, dann die Kinder, dann den Bauernhof. Und mir ist es einerlei, ob dieser sich in Deutschland oder in Australien befindet.

      Deine

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