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in seiner so weit von uns entfernten Heimat war, hat er uns beiden Liebesbriefe geschickt, und du bist ihm nachgereist. Ja, ich bin auch immer noch in ihn verliebt. Aber da wir beide uns geschworen hatten, nie auf einander eifersüchtig zu sein, gönne ich dir deinen frisch gebackenen Ingenieur. Du schriebst zwar, ich solle euch in meinen Ferien besuchen kommen. Aber könntest du ihn denn wieder mit mir teilen?

      In meinen Gedanken bin ich noch hin und wieder mit euch beiden im Bett. Es war so schön. Vielleicht denkt er auch noch, wenn er mit dir intim ist, an mich. Aber es bleibt sich ja sowieso gleich, denn wir beide sind als eineiige Zwillinge sowieso für Außenstehende nicht zu unterscheiden. Und wenn ihr euch küsst, dann küsst du ihn bitte auch für mich mit. Denn ich fühle, dass wir beide eins sind. Und ich gönne dir dieses Glück, denn du bist ich und ich bin du. So habe ich auch in meinen Gedanken euch in meinen Armen.

      Grüße ihn von mir. Und wenn du magst, sage ihm, dass ich ihn auch liebe. Deine euch liebende Leo.

      ***

       21.12.2013

       Meine liebe Zwillingsschwester Tara!

      Im Eingangsraum unten befindet sich ein großer Weihnachtsbaum mit bunten elektrischen Kerzen und Behängungen samt silbrigem Lametta. Ihr habt ja, wie du schreibst, jetzt Hochsommer mit bis zu fünfunddreißig Grad. Bei uns hat es ein wenig geschneit. Doch wegen des sich immer mehr bemerkbar machenden Ozonlochs werden unsere Winter immer wärmer, und zum Bedauern der Kinder schneit es immer seltener. Apropos Winter. Frau Winter ist wieder auf unsere Intensivstation verlegt worden, da sich bei ihr eine Embolie gebildet hatte. Doch sie konnte noch mittels eines Blutverdünnungsserums rechtzeitig gerettet werden. Ja, wir müssen auf der Intensiv darauf Acht geben, dass bei Neueingelieferten keine plötzlichen Atembeschwerden eintreten. Sobald sie ansprechbar ist, werde ich sie noch weiter zu ihrem Nahtoderlebnis befragen und dir alles mitteilen.

      Dr. Dudszinski, der übrigens mit Vornamen Marek heißt, wollte mich in seinen Weihnachtsferien zu einem Skiurlaub einladen. Doch ich hatte mich schon für die Weihnachtstage eingetragen, auf Station zu sein. Werdet ihr zwei dort überhaupt Weihnachten feiern? Vielleicht im Schwimmbad oder am Bondi Beach, den du mir so ausschmückend beschrieben hast?

      Sag, schreibst du noch Gedichte? Du hast mir schon seit langem keines mehr zugemailt. Vielleicht wirst du bald auf Englisch Gedichte schreiben. Da bin ich neugierig. Wir waren ja ganz gut in der Schule in Englisch. Und William hat ja auch auf unsere Bitten hin mit uns oft Englisch parliert. Ich habe auch schon, seitdem du abgereist bist, kein Gedicht mehr geschrieben. Wir waren ja fleißige Gedichteschreiber, und meistens begann ich eine Zeile eines Gedichtes, und du nanntest die zweite Zeile, und ich wieder die dritte oder umgekehrt. Auf diese Weise haben wir wohl über hundert Gedichte verfasst. Sicherlich sind auf diese Art sonst noch nirgendwo von Zwillingen Gedichte geschrieben worden. Das hat Spaß gemacht. Ich habe sie alle aufgehoben. Aber sicherlich wird kein Verleger diese herausgeben wollen. Denn sie werden es nicht für möglich halten, dass jede Folgezeile von dem anderen Zwilling erdichtet worden ist.

      Ich habe mir natürlich auch in unser beider Wohnung einen kleinen Weihnachtsbaum aufgestellt, wie wir es immer getan hatten. Wenn ich dann die Kerzen angezündet habe, werde ich gleich neben der Krippe die große Fotografie mit uns beiden aufstellen, so, dass ich mit dir ganz verbunden bin. Ja, nachdem unsere Eltern damals tödlich verunglückt waren, hatten wir alle Verbindungen zu anderen Familienangehörigen abgebrochen, da wir beide nur ganz für uns sein wollten. Übrigens ist ein Paket für euch beide unterwegs mit Leckereien, die es wahrscheinlich in Australien nicht zu kaufen gibt. Lübecker Marzipan, Lebkuchen und Spekulatius. Ich hoffe, dass es noch pünktlich zum Fest bei euch ankommt. Aber vor dem Fest werde ich dir sicherlich noch eine E-Mail schreiben.

      Deine euch liebende Leo.

      ***

       25.12.2013

       Frohe Weihnachten, Ihr Beiden!

      Habt ihr den Heiligen Abend gefeiert und euch gegenseitig beschenkt? Ich glaube, ihr seid uns acht oder neun Stunden voraus. Oder sind es sogar mehr? Ich bin erst heute Morgen gegen neun Uhr nach Hause gekommen. An ein eingelegtes kurzes Schläfchen war nicht zu denken, obwohl ich mich mit Felicitas abgesprochen hatte. Wir beide und einige Patienten, die gehen konnten, haben auf dem Flur Weihnachtslieder gesungen und sind jeder mit einer Kerze in der Hand zu allen unseren Patienten gegangen und haben ihnen per Handschütteln Frohe Weihnachten gewünscht, auch jenen, die Moslems oder Juden waren. Erst gegen neun Uhr abends fahre ich mit U-Bahn und Bus zur Klinik, denn ich habe für mein Auto noch keine Winterreifen aufziehen lassen.

      Euren Brief samt den guten Wünschen zum Weihnachtsfest und dem Bild von euch zwei in Badeausrüstung vom Strand habe ich erhalten. Ganz lieben Dank. Ich glaube, ihr seid schon ganz schön braun geworden bei so viel Sonnenschein. Ja, auch du hattest am Heiligen Abend Dienst. Waren denn überhaupt genügend Gäste im Hotel? Denn ich würde annehmen, dass jeder doch mit seiner Familie feiern möchte.

      Frau Winter konnte ich gestern nach der kurzen Feier alleine sprechen, da die beiden anderen von Intensiv auf Station gekommen waren. Ihre zwei Töchter und ihr Sohn waren nachmittags gekommen. Heute will ihre dritte Tochter mit den Enkelkindern sie besuchen. Ich fragte sie, ob sie mir noch etwas über ihren Austritt aus dem Erdenkörper erzählen könne und ob sie noch weitere Erlebnisse mit Jesus gehabt habe. Sie fasste meine Hand und sagte in etwa: „Ich freue mich, dass sie sich mein Erlebnis anhören wollen. Denn dem Doktor Dudszinski wollte ich darüber etwas erzählen, um auch zu erfahren, ob andere Patienten so etwas ebenfalls erlebt haben. Doch der wehrte ab und sagte, dass es hin und wieder sicherlich vorkommt, dass auch andere über ihre Halluzinationen erzählen wollen. Aber das seien alles Irrealitäten, die durch bestimmte Hormonausschüttungen bei Herzstillstand zustande kommen.“ Und ich versicherte ihr, dass mir auch schon andere über ihre außerkörperlichen Erlebnisse berichtet hatten, möchte ich doch darüber mal ein Buch veröffentlichen.

      Aber was sie mir, liebe Tara, alles erzählte, darüber werde ich dir in der nächsten Mail berichten. Ich muss jetzt los. Übrigens sind hier in Berlin viele Hauptstraßen mit Lichtern dekoriert. Aber das weißt du ja alles. Gibt es bei euch auch weihnachtliche Straßenbeleuchtungen?

      Ich umarme euch beide und schicke euch viele weihnachtlich gezuckerte Küsschen, denn ich habe gerade Marzipan genascht.

      Eure Leo

      ***

       28.12.2013

       Tara, meine geliebte Zwillingsschwester!

      Ich schreibe dir ausnahmsweise aus dem Schwesternzimmer. Es ist nach drei Uhr nachts. Es ist an sich nicht gestattet, den Stationscomputer für private Mails oder andere Zwecke zu benutzen. Aber ich habe gerade kaum was zu tun, bin aber ständig auf der Lauer, sobald jemand klingeln sollte. Vor gut einer Stunde ist jemand beim Gang auf die Zimmertoilette umgefallen. Er hatte geschrien, so, dass andere geläutet hatten. Felicitas und ich haben ihn dann zurück ins Bett gelegt und ihm eine Ente gegeben und ihm gesagt, dass er noch nicht allein aufstehen dürfe. Dann machte ich noch einen Rundgang in die Zimmer und sah, dass Frau Winter im Schlaf ihre Decke zur Seite geschoben hatte. Ach ja, ich wollte dir doch noch erzählen, was sie mir über ihr außerkörperliches Erlebnis erzählt hatte.

      Ich hatte sie ja über ihre Begegnung mit Jesus angesprochen. Und sie erklärte, dass er vor den vielen um ihn Versammelten redete, ohne wirklich zu sprechen. Denn sie vernahmen seine Stimme inwendig. Es war also eine telepathische Vermittlung. Doch seine auf diese Art gesendeten Worte vernahmen sie ganz klar, aber auch so, als ob er zu jedem der Anwesenden persönlich sprach. Von seiner telepathisch vermittelten Ansprache konnte sie sich noch an folgende Sätze erinnern, wie sie ja auch in der Bibel zu finden sind: „Liebe den Nächsten wie dich selbst. Denn du bist der Nächste, wie ich dein Nächster bin.“ Und dann sprach er noch weiter über die Bedeutung der Liebe. Sie konnte sich noch daran erinnern, dass er sagte, dass die Erde ein Prüfstein der Liebe, aber auch ein Exerzierplatz der Liebe sei, wo man das umsetzen soll, was man hier gelernt habe, also im Jenseits. Und als er die vor ihm Kniende zu sich hochgehoben und in ihre Augen geschaut hatte, sagte er, dass sie

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