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Freundchen“, glaubte er den alten Juden sagen zu hören, „er ist es, gewiß und wahrhaftig. Komm weg!“

      „Glaubt Ihr, ich erkannte ihn nicht?“ schien der andere zu antworten. „Wenn eine Legion von Teufeln seine Gestalt annähme, und er stände mitten unter ihnen, ich würde ihn herausfinden. Verscharrt ihn fünfzig Fuß tief und führt mich über sein Grab, ich würde es wissen, daß er drunten läge, wenn auch kein Merkmal oder sonst ein Zeichen es andeutete!“

      Der Mann schien diese Worte in einem so fürchterlichen Tone des Hasses zu sagen, daß Oliver entsetzt auffuhr und erwachte.

      Guter Gott! was trieb ihm da auf einmal das Blut so stürmisch zum Herzen und raubte ihm Sprache und Bewegungsfreiheit? Dort – dort – am Fenster – dicht vor ihm, so dicht, daß er ihn fast hätte berühren können, ehe er zurückprallte – mit durchdringenden Blicken ins Zimmer sehend und den seinigen begegnend – dort stand der Jude. Und neben ihm, blaß vor Furcht oder Wut, oder vielleicht beidem, der Mann mit wild verzerrtem Gesicht, mit dem er im Gasthaus des Posthalters zusammengestoßen war.

      Doch nur einen Augenblick – dann waren sie verschwunden. Aber er hatte sie und sie ihn erkannt. Er stand eine Sekunde wie vom Blitz getroffen da. Dann sprang er aus dem Fenster in den Garten und rief laut um Hilfe.

      Fünfunddreißigstes Kapitel

      Enthält das unbefriedigende Ergebnis von Olivers Abenteuern und ein ziemlich wichtiges Gespräch zwischen Harry Maylie und Rosa

      Als man auf Olivers Rufen herbeieilte, fand man ihn blaß und zitternd dastehen. Er zeigte nach der Wiese hinter dem Garten und konnte nur mühsam die Worte hervorbringen: „Der Jude – der Jude!“

      Herr Giles konnte aus diesem Ausruf nicht klug werden. Aber Harry Maylie, dessen Auffassungsgabe schneller war und der obendrein Olivers Geschichte von seiner Mutter gehört hatte, begriff sofort.

      „Welche Richtung hat er eingeschlagen?“ fragte er und nahm einen Knüppel auf, der zufällig da herumlag.

      „Dorthin“, erwiderte Oliver, den Weg andeutend, den die Männer genommen hatten. „Ich habe sie eben erst aus den Augen verloren.“

      „Dann sind sie im Graben“, sagte Harry. „Folgt und haltet euch dicht an mir!“

      Mit diesen Worten sprang er über die Hecke und schoß wie ein Pfeil dahin, so daß die anderen Mühe hatten nachzukommen.

      Giles und Oliver rannten ihm nach, so schnell sie konnten, und einige Minuten später setzte Herr Losberne, der gerade von einem Spaziergange heimkehrte – allerdings etwas ungeschickt – ebenfalls über die Hecke und strauchelte. Er raffte sich aber schneller, als man von ihm erwartet hätte, wieder auf und stürmte den übrigen mit langen Schritten nach. Dabei brüllte er mit mächtiger Stimme, fragend, was denn los sei. So ging’s immer weiter, und keiner hielt inne, um neuen Atem zu schöpfen, bis der Anführer an den Graben gelangte und diesen sorgfältig zu untersuchen begann. Dadurch gewannen die übrigen Zeit heranzukommen, und Oliver konnte dem Doktor die Veranlassung zu dieser wilden Jagd mitteilen.

      Aber alles Suchen war vergeblich. Nicht einmal frische Fußspuren ließen sich entdecken.

      „Du mußt geträumt haben, Oliver“, sagte Harry, ihn beiseite nehmend.

      „Nein, nein, gewiß nicht. Ich habe ihn ganz deutlich gesehen. Sie standen so bestimmt vor mir wie Sie jetzt.“

      „Wer war der andere?“ fragten Harry und der Doktor zu gleicher Zeit.

      „Derselbe Mensch, der mich, wie ich Ihnen erzählte, im Gasthaus des Posthalters so ausschimpfte. Er sah mir gerade in die Augen, und ich könnte darauf schwören, daß er es wäre.“

      „Und weißt du auch ganz gewiß, daß sie diesen Weg einschlugen?“

      „So gewiß, wie ich weiß, daß sie vor dem Fenster standen.“

      Die beiden Herren sahen Olivers ernstes Gesicht und guckten dann einander an, sie schienen sich durch seine bestimmten Antworten überzeugen zu lassen. Aber nirgends ließen sich Spuren finden. Das Gras war lang und nur da niedergetreten, wo sie selbst gelaufen waren.

      „Das ist merkwürdig“, meinte Harry.

      „Sehr merkwürdig!“ bestätigte Herr Losberne. „Selbst Blathers und Duff vermöchten nicht klug daraus zu werden.“

      Trotz der anscheinenden Erfolglosigkeit ihres Suchens, setzten sie es bis zum Einbruch der Nacht fort, erst dann ließen sie, wenn auch ungern, davon ab.

      Am nächsten Morgen wurden die Nachsuchungen wieder aufgenommen, aber mit keinem günstigeren Erfolge. Tags darauf gingen Harry und Oliver nach dem Marktflecken in der Hoffnung, vielleicht dort etwas über die Männer zu erfahren, aber vergebens; und nach einigen Tagen fing man an, die Geschichte zu vergessen, nachdem der Reiz des Seltsamen aus Mangel an neuer Nahrung erstorben war.

      Inzwischen ging es mit Rosas Genesung schnell vorwärts. Sie durfte das Zimmer verlassen, konnte ausgehen und brachte, als sie dem Familienkreise wieder zurückgegeben war, Sonne und neues Leben in aller Herzen.

      Aber obgleich sich in den Räumen des kleinen Landhauses wieder heiteres Geplauder und frohes Lachen vernehmen ließ, entging es Oliver nicht, daß sich manchmal eine ungewohnte Zurückhaltung bei den beiden jungen Leuten geltend machte. Frau Maylie und ihr Sohn waren oft lange Zeit miteinander eingeschlossen, und mehr als einmal zeigten sich Tränenspuren auf Rosas Gesicht. Als der Doktor den Tag seiner Abreise nach Chertsey festgesetzt hatte, trat es klar zutage, daß etwas vorging, was den Seelenfrieden der jungen Dame und noch eines anderen Menschen beeinträchtigte.

      Als endlich Rosa eines Morgens im Wohnzimmer allein war, trat Harry ein und bat mit stockender Stimme um die Erlaubnis, sie einige Augenblicke ungestört sprechen zu dürfen.

      „Wenige – sehr wenige – werden genügen, Rosa. Was ich dir zu sagen habe, weißt du bereits. Die größten Hoffnungen meines Lebens sind dir nicht unbekannt, obgleich sie noch nie über meine Lippen gekommen sind.“

      Rosa war bei seinem Eintreten blaß geworden, was vielleicht noch eine Nachwirkung der Krankheit war. Sie nickte zustimmend, beugte sich über einige Blumen, die in ihrer Nähe standen, und wartete schweigend darauf, daß er anfangen würde.

      „Ich – ich hätte schon früher abreisen sollen.“

      „Gewiß, Harry. Verzeihe, daß ich so rede, aber ich wünschte, du hättest es getan.“

      „Die Angst, das einzige Wesen zu verlieren, das mein ein und mein alles ist, hat mich hierhergetrieben. Du warst dem Tode nahe – schwanktest auf der Scheidelinie zwischen Himmel und Erde.“

      Bei diesen Worten perlten Tränen in den Augen des holden Mädchens.

      „Ein Engel“, fuhr Harry leidenschaftlich fort, „ein Wesen so schön und unschuldig, wie einer von Gottes Engeln, schwebte zwischen Tod und Leben. Rosa! Rosa! zu wissen, daß du entschwändest, keine Hoffnung zu haben, daß du den hienieden Weilenden erhalten bliebest – das waren Gedanken, fast zu schwer, um ertragen werden zu können. Aber sie lasteten Tag und Nacht auf meiner Seele, und denken zu müssen, du könntest dahinscheiden, ohne zu erfahren, wie innig ich dich liebe, das brachte mich dem Wahnsinn nahe. Du genasest wieder, und ich habe dich vom Tode zum Leben zurückkehren sehen, Dank gegen Gott im Herzen.“

      „Ach, wärest du doch abgereist, um dich deinen edlen Bestrebungen, die deiner so würdig sind, wieder ganz zu widmen“, erwiderte Rosa unter Tränen.

      „Es gibt kein Streben, das meiner würdiger wäre als das Ringen um ein Herz wie das deinige.“ Er ergriff ihre Hand und fuhr leidenschaftlich fort: „Rosa, liebe Rosa, ich habe dich seit Jahren geliebt. Ich hoffte mir Ruhm zu gewinnen, um dann stolz heimzukehren und dir zu sagen, daß ich ihm nur nachjagte, um ihn mit dir zu teilen. Die Blütenträume meiner Liebe gaukelten mir diesen glücklichen Augenblick vor. Ich erinnere dich an die stummen Andeutungen, in denen dir schon der Knabe sein Herz geoffenbart hat, und an das Erröten, mit dem du sie aufnahmst. Ich dachte dann auf deine Hand Anspruch zu machen und damit einen

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