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für das politische Leben.“

      Harry machte Miene, ihm eine schlagfertige Antwort zu geben, er begnügte sich jedoch mit der Bemerkung: „Wir werden sehen!“ und ließ den Gegenstand fallen. Die Postkutsche fuhr kurz darauf vor, und als Giles kam, um das Gepäck zu holen, eilte der Doktor hinaus, um die Unterbringung desselben zu überwachen.

      „Oliver“, sagte Harry leise, „ich muß noch ein paar Worte mit dir reden.“

      Der Junge trat zu ihm ans Fenster, verwundert über Harrys Traurigkeit und Unruhe.

      „Du kannst jetzt gut schreiben“, sagte Harry und legte die Hand auf Olivers Arm.

      „Ich denke doch.“

      „Ich komme vielleicht auf einige Zeit nicht wieder nach Hause und wünsche, daß du mir schreibst – so alle vierzehn Tage. Willst du das?“ fragte Herr Maylie.

      „Gern, ich bin stolz darauf, daß ich es tun darf“, sagte der Junge, ganz erfreut über diesen Auftrag.

      „Es wäre mir lieb, zu erfahren, wie – wie es meiner Mutter und Fräulein Rosa geht. Du kannst daher einen ganzen Bogen voll schreiben und mir erzählen, was ihr für Spaziergänge macht, wovon ihr sprecht, und ob sie – ja, ich meine sie beide – , ob sie heiter und zufrieden sind. Verstehst du?“

      „Vollkommen“, antwortete Oliver.

      „Du brauchst ihnen übrigens nichts davon zu sagen“, fügte Harry schnell, wie beiläufig, hinzu. „Es könnte meine Mutter beunruhigen, und sie würde mir dann häufiger schreiben, was ihr in ihren Jahren ein wenig schwer fällt. Es soll daher ein Geheimnis zwischen uns beiden bleiben, aber vergiß ja nicht, mir alles mitzuteilen. Ich verlasse mich auf dich!“

      Oliver fühlte sich mächtig geehrt und wichtig und versprach, seine Berichte auf das ausführlichste abzufassen. Herr Maylie sagte ihm nun unter der Versicherung seines Wohlwollens Lebe­wohl.

      Der Doktor saß bereits im Wagen, Giles hielt den geöffneten Kutschenschlag, und Harry sprang in den Wagen, nachdem er noch zuvor einen Blick nach Rosas Fenster geworfen hatte.

      „Los!“ rief er dem Postillion zu, fahre so schnell du kannst, heute muß es wie im Fluge gehen!“

      „Hallo!“ brüllte der Doktor durchs Vorderfenster zum Kutscher, „ich will nichts vom Fliegen wissen, verstanden?“

      Rasselnd rollte der Wagen davon, und lange noch schauten die Augen einer jungen Dame ihm nach. Rosa stand nämlich hinter den weißen Vorhängen ihres Fensters verborgen und hatte von dort aus Harrys letzten Blick aufgefangen.

      „Er scheint ganz heiter und glücklich zu sein“, murmelte sie. „Ich hatte schon Angst, daß es anders sein könnte, aber ich habe mich getäuscht und bin froh darüber!“

      Tränen sind ebensogut Zeichen der Freude wie des Schmerzes, aber die, welche über Rosas Wangen perlten, als sie in Gedanken verloren am Fenster saß und immer noch in dieselbe Richtung schaute, schienen mehr aus Herzeleid als aus Freude vergossen zu sein.

      Siebenunddreißigstes Kapitel

      In welchem der Leser einen im ehelichen Leben nicht selten sich zeigenden Gegensatz beobachten kann

      Herr Bumble saß in seinem Wohnzimmer im Armenhause und blickte mit schwermütigen Augen in den Kamin, von dem aber kein heller Glanz ausging, da es Sommer war und kein Feuer brannte. Ein Streifen Leimpapier hing als Fliegenfänger von der Decke hinunter, um den die Fliegen lustig herumgaukelten, ahnten sie doch nicht, daß er ihnen Verderben brachte. Schwere Seufzer entrangen sich Herrn Bumbles Brust, wenn er seine Augen zur Decke hob, riefen ihm doch die dort sorglos spielenden Fliegen ein schmerzliches Ereignis seines vergangenen Lebens ins Gedächtnis. Es war jedoch nicht allein Herrn Bumbles melancholische Stimmung, die des Lesers Mitleid erregen mußte, es fehlte auch nicht an anderen Anzeichen, die bekundeten, daß eine große Veränderung in der Lage der Dinge stattgefunden haben müsse. Die schöne Uniform des Gemeinde­dieners mit dem dazugehörigen Dreispitz – wo waren sie hingekommen? Der Rock, den er jetzt trug, war von dem Uniformrock ach, so sehr verschieden, und der pompöse Dreispitz hatte einem bescheidenen runden Hute Platz machen müssen. Herr Bumble war nicht mehr Gemeinde­diener.

      Es gibt Beförderungen im Leben, die, abgesehen von den damit verbundenen geldlichen Vorteilen, noch eine besondere Bedeutung und Würde durch die dazugehörige Tracht erhalten. Ein Feldmarschall hat seine Uniform, ein Bischof seinen Ornat, ein Ratsherr seinen Talar und ein Amts- und Gemeindediener seinen dreieckigen Hut. Nimm dem Bischof seinen Ornat oder dem Amtsdiener seinen Hut und Rock – was bleibt? Menschen – bloße Menschen. Würde, und bisweilen sogar Heiligkeit, hängen weit mehr von Uniform und Ornat ab, als viele Leute ahnen.

      Herr Bumble hatte Frau Corney geheiratet und war Armenhausvater geworden. Ein anderer Gemeindediener war zur Macht gelangt, und der Dreispitz, die Uniform und der Stock waren auf ihn übergegangen.

      „Morgen werden’s zwei Monate!“ seufzte Herr Bumble. Es scheint ein Menschenalter zu sein.“

      Er wollte vielleicht damit sagen, daß das Glück eines ganzen Lebens sich in den kurzen Zeitraum von acht Wochen zusammengedrängt hätte – aber die Seufzer! Es lag so viel darin.

      „Ich verkaufte mich“, fuhr er, seine Gedanken weiter spinnend, fort, „für sechs Teelöffel, eine Zuckerzange, einen Milchtopf, etliche alte Möbel und zwanzig Pfund in bar. Ach, ich habe mich viel zu billig fortgegeben.“

      „Billig?“ kreischte eine grelle Stimme in Herrn Bumbles Ohr. „Du bist noch umsonst zu teuer, und Gott im Himmel weiß, daß ich dich teuer genug bezahlt habe.“

      Herr Bumble drehte sich um und sah seine Ehehälfte streng an. Diese hatte seine Seufzer nur unvollständig verstanden und ihre Bemerkungen auf gut Glück hingeworfen.

      „Frau Bumble!“ sagte der Ehegemahl vorwurfs­voll.

      „Nun?“ schrie die Dame.

      „Bitte, sieh mich an!“ („Wenn sie einen solchen Blick aushalten kann, so ist sie zu allem fähig. Er hat meines Wissens bei den Armen nie seine Wirkung verfehlt, und sollte er hier versagen, so ist’s mit meiner Macht aus.“)

      Ob nun ein strenger Blick hinreichend ist, Armenhäusler, die freilich der spärlichen Nahrung wegen keine besonders kräftigen Nerven haben, in Schrecken zu versetzen, oder ob die vormalige Frau Corney sogar gegen Adlerblicke gefeit war – wir wissen es nicht. Tatsache aber war, daß die Dame sich keineswegs durch Herrn Bumbles finsteren Blick und Stirnrunzeln einschüchtern ließ. Sie nahm ihn mit Verachtung auf und lachte nur geringschätzig.

      Als Herrn Bumble diese unerwarteten Lachtöne ans Ohr schlugen, machte er zuerst ein ungläubiges, dann aber ein bestürztes Gesicht. Er versank darauf wieder in sein trostloses Brüten, aus dem er aber bald durch die Stimme seiner holden Gattin geweckt wurde.

      „Willst du den ganzen Tag dasitzen und schnarchen?“ fragte Frau Bumble.

      „Solange, wie es mir beliebt“, entgegnete Herr Bumble, „und obgleich ich nicht schnarchte, werde ich es aber doch tun, auch gähnen, niesen, lachen oder weinen, gerade, wie es mir paßt. Denn ich habe das Recht dazu.“

      „Das Recht?“ höhnte sie mit unaussprechlicher Verachtung.

      „Jawohl Frau Bumble. Der Mann hat die Kommando­gewalt.“

      „Und was wäre denn, beim Himmel, das Recht der Frau?“ schrie die Hinterbliebene des seligen Herrn Corney.

      „Sie muß gehorchen“, donnerte Herr Bumble. „Das hätte dich dein unglückseliger seliger Mann schon lehren sollen, dann wäre er vielleicht noch am Leben. Ach, wie sehr wünschte ich, daß er es wäre.“

      Frau Bumble sah jetzt, daß der entscheidende Augenblick gekommen war. Es galt jetzt die Herrschaft an sich zu reißen oder endgültig darauf zu verzichten. Bei der Anspielung auf ihren ersten Gatten sank sie auf einen Stuhl und erklärte Herrn Bumble für ein hartherziges Scheusal, dabei brach sie in einen Strom von Tränen aus.

      Doch

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