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dann in seinem Gesicht ausbreiteten, bedeutete das für uns Kinder vor allem eines: In einer Katzenlauerstellung das freundlichste Gesicht der Welt aufsetzen, sich ganz still und leise verhalten und ihn andächtig anbeten. Das gab ihm offenbar ein Gefühl von Kontrolle und er beruhigte sich schnell wieder.

      Meine Mutter hatte nur Augen für ihn (und für sich) und hatte ihre Pflichten mit der Geburt von vier Töchtern erfüllt, auch wenn alle stillschweigend bedauerten, dass kein Sohn da war, um das väterliche Patriarchat zu übernehmen. Aber das würden ja dann in weiterer Folge die zukünftigen Schwiegersöhne tun, so die Hoffnung. Als meine Mutter nach der vierten Tochter eine Fehlgeburt hatte, war die Geburtenplanung schließlich abgeschlossen.

      Nach außen hin waren wir eine nette, gut-österreichische Familie, die christliche Werte hochhielt. Der Familienverband hatte einen hohen Stellenwert, was sich in artigen Weihnachtsbesuchen und erfolgreichen beruflichen Karrieren auszudrücken hatte, die der gesamten Sippschaft ein Netzwerk und gesellschaftliche Anerkennung boten. Im alltäglichen Miteinander waren wir Töchter allerdings den Großteil unserer Kindheit uns selbst überlassen, eingebettet in ein selbstverständliches strenges Gedankengebäude. Es mag seltsam klingen, aber wir gehorchten unbewusst Vorgegebenem. Auf den ersten Blick hatten wir viel Freiheit. Untertags schaute uns niemand auf die Finger, was wir als scheinbares Paradies betrachteten. In Wirklichkeit gab es allerdings sehr strenge Spielregeln. Nur wenn man sich an diese hielt, dann konnte man gut überleben.

      So merkte ich beispielsweise bald, dass ich mich nicht allzu auffällig benehmen durfte. Kein Mensch kümmerte sich darum, was wir taten, solange wir dann da waren, wenn wir da zu sein hatten. Ich war eines jener Kinder, die sich wie ein Chamäleon anpassen konnten. Unsichtbar, wenn die Eltern mit sich beschäftigt waren, jedoch sichtbar, wenn es darum ging kindliche Pflichten zu erfüllen.

      Diese Pflichten bestanden keineswegs im Aufräumen oder Putzen. Das war niedere Arbeit. Unsere kindlichen Aufgaben bestanden vor allem im Repräsentieren und Bewundern. Es galt ein bestimmtes Bild unserer Familie nach außen zu transportieren. War Besuch da, so hatten wir wohlerzogen und leistungsbewusst zu sein. Meine älteste Schwester wurde wegen ihrer guten schulischen Leistungen gelobt und die Jüngste spielte ein Klavierstück vor. Man konnte etwas, wusste etwas und man war eine Tochter zum Heiraten. Das klang ein bisschen nach Relikt aus dem 19. Jahrhundert, aber es war ein Wert, der nicht nur in unserer Familie, sondern ganz allgemein in bürgerlichen Kreisen hochgehalten wurde. Männer heirateten eine gute Partie und Frauen wurden geheiratet. Und das Ganze diente dem Erhalt der Sippe.

      Damit beschäftigt ein Ideal aufrecht zu erhalten, merkte ich bald, dass ich gewisse Dinge nicht denken durfte. So war es von Seiten meiner Eltern her streng untersagt, auch nur ansatzweise zu überlegen, dass irgendetwas in unserer Familie falsch sein könnte. Es war verboten auch nur zu ahnen, dass das, was mein Vater sagte, nicht richtig sein könnte. Darüber hinaus hatte man im Vorhinein die Wünsche unseres Vaters zu kennen und zu erfüllen. Es war eine Art vorauseilender Gehorsam. Wir lebten in einem selbstverständlichen Patriarchat. Wir kannten es nicht anders.

      Wenn es zum sonntäglichen Familienausflug losging, standen wir eine Viertelstunde lang aufgereiht wie die Orgelpfeifen, Stiefel und Mantel bereits angezogen, im Vorraum. Mein ungeduldiger Vater hatte es sich zur Gewohnheit gemacht seinen Mantel erst dann anzuziehen, wenn wirklich alle fertig waren. Es wäre eine Zumutung gewesen ihn warten zu lassen. Das lief dann so ab:

      Mein Vater saß am Klavier und trällerte eines seiner volkstümlichen Lieder während meine Schwester mit den Schnürbändern ihrer Stiefel kämpfte. Ich schielte zu ihr. Die Ösen, in die sie mühsam die schwarzen Bänder einfädelte, wurden in meiner Phantasie immer größer. Wie Maikäfer begannen sie sich zu bewegen und die Stiefel hinauf und hinunter zu krabbeln. Meine Schwester versuchte verzweifelt sie einzufangen, um ihre Schnürbänder daran festzumachen. Während ich sie so beobachtete, wurde mir immer wärmer und Schweiß begann an mir hinunter zu rinnen. Ich fühlte wie mein Unterhemd feucht wurde. Aber ich stand steif wie eine Zinnsoldatin mit einem süßen Lächeln im Gesicht. Ich wollte ja schließlich keine Ohrfeige riskieren. Diese Eigenschaft äußerlich ruhig zu bleiben und viel auszuhalten, nicht umzufallen oder auszurasten, ist mir in meinem Leben noch oft zu Gute gekommen. Schlussendlich waren wir dann alle angezogen und mein Vater startete hocherhobenen Hauptes mit seinen Töchtern zum Sonntagsausflug. Wir marschierten nicht weniger überheblich mit. Wir konnten stolz auf unsere Leistung sein. Wir hatten keinen Fehler gemacht. Alles war perfekt. Genauso wie mein Vater es wollte.

      Meine Mutter passte sich meinem Vater wie ein Schatten an. Wenn er etwas brauchte, lies sie alles liegen und stehen. So konnte sie in einem Augenblick noch gemütlich am Telefon mit einer Bekannten plaudern, kaum kam mein Vater bei der Tür herein, legte sie mit einer überstürzten Ausrede den Hörer auf. Das mag ja in einigen Fällen angebracht sein, aber auch wenn mein Vater nichts wollte und nichts brauchte, war sie für ihn da. Jede Minute.

      Selbstverständlich war meiner Mutter ihr Mann wichtiger als ihre Kinder. Schließlich hatten sich die Kinder den Eltern anzupassen und nicht umgekehrt.

      Eines Tages merkten meine Schwester und ich die schlechte Stimmung meines Vaters. Wir hatten Angst, dass er uns unbegründet schlagen würde. Hilfesuchend lief meine Schwester zu unserer Mutter. Die ging schnurstracks zu meinem Vater und kam mit der Antwort wieder:

      „Wenn ihr brav seid, wird er euch nicht schlagen. Ihr braucht keine Angst zu haben.“ Ich fühlte mich verraten. Warum hatte meine Mutter ihm von unseren Ängsten erzählt? Ich hatte gedacht, wir wären Verbündete gegen die cholerischen Ausschweifungen meines Vaters. Aber dem war nicht so. Wir waren nur Kinder. Untergeordnet und ausgeliefert. Brav sein hieß, sich still den Vorgaben des Familienoberhauptes auszuliefern. Da gab es keine Bündnisse oder Gehorsamsverweigerung, keine Diskussion oder gar konstruktive Kritik.

      Meine Eltern hielten diesbezüglich fest zusammen und waren mehr als nur einer Meinung, sie waren eins: im Denken, im Fühlen, im Handeln. Alles hatte sich meinem Vater anzupassen. Was nicht nach seinen Vorstellungen ging, wurde geleugnet. Genauso wurden wir Kinder ignoriert, wenn wir uns anders benahmen, als von uns erwartet wurde. Es war eine Form der Strafe durch Liebesentzug.

      Ich habe damals nicht verstanden, warum unsere Eltern so waren. Sie selbst erzählten, dass unsere Großeltern noch viel strenger gewesen wären. Sie betonten immer, dass wir es viel besser hätten, denn sie hätten als Kinder nicht nur unter der strengen Erziehung, sondern auch unter der Armut der Nachkriegszeit gelitten. Ihre eigene autoritäre Erziehung war ihnen trotzdem in Fleisch und Blut übergegangen. Sie hinterfragten nicht, ob das, was sie glaubten und lebten, auch gut und richtig war, oder ob es da möglicherweise Dinge gab, die so nicht sein sollten. Was Wahrheit war, wie man zu leben hatte und was man glauben musste, wurde vorgeschrieben. Die Wahrheit kam von meinem Vater. Meine Mutter schaltete ihr Denken aus.

      Im Nachhinein denke ich, dass es eine Generation war, die mehr durch den Krieg geprägt wurde, als sie sich eingestehen wollte. In ihrer eigenen Kindheit hatte sich eine große Sprachlosigkeit breitgemacht, da keiner die Schrecken des Krieges bildlich heraufbeschwören wollte. Es war außerdem ein Krieg gewesen, der sich die Verabsolutierung eines Gedankengutes zunutze gemacht hatte.

      Uns Kindern schärfte man ein, keinesfalls auf so jemanden wie Adolf Hitler reinzufallen. Der Nationalsozialismus hatte sich als gefährlich herausgestellt und Ideologisierung in jeglicher Form wurde auch von meinen Eltern skeptisch beäugt. Gleichzeitig war es trotzdem die Zeit der Suche nach der besten aller Wahrheiten, denn jeder in unserer Familie hing seiner eigenen Idealvorstellung nach und suchte nach der einzig wahren Gesellschaftsform. Es war die Zeit, in der der Sozialismus gegen den Kommunismus ausgespielt wurde, oder darum gestritten wurde, welche Form des Liberalismus die richtige sei. Die großen politischen Parteien konnten sich eine eindeutige Weltanschauung verpassen und die soziale Marktwirtschaft schien uns bürgerlichen geprägten Staatsbürgern die ideale Mischung zwischen christlicher Mildtätigkeit und einer Weichenstellung für beruflichen und gesellschaftlichen Erfolg. Die politischen Diskussionen kreisten im Grunde nur um eine Frage: nämlich, welches die b e s t e aller Ideologien sei.

      Mein heimatliches Umfeld war also durch ein zweifaches geprägt. Durch das väterliche Patriarchat, welches auch uns zu Sprachlosigkeit verdammte und jegliches Aufbegehren im Keim erstickte,

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