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die Heilige Barbara damals Ende des dritten Jahrhunderts, da gibt es jemanden, auf den man sich hundertprozentig verlassen kann. Und das war der Christen-Gott, denn Zeus oder Hera waren für mich definitiv keine Option. Woher ich mir so sicher war, dass die Frau mit dem Kind, die mich gerettet hatte, die Muttergottes war, weiß ich nicht. Vielleicht hatte es mir jemand erzählt oder ich hatte die beiden in einer Kirche gesehen. Ich wusste einfach, dass sie es waren. Und von da an begleiteten sie mich.

      Genauso selbstverständlich war mir die Heilige Dreifaltigkeit. Nicht als theologisches Gebilde oder auch nicht als Bezeichnung, sondern als Erfahrung. Gott war der, mit dem man reden konnte, er war der, der quasi unsichtbar um mich herum schwebte und in mir war. Ich redete mit ihm. Nur war mir das als Kind definitiv nicht bewusst. Er war eher wie der unsichtbare Freund oder andere Begleiter, den so manche Kinder haben. Er war da und ich habe mit ihm gesprochen.

      Und Jesus? Jesus war für mich der Mensch aus den Geschichten. Er war konkret greifbar, als Mensch, den ich zwar noch nicht persönlich kennengelernt hatte, aber wie eine Person über die man spricht und der man möglicherweise eines Tages begegnet. Ich wusste: Jesus war Gott zum Angreifen.

      Gott konnte ich überall finden. Jesus nicht. Jesus war für mich in der Kirche. Dort konnte ich hingehen und mich mit seinen Geschichten volllaufen lassen. Ich wusste auch, dass man Jesus im Tabernakel finden konnte, dort wo immer das rote Licht brannte. Jedes Mal, wenn ich in eine Kirche kam, hatte ich das Bedürfnis nachzuschauen, ob Jesus auch wirklich dort drinnen war. Aber natürlich traute ich mich nicht. Ich kniete mich vor dem Tabernakel nieder, in der Hoffnung, dass Jesus von selbst herauskommen würde. Ich stellte mir das ähnlich wie beim Flaschengeist aus Aladdins Wunderlampe vor. Oder auch wie auf den Bildern von Salvador Dalì. Da floss dann ein Wassertropfen aus dem Rand der Tabernakeltür, der langsam Gestalt annahm und zu Jesus wurde. Er blickte mich mit seinen runden, braunen Augen an und fragte liebevoll:

      „Na, Babette, welche Geschichte möchtest Du denn heute hören?“ Ich freute mich.

      „Die vom Kamel und dem Nadelöhr3“, rief ich begeistert und Jesus setzte sich auf die Stufen des Altares und begann mir die Geschichte vom reichen Mann zu erzählen, der an die Himmelstür klopfte. Vor mir erschien das Bild einer weiten Wüste, nichts außer Sand und Staub und in der Ferne ein paar Berge. Ein mittelalterlicher Kaufmann näherte sich mit seiner Karawane im Schlepptau. Er war in schwarzen Samt und Purpur gekleidet und hatte einen breiten Hut auf dem Kopf, der einen langen Schatten in der Wüstensonne warf. Einsam, mitten in der Wüste stand eine prunkvoll geschmückte Himmelstür. Der Kaufmann wollte in den Himmel kommen und klopfte mit einem strahlenden Lächeln an die Türe. Das laute Klopfen war weit in die Wüste hinein zu hören und schon erschien eine Hand mit einem Zeigefinger und eine dumpfe dröhnende Stimme rief: „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.

      Der Kaufmann blickte verzweifelt auf seine Kamele, seufzte und eine Träne rann ihm über die Wange. Er würde wohl nie in den Himmel kommen. Neben der Himmelstür stand Jesus in seinem einfachen, weißen Gewand. In der Hand hielt er, lässig wie ein Stabhochspringer nach einem erfolgreichen Wettbewerb, eine riesige Nähnadel. Eines der Kamele des Kaufmanns schlurfte langsam heran und quetschte sich durch das Öhr dieser Nadel. Ich lachte und war unheimlich froh, dass es durchgekommen war. Auch der Kaufmann lächelte wieder. Er hatte die Hoffnung nun doch in den Himmel zu kommen. Jesus war für mich der eigentliche Held der Geschichte, denn er hatte diese riesige Nähnadel.

      Der Heilige Geist war für mich das Komplizierteste, denn der war nicht immer da. Er kam und ging wann er wollte. Ich hatte keine Möglichkeit ihn einzufangen, obwohl ich das gerne getan hätte. Er war wie der Wind, der bei uns meistens von Osten kam. Ich mochte den Wind. Er brachte ein Gefühl von Freiheit und eine Gewissheit, dass da etwas Himmlisches war, das gleichzeitig Teil dieser Welt war. Der Heilige Geist war etwas Unbeschreibliches, fern und doch ganz nah. Er war eine Kraft, die sich in der Welt breitmachte. Leider konnte man sie so schwer behalten oder anfassen. Sie war diffus und wolkenweich. Dieser Geist war weniger jemand mit dem ich redete, sondern er redete mit mir, er flüsterte mir Gedanken ein und inspirierte mich plötzlich und unerwartet, wie eine kräftige Windhose, die alles durcheinanderwirbelte. Manchmal zog mich dieser Geist wie ein starker Windsog in seinen Bann.

      Gottvater, Jesus und der Heilige Geist waren ein unschlagbares Team. Sie waren immer in meiner Nähe. Soweit meine kindliche, aber sehr lebensnahe Vorstellung der Heiligen Dreifaltigkeit.

      eine gutbürgerliche familie

      Meine Herkunftsfamilie könnte man als fast normale bürgerliche Familie beschreiben. F a s t. Denn ich dachte immer, dass wir normal und damit bürgerlich wären, jedoch gab es in unserer Familie ganz eigene Spielregeln. Es waren Spielregeln, die mein Tun und Denken nachhaltig bestimmten. Meine Eltern waren nach außen hin religiös, aber nicht zu sehr und man gab sich eher progressiv nach-vatikanisch. Gleichzeitig war mein Vater innerlich mehr Atheist, als religiös und vor allem von ganzem Herzen Naturwissenschaftler. Geprägt durch die Wissenschaftsgläubigkeit eines Industriezeitalters, waren Religion und Naturgesetze für ihn schwer miteinander vereinbar. Möglicherweise war es einfach nur eine Reaktion auf die von der Kirche zwanghaft vermittelte Unfehlbarkeit von Glaubenssätzen. So trennte mein Vater strikt zwischen Beweisbarem und Unbeweisbarem. Gott könne man ja schlussendlich nie beweisen, meinte er. Er freute sich jedoch wie ein Schneekönig, als Quantenphysiker die doppelte Existenz gleicher Teilchen nachwiesen, was zeige, dass es ein Außerhalb von Raum und Zeit geben müsste, da es ja merkwürdige Teilchen gab, die beschlossen hatten, an verschiedenen Orten ins Zeit-Raum-Gefüge einzutreten, aber gleichzeitig dasselbe Teilchen waren. Das war für ihn dann doch ein Beweis für die theoretische Möglichkeit einer jederzeitigen Auferstehung des Körpers.

      Meine Mutter ging regelmäßig in die Kirche und setzte mit ihrem religiösen Aktivismus ein Zeichen für ihr Gutsein. Sie hatte aber durch ihre patriarchale Prägung im Grunde nur einen einzigen Gott: meinen Vater. Trotzdem war unsere ganze Familie katholisch. Genau genommen: die ganze Großfamilie. Der Sonntagsgottesdienst und ein gewisses kirchliches Engagement waren selbstverständlich. Man setzte sich für eine gute Sache ein und glaubte vor allem an die Moralinstanz Kirche. Die Kirche und mit ihr eine ethische Regelung des Lebens war schließlich ein Bollwerk in dieser verluderten Welt.

      Ich wuchs in einem 1960er Jahr Wohnblock in einem gutbürgerlichen Stadtviertel auf. Es war einer von diesen Betonbauten, die schnell hochgezogen wurden, um möglichst vielen Menschen eine eigene Wohnung zu verschaffen, aber doch ein gewisses ästhetisch-architektonisches Mindestmaß boten. Meine Eltern brachten es zu Wohlstand, den sie jedoch nicht auslebten. Sie deponierten das Geld lieber am Bankkonto, für den Fall, dass einmal wieder schlechte Zeiten kommen würden. Sie zählten zu dieser Nachkriegsgeneration, die verbissen arbeitete, sich nichts gönnte und für die Anerkennung der erstrebenswerte Sinn des Lebens war.

      In diesem Wohnblock machte ich aber gleichzeitig die Erfahrung, dass es auch Menschen gab, die anders dachten.

      Unsere Nachbarin war katholisch, aber sie ging nie in die Kirche. Meine Eltern sagten immer:

      „Na ja, das sind halt die sozialistisch geprägten“. Für sie waren die Sozialisten die einfachen Arbeiter, die es im Leben nicht weit bringen würden, aber zu denen man großzügig zu sein hatte, schließlich produzierten s i e, was w i r zum Leben brauchten. Wir hingegen hatten eine gewisse Verantwortung. Wenn wir mit den Nachbarskindern spielten, schlich sich mir manchmal ganz heimlich die Vermutung ein, dass diese mehr Freiheiten und weniger Verbote hätten. Ich spürte leichten Neid aufkommen, den ich aber gleich wieder zur Seite schob. Sie hatten die schlechteren Tischmanieren und sie würden einmal die minderwertigen Jobs bekommen. Also war es besser, b e s s e r zu sein.

      Zu meinen Eltern hatte ich wenig Beziehung. Es lässt sich eher so beschreiben, dass sie meine selbstverständliche Umgebung waren, schließlich gab es keine andere. Sie waren das Umfeld in dem ich aufwuchs.

      Mein Vater war Familienerhalter und zugleich ein Patriarch, der im Grunde nur seine eigenen Wünsche kannte und verbal um sich schlug, wenn jemand auch nur anders dachte. Er konnte cholerische Anfälle bekommen, wenn das Essen nicht seinem Geschmack entsprach oder Kinder laut brüllend durchs Zimmer rannten. Dann lief sein Gesicht rot an. Seine Augen traten hervor und

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