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der katholischen Kirche. Ich bin spirituell, kreativ und gestalte gerne. Ich wäre gerne Priesterin geworden. Aber das geht nicht. Es ist Frauen in der katholischen Kirche nicht erlaubt.

      Ich bin trotzdem begeisterte Christin und werde oft gefragt, warum ich denn bei so einem patriarchalen Verein dabei bin. Darauf gibt es keine einfache Antwort. Es ist eine Mischung aus Berufung, Gotteserfahrung, Heimat, Begeisterung… und vor allem dem Willen etwas zu verändern.

      Doch Veränderung ist nur möglich, wenn sich auch in uns etwas ändert. Deshalb möchte ich meine Leserinnen und Leser auf eine literarische Reise in Sachen Frau und Kirche mitnehmen.

      Vorliegendes Buch ist kein Roman, obwohl er eine Geschichte erzählt und kein pastoraltheologischer Sachtext, obwohl er den wissenschaftlich-theologischen Blick auf die Struktur schärfen möchte. Er ist beides.

      Die Liebesgeschichte von Babette und Lucien [sprich: Lüßi’äh(n)] ist die Erzählung meiner eigenen Geschichte mit der Kirche. Sie ist autobiographisch und doch keine reale Biographie meines Lebens. Die Erfahrungen sind wahr. Allerdings sind es nicht immer meine eigenen. Die Geschichten und Handlungsstränge sind Bruchstücke aus wirklichen Erlebnissen.

      Es gibt keine Tante Maria. Es gibt aber sehr wohl Menschen, die diese Tante Maria sein könnten.

      Es gibt auch Lucien nicht. Er ist eine simple Allegorie der Kirche. Aber es gibt Männer und Frauen, die wie Lucien systemkonform handeln.

      Und es gibt Babette - in vielen Facetten und Ausfaltungen. Sie erzählt die Geschichte einer Frau in einer patriarchalen Kirche. Es ist die Erfahrung einer Frau, die - systembedingt zu Denk- und Handlungsweisen gezwungen -, an einer Analyse der Machtverhältnisse nicht mehr vorbeikonnte.

      Sich der Wahrheit dogmatisch-theologisch anzunähern ist das eine. Sich ihr auszusetzen und pastoral zu verorten ist das andere. Theologie muss lebbar sein, sonst bleibt sie ein seltsames Konstrukt in einer postmodernen Welt.

      Und so habe ich versucht Worte für etwas zu finden, das sich schwer beschreiben lässt: Machtverhältnisse und Denkstrukturen.

      Und schließlich steht hinter all dem noch die Frage, was Gott damit zu tun hat.

      Papst, Franziska Maria

      2020 Jahre nach Christi Geburt

      1. DER TURM

       Da sprach Jesus: Um zu richten, bin ich in diese Welt gekommen: Damit die nicht Sehenden sehen und die Sehenden blind werden. Einige Pharisäer, die bei ihm waren, hörten dies. Und sie fragten ihn: Sind etwa auch wir blind? (Joh 9,39-40)

      babette

      Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die wir uns nicht wirklich erklären können. Ich denke nicht, dass sich meine Eltern bewusst waren was sie taten, als sie mir den Namen der Heiligen Barbara gaben. Auf den ersten Blick war das auch nicht offensichtlich, denn meine frankophile Mutter nannte mich Babette und mir sollte erst Jahre später klarwerden, dass dies nicht nur eine französische Ableitung des Namens Barbara war, sondern auch, dass sich die Lebensgeschichte der Heiligen Barbara eng mit meiner eigenen Geschichte verknüpfen würde. War es also so, dass mich durch die Namensgebung ein bestimmtes Schicksal erwarten würde, oder bedeutete es, dass sich die Heilige Barbara als Schutzpatronin für ein ganz bestimmtes Thema erweisen sollte?

      Als ich klein war, mochte ich den Namen nicht. Er schien mir falsch und fremd, denn es war mir manchmal, als ob ich im Grunde eine ganz andere wäre. Und doch war ich so, wie ich war. Ich war Babette. Tochter ihrer Eltern. Enkeltochter ihrer Großeltern. Aufgewachsen in der Stadt.

      Wenn ich in den Spiegel schaute, blickte mir ein fröhliches Mädchen entgegen, dessen braune Haare weder gelockt noch glatt waren, sondern sich sehr willkürlich drehten und mir deshalb ein eher unstetes Aussehen verliehen. Die blauen Augen, mit denen ich mich selbst anschaute, schienen tiefer zu blicken, als das überhaupt möglich war. Fischaugen hätte ich, hatte mein Volksschulfreund immer gesagt und es ist mir bis heute nicht klar, was er damit gemeint hatte. Meinte er, dass ich stumm wie ein Fisch war, weil ich so schüchtern war oder hatte er einfach nur ausdrücken wollen, dass meine Augen w a s s e r blau waren?

      Ich war ein Kind mit speziellen Begabungen. Aber das wusste ich nicht. Ich hielt meine Talente für selbstverständlich, da sie ja einfach da waren. Ich hatte die Fähigkeit die Welt in einer Tiefe wahrzunehmen, die andere gar nicht interessierte. So konnte ich mich in den Anblick einer Mauer versenken. Ich schaute und schaute und schon nach wenigen Augenblicken wurden die Steine der Mauer lebendig und begannen ihre Erlebnisse preiszugeben. Sie erzählten Geschichten von Menschen. Die Steine entführten mich in die Gedanken der Kinder, die auf der Mauer gesessen hatten. Es waren Buben, die darüber nachdachten wie sie Mama oder Papa glücklich machen konnten oder Mädchen, die fieberhaft überlegten, ob grüne Socken wohl zu weißen Sandalen passten. Die Mauersteine erzählten Geschichten über Beziehungen, über Liebe und Tod, Freude und Leid. Ich sah das Liebespaar, das sich hinter der Mauer versteckt hatte. Ich konnte sie lachen hören. Und ich war tief berührt von der jungen Frau, die erschöpft ihren Kopf gegen die Mauer lehnte und überlegte, ob es nicht leichter wäre zu sterben.

      Wie Alice aus dem Wunderland konnte ich in die Löcher der Mauer hineinkriechen. Und war ich erst einmal in einem Loch verschwunden, war es plötzlich nicht mehr klein und eng, sondern im Gegenteil, ich hatte das Gefühl in der richtigen Welt angekommen zu sein. Diese Phantasie-Steine-Mauer-Welt war für mich in manchen Momenten wirklicher als die echte Welt, weil sie schöner, weiter und spannender war, als die, die mein tagtägliches Leben umschrieb. Und sie war vor allem realer, als so mancher Erwachsener erahnen konnte. Sie war m e i n e Wirklichkeit.

      Dass auch das reale Leben in subjektiver Wahrnehmung besteht, wurde mir erst in späteren Jahren bewusst. Damals waren die Geschichten, die mir die Mauer erzählte nicht fremde irreale Erzählungen, keine fliegenden Drachen, auch keine Märchen von Prinzessinnen und Prinzen, sondern ich bastelte Erlebtes, Gehörtes und Erfahrenes in meinem Kopf zu Erzählungen zusammen. Es waren banale Geschichten. Alltagsgeschichten. Sie halfen mir, meine Erlebnisse und Gedanken in Worte zu fassen, die auch ich letztendlich in die Mauer verpacken konnte. Dort waren sie nicht nur gut aufgehoben, sondern ich konnte sie mir jederzeit, wie einen Kinofilm, ansehen. Das Schöne an diesen Phantasiegeschichten war aber auch, dass ich ihnen ein Happy End verpassen konnte, was im realen Leben manchmal nicht möglich war.

      Doch nicht nur Geschichten aus meiner unmittelbaren Gegenwart faszinierten mich, sondern ich konnte mich auch gut in vergangene Welten hineinfallen lassen. Ich machte Reisen im Kopf und fragte mich, was diejenigen d a m a l s wohl zur Welt h e u t e sagen würden. Wahrscheinlich würden sie sich vor den neuesten Entwicklungen fürchten. Sie würden Lautsprecher für Geister und Flugzeuge für böse Drachen halten. Was haben die Menschen damals gedacht und geglaubt, fragte ich mich. Wie wussten sie zwischen Vorstellung und Realität zu unterscheiden?

      Besonders geprägt haben mich die Erlebnisse, die mein Großvater aus seiner Kindheit erzählte. Meist waren es lustige Erzählungen über Streiche, die sie als Buben in dem kleinen Dorf, in dem er aufgewachsen war, durchführten. Es waren Geschichten über seine Schulzeit. Ich denke einige dieser Erzählungen hat mein Großvater auch erfunden, als er merkte, wie gerne wir seinen Erinnerungen zuhörten.

      Als ich älter war, sprach mein Großvater auch über den Krieg. Aber das waren sehr seltene Momente. Umso mehr sind sie mir im Gedächtnis geblieben. Ich denke, er wollte nicht wirklich darüber reden. Er versuchte, seine Erlebnisse herunterzuspielen und erzählte im Grunde nur Harmloses. Doch die kleinen Alltagsgeschichten ließen mich das Erleben der Menschen spüren. Ich schlüpfte in die Personen seiner Erzählungen hinein. In meinem Kopf wurden seine Kriegserfahrungen lebendig.

      Ich wurde zum Soldat, der an einem eiskalten Wintertag auf einem offenen Lastwagen von Klagenfurt nach Wien fuhr. Es war kalt. Sehr kalt. Der junge Mann hatte nur einen einzigen Gedanken, nämlich:

      „Ich muss mich bewegen, damit ich nicht erfriere“. Und er stand auf und lief auf der Ladefläche des Lastwagens hin und her. Fünf ewige Stunden lang. Ich spürte wie mir die Kälte in die Glieder kroch und stand auf, um mich zu bewegen. Hin und her - auf knappen eineinhalb Metern - hin und her. Kniebeuge. Hin und her. Kniebeuge.

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