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und nichts ging mehr. Aber Gott sei Dank hatte ich einen motivierten Vater, der sich daran machte den Schlauch auszubauen und zu flicken. Aber den Schlauch wieder auf das Rad zu montieren war offensichtlich komplizierter, als er mich anfangs hatte glauben lassen. Er schraubte, wurstelte und schimpfte, um dann schließlich mit einem gewissen Maß an Brutalität den Schlauch in die passende Position zu bugsieren. Ich freute mich für ihn, als es geschafft war. Doch als ich sah, wie er vergeblich versuchte Luft in den Schlauch zu pumpen, wich meine Freude einer Ratlosigkeit. Mein Vater begann furchtbar zu schimpfen. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, dass ich meinem armen Vater so eine Arbeit machte. Schnell zog ich den Schlauch wieder vom Rad und suchte das Loch. Es war ziemlich groß. Möglicherweise hatte sich der Schraubenzieher beim Aufziehen in den Schlauch gebohrt. Mein Vater hielt das hingegen für unmöglich und schimpfte:

      „So eine Frechheit, da haben sie uns doch tatsächlich einen alten Schlauch verkauft. Das kann ja nicht funktionieren. Ich werde mich beschweren gehen.“

      Dann rauschte er unter Schimpfen ab. Ich gab meinem Vater recht. Es war sicher nicht sein Fehler gewesen. Damals erwartete ich, er würde sofort ins zuständige Geschäft gehen und sich beschweren. Aber es dauerte. Zuvor hatte er noch tausend andere Dinge zu tun. Eine Woche später fasste ich mir ein Herz und sprach ihn auf den kaputten Schlauch an. Schließlich konnte ich eine Woche lang nicht Radfahren. Ich versuchte vorsichtig anzumerken, dass es ja auch beim Montieren passiert sein könnte und man könne das Rad ja in ein Geschäft bringen. Das war das falsche Stichwort. Er begann wieder mit einer Schimpftirade.

      „Ja eine Frechheit ist das, ein alter Schlauch“, und er schüttelte den Kopf. „Wie die Händler uns Konsumenten ausnehmen, das geht nicht.“ Meine Mutter nickte eifrig und stimmte meinem Vater lautstark zu:

      „Neue Fahrräder mit alten Schläuchen zu verkaufen, für wie dumm halten die uns.“

      „Ja“, sagte mein Vater, „das lassen wir uns nicht gefallen.“ Dann sprach er noch lange darüber, wie viele Schläuche er schon gewechselt habe und immer habe es funktioniert. Schließlich fuhren wir alle drei, meine Mutter, mein Vater und ich zum Geschäft um dem unverschämten Verkäufer die Leviten zu lesen. Vor der Türe des Radhändlers fiel meinem Vater plötzlich ein, dass er noch eine wichtige Besorgung zu machen hätte und er schickte meine Mutter ins Geschäft. Diese führte widerspruchslos den Befehl meines Vaters aus, allerdings nicht so wie ich es erwartet hatte. Sie ging demütig ins Geschäft, bestellte mit leiser Stimme einen neuen Schlauch, den sie still bezahlte und damit war die Sache erledigt. Ich war enttäuscht. Warum hatte sie dem Verkäufer nicht die Meinung gesagt. Und wo war mein Vater?

      Wieder daheim bat meine Mutter den Hausmeister mein Fahrrad zu richten, der das in wenigen Minuten erledigt hatte.

      Beim Abendessen sagte mein Vater laut zu meiner Mutter:

      „Aber du hättest den Hausmeister nicht bitten müssen, ich hätte das schon noch gemacht.“ Meine Mutter meinte freundlich: „Aber wir wissen doch, dass du immer so viel zu arbeiten hast, da musst du das nicht auch noch machen.“ Mein Vater grunzte versöhnlich und konzentrierte sich dann auf das Essen.

      Ich wollte es mir nicht eingestehen, aber dieses Erlebnis gab mir eine erste schmerzhafte Ahnung davon, dass mein Vater doch nicht so perfekt war, wie er vorgab zu sein. Zumindest war er kein begnadeter Reifenwechsler und er war auch nicht mutig, sondern überließ unangenehme Sachen gerne meiner Mutter. Aber das durfte ich damals nicht wissen.

      Ich hatte meine Lektion gelernt. Ich hinterfragte nicht, bewahrte mir meinen Kleinmädchen-Blick und stellte meinen Vater auf ein Podest. Er war toller und besser als alle anderen, er konnte alles und wusste, wie das Leben funktionierte. Familienvater zu werden erschien mir sehr erstrebenswert. Ein wunderbares Geschenk.

      Schon bald stellte sich deshalb bei mir eine diffuse Gewissheit ein, dass mein Vater den besten Teil in unserer Familie gewählt haben könnte. Es war eine Tatsache, die ich für mich mit einem nicht eindeutigen Geschlechterverhalten beantwortete. Obwohl ich mich durchaus als Mädchen wohlfühlte, wäre ich oft gerne ein Bub gewesen. Mein bester Freund, war eben ein bester F r e u n d und keine Freundin. Und ich war sein bester Freund. Man sagte uns schon im Volksschulalter eine Liebschaft nach. Aber die Wahrheit war, dass ich von ihm ganz wunderbare Dinge lernte. Tretautos bauen, zum Beispiel, oder alte verfallene Häuser zu erforschen. Räuber und Gendarm gehörte auch zu unseren Lieblingsspielen, wobei ich am liebsten der Räuber war. Es waren auch die Kämpfe um ein fiktives Schlachtfeld, die wir mit langen Brennnesselstauden ausfochten. Wenn ich am Abend meine mit roten Pusteln übersäten Arme und Beine in kaltes Wasser tauchte, tröstete ich mich damit, dass das gut für das Immunsystem sei und ich auf jeden Fall ein guter Soldat geworden wäre. Wir kletterten über Schuppendächer, erforschten Kanaltunnel und bauten vor allem immer wieder lustige Erfindungen die mehr schlecht als recht funktionierten. Wir erfanden eine Leuchtglocke für die Nacht, die eben leuchtet und nicht klingelt. Oder wir wussten, wie man ein Zelt ohne Stäbe baut, das nur mit Schnüren befestigt wird. BabSi-Patent nannten wir diese Dinge, eine Mischung aus den Worten Babette und Sigi. Meine Haare ließ ich mir genauso kurz schneiden wie Sigi, trug Buben-Hemden und als man mich im Geschäft mit: Na, was hättest Du denn gerne junger Mann? anredete, war ich glücklich.

      Das änderte sich dann aber mit der Pubertät, wo es mir doch besser schien ein Mädchen zu sein.

      schwarzweiß und exklusiv

      Äußerlich war meine Welt ganz einfach. Es gab die, die alles richtig machten und die, die auf dem falschen Weg waren. Unsere Familie - und mit ihr meine kleine Welt – war natürlich am richtigen Weg. Man war gut katholisch und schlecht evangelisch, man war gut bürgerlich und schlecht proletarisch, man war politisch schwarz oder gehörte zu den Roten. Natürlich gab es in meiner Welt auch andere Gruppen, die schwer zuzuordnen waren, da sie sowieso unwichtig oder nur ein Teil eines größeren Ganzen waren. Als ich einmal nachfragte, was es mit der Anti-Atomkraft oder der Grünbewegung auf sich hatte, fanden meine Eltern die Frage zwar interessant, aber nur partiell relevant.

      „Oh, es ist gut, sich über solche Themen Gedanken zu machen“, kommentierte mein Vater, „aber eine politisch wichtige Partei ist das nicht.“ Ebenso war die Hippie-Bewegung für meine Eltern längst vorbei und diverse Frauenrechtlerinnen von Simone de Beauvoir, über Johanna Dohnal bis zu Alice Schwarzer waren auf jeden Fall lobenswert-erwähnenswert, aber übertrieben feministisch.

      „Die sind ja keine richtigen Frauen“, pflegte mein Vater zu sagen. Da ich diese Frauen nicht persönlich kannte, ein Fernseher war bei uns verpönt und demzufolge erst bei den Nachbarn zu finden, hatte ich sehr phantasievolle aber wenig realistische Bilder zum Weltgeschehen und stellte mir feministische Frauen als unansehnliche Mannweiber vor, mit muskulösen Armen, dicht behaarten Beinen und einem finsteren Blick. Feminismus erschien mir als etwas definitiv Unattraktives.

      Ich wuchs also in einer schwarz-weißen Welt auf. Wir gehörten zu den Richtigen und zu den Besseren. In den seltenen Momenten, in denen ich allerdings Einblick in das Leben meiner Schulkolleginnen hatte, schlichen sich bei mir Zweifel ein. Natürlich waren auch sie katholisch-patriarchal geprägt, aber manches war anders. Da gab es diejenigen, die Partys machten und sich dabei so gar nicht moralisch verhielten. Da gab es andere, die hatten einen Fernseher, den auch die Eltern benutzten und mehr noch, sie kommentierten das politische Tagesgeschehen mit einer frechen Selbstverständlichkeit, die mir als Verrat an der jeweiligen Parteizugehörigkeit erschien. Und es gab Eltern, die sich scheiden ließen. Einfach so. Auch wenn es für die Kinder schmerzhaft war. Dann gab es auch noch die, die Gott und die Kirche kritisierten, ohne dass es Konsequenzen für sie gehabt hätte. Als ich meinen Vater schüchtern auf solche Details ansprach meinte er nur abfällig:

      „Ach ja, die ungebildeten Leute denken so. Das ist das Proletariat. Für uns ist das nicht so.“ Das war sein Standardspruch. Auch für mich war dieser Satz eine große Stütze, wenn Widrigkeiten mein enges Weltbild bedrohten. Wir sind anders, weil wir sind etwas Besonderes, konnte ich mir dann einreden. Wir hier sind die Könige, dort sind die Untertanen, wir sind gescheit, die sind dumm…

      Für uns Kinder war das im Grunde entlastend. Wenn man einmal herausgefunden hatte, was richtig oder falsch war, dann brauchte man das nur zu befolgen. Ganz besonders galt das natürlich

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