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einige Minuten vorher einen dumpfen, aber dennoch lauten Knall gehört. Als er an der Brücke eintraf, fand er zuerst den Toten neben der Straße, denn den sah er von der Strecke aus liegen. Dass die Brücke schwer beschädigt war, erkannte er erst, als er unten auf der Straße stand. Es konnte auch tatsächlich von den Gleisen aus nicht bemerkt werden, bis man dicht vor der Brücke selbst stand.

      Es stand für mich fest, dass Boulanger den Ingenieur überfahren hatte, ebenso zweifelte ich nicht daran, dass Sievers irgendwie mit der Sprengung in Zusammenhang stand. Seine Fingerabdrücke fanden sich auch an dem Handrad der Zündmaschine wieder. Es waren aber auch noch die eines anderen Mannes dran. Man kann bekanntlich erkennen, ob es Fingerabdrücke von Mann oder Frau sind, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Der chemische Test ergibt aber auch im Zweifel, ob von Mann oder Frau.

      Warum, und das beschäftigte mich noch während des Mittagessens, warum wurde die Brücke gesprengt? Tat es Sievers? Warum wurde er dann erschlagen? Wenn er auch nicht daran gestorben war, so sollte er doch sicherlich getötet werden.

      Sievers hatte Schulden, die er vier Tage vor seinem Tod alle bezahlte. Wovon?

      Ich hatte die Zentrale der amerikanischen Banken und Kreditanstalten anschreiben lassen, ob irgendeine Bank einen Kredit an Sievers gezahlt hatte. In dieser Zentrale geben die überwiegend meisten Banken der USA ihre Kredite an. Dort wird auch die sogenannte Schwarze Liste für Kreditunwürdige geführt. Leute, die Kredite nicht zurückgezahlt haben.

      Sievers hatte keinen Kredit bekommen. Es gab allerdings einige Banken, meist kleinste Unternehmen, die dieser Zentrale nicht angeschlossen waren.

      Der Leumund von Sievers war sehr gut. Er galt als angesehen und hilfsbereit. Er bekleidete einige Ehrenämter im öffentlichen Leben, gehörte der Demokratischen Partei an und war Schriftführer dieser Partei in Shamokin. Ein Durchschnittsbürger also. Seine Frau galt als sehr häuslich und war ebenfalls recht beliebt in der Stadt. Die A.P. & N. Y.Bahnen stellten Sievers das erdenklich beste Zeugnis aus.

      Wenn er die Sprengung durchgeführt hatte, warum dann?

      Es mussten sich Leute im Zuge befunden haben, deretwegen dieses Attentat durch geführt worden war. Ich kam einfach nicht mehr von der Idee los, dass unter den Passagieren jemand sein musste, der das Motiv der Tat erklären könnte. Wer von 344 Menschen?

      Immer wieder ackerte ich die Liste durch. Und immer wieder blieb ich an 21 Mädchen hängen. Der Girltruppe. Ich kam einfach nicht von der Vorstellung los, dass hier eine Verbindung zu Boulanger bestand.

      Am Nachmittag nahm ich die planmäßige Kurzstreckenmaschine nach Shamokin und traf gegen 14 Uhr bei Larry im Polizeihauptquartier ein.

      Tom Higgins saß schon da, rauchte eine Zigarre aus der Spitze und hatte die langen Beine auf einem Stapel Adressbüchern liegen.

      11

      „Hallo, Rex! Gut, dass Sie endlich da sind. Ich wollte Ihren jungen Kollegen eben bereden, mit mir ein Stück nach Shenandoah zu in das Gilford-Tal zu fahren.“

      „Sie erinnern mich an eine Fabel“, erwiderte ich knurrig, denn ich war wirklich wütend, dass Higgins immer schon vor mir am Platz war.

      Er dachte und erwiderte: „Sie meinen die Sache von Hase und Igel, wie? Nein, Rex, ich bin kein Igel. Und Sie sind kein Hase. Ehrlich gestanden, ich hatte gehofft, Sie würden in New York klebenbleiben.“ Er hielt mir seine Zigarrentasche hin, doch ich winkte ab.

      „Und wozu das Ganze?“, erkundigte ich mich lauernd.

      Er machte eine Unschuldsmiene, und Larry klärte mich statt seiner auf: „Er hat mir vorhin gesagt, dass du zu viel Licht wirfst, und er will nicht immer ein Schattenkind bleiben.“

      Ich musste lachen. „Sie sollen Ihr Licht haben, Tom. Und was steckt im Gilford-Tal?“

      „Der Täter!“

      „Sie Spaßvogel!“

      „Kommen Sie, ich zeig’s Ihnen!“ Er wurde ernst. „Rex, das ist kein Witz! Aber jetzt drehen Sie mir ja nicht durch und alarmieren womöglich ein Regiment Polizisten! Der Bursche ist scheu wie ein Hirsch. Wir werden uns als Jäger tarnen. Davor hat er vielleicht keine Angst.‟

      „Wer, zum Teufel, ist das?“, fragte ich.

      „Ein Einsiedler. Ich kenne ihn nicht, aber er hat einen Tabaksbeutel unweit der Sprengstelle verloren. Vorhin war ich dort. Jetzt ist da eine Heerschar von Baumenschen beschäftigt, die Brücke wieder herzurichten. Ich habe aber einen Mann gesehen, der etwas suchte. Intensiv suchte. Und der gehörte nicht zu den Bauarbeitern, denn die kannten ihn nicht. Der Kerl verkrümelte sich wieder. Ich bin ihm nach. Er lebt in einer winzigen Hütte. Und er hat ein Gewehr, das habe ich gesehen. Ich wollte am liebsten allein hin, aber ...“

      „Dann kam die große Angst, wie?“, spottete Larry.

      Higgins nahm es nicht zur Kenntnis. „Ich hielt es für sicherer, zu zweit zu gehen. Mir liegt nichts daran, den Helden zu spielen.“

      „Sie haben recht, Tom. Gehen wir also!“

      Larry wollte mit, aber er musste die Stellung halten.

      „Du bleibst am Besten hier. Man weiß ja nie, ob nicht ein wichtiger Bericht ankommt“, entschied ich. Er machte ein Gesicht wie angebrannter Milchreis.

      Als ich gehen wollte, sagte Larry: „Rex, ich wette, dieser Higgins hat nichts weiter im Kopf, als sich selbst ein Podest für sein eigenes Denkmal zu errichten. Der sammelt ohne Rücksicht auf Verluste Kieselsteine für dieses Podest. Nur das hat er im Sinn. Er möchte berühmt werden auf deine Kosten!“

      „Aber Larry, wie kommst du auf so abwegige Ideen?“

      „Ich höre ihn nur reden, mehr nicht. Die Sorte kenne ich.‟

      Ich zuckte die Schultern und ging. Tom Higgins wartete draußen. Er hatte diesmal einen Wagen gemietet, ein klotziges Schlachtschiff von schwarzem Lack.

      12

      „Die Morgenzeitung gelesen?“, fragte Tom, während er die Straße nach Shenandoah entlangfuhr.

      „Sie meinen die Nachricht von Boulangers Tod?“ Ich sah ihn an. Er nickte.

      „Die Jungs von der Presse scheinen es gut mit Ihnen zu meinen, Rex. Es steht kein Wort über die Begleitumstände seines Todes drin.“

      „Es besteht auch Informationssperre, Tom, falls Sie das noch nicht wissen sollten. Ich hoffe, Sie halten sich auch daran.“ Er lachte. „Ich habe schon einen Zwischenbericht bei meiner Direktion abgegeben. Die sind sehr zufrieden.“

      „Wie viele fremde Federn haben Sie sich denn an den Hut gesteckt?“

      Er lachte wieder. „Spielt das eine Rolle? Für Sie läuft doch der Job weiter, ob Sie nun dicke Fische ins Netz ziehen oder kleine. Aber bei mir ...“

      „Irgendwie scheint Larry doch recht zu haben“, murmelte ich. Er hatte es gehört.

      „Und was meint Ihr Kollege?“, fragte er lächelnd.

      „Dass Sie zu denen gehören, die nur an ihren eigenen Vorgarten denken.“

      „Deshalb habe ich Sie jetzt mitgenommen, wie?“, spottete er. „Ich würde schon mit Ihnen zusammenarbeiten, und ich tu’s ja sogar, aber etwas Sonne muss auch auf mein Haupt scheinen. Sonst kann ich bei der A.P. & N.Y.Bahn den Koffer packen.“

      „Reden Sie kein Blech, Tom! Sie wollen sich in der Zeitung stehen sehen, das ist es.“ Ich sagte das ziemlich scharf, und er blickte mich überrascht an.

      „Sie gehen ja hart mit mir ins Zeug“, meinte er. Es sollte lässig klingen, aber irgendwie hatte ich seinen Nerv getroffen.

      Um gleich bei dieser Gelegenheit reinen Tisch zu machen, sagte ich weiter: „Es geht hier um einen Mordanschlag, der dreihundertvierundvierzig

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