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„Trollskogen“, den Wald der Trolle, der in einem Pfad nur leicht hinter einem großen Spielplatz vom Rundweg abzweigte. Dieser Umstand allein ließ Thorsten nicht stutzen, aber über dem Hinweisschild zum Trollwald hing ein roter Stringtanga, der wie eine Fahne im Wind wehte.

      Maik Holzner hatte sich bislang zurückgehalten, nun kommentierte er dieses skurrile Bild aber: „Uuih, ein neuer Hinweis. Was das wohl für Trolle sind, die mit roten Stringtangas werben?“

      Thorsten war genervt. „Okay, Leute, bleibt ihr auf dem Hauptweg, ich schaue mir den Trollwald mal näher an und komme euch dann wieder entgegen.“

      „Na, Chef, ob du das alles in der Zeit schaffst? Wer weiß, was dich dort erwartet. Aber keine Angst, wir petzen nicht“, frotzelte Thomas Schulte mit einem Augenzwinkern.

      Thorsten schoss ein Foto von dem Wegweiser samt Tanga und ging zielstrebig in Richtung Trollskogen. Die Psychologin hatte Mitleid und schloss sich ihm an.

      Das Quartett der anderen Profiler flötete: „Bis nachher, viel Erfolg!“, und folgte dem Hauptweg.

      Carlotta und Thorsten passierten den Spielplatz, auf dem meist junge Eltern und Großeltern mit ihren Kindern und Enkeln beschäftigt waren. Zum Trollwald führte ein felsiger Weg durch einen Birkenwald. Der hügelige Boden war mit Moos bedeckt. Es roch muffig, und der Resttau zog zu einem nebligen Dunst auf. Ein echter Zauberwald. An einer Birke war ein Trollkopf befestigt, über dem ein Pfeil weiter in den Wald zeigte. An diesem Wegweiser hing völlig deplatziert ein roter BH. Während Thorsten wieder zur Kamera griff und mehrfach auslöste, wurde es der Psychologin doch mulmig, denn hier waren sie allein. In der Ferne nahmen sie dunkle Schatten auf den schmalen Wegen wahr. Carlotta hoffte, es waren andere Touristen und keine Trolle, die sie langsam einkreisten. Hier hätte man sofort die Szene eines Harry Potter Films drehen können, ohne etwas zu verändern. Einzig der BH störte dieses Bild.

      Thorsten klappte die Zeichnung auseinander. Sie schauten auf einen Baumstamm, auf den der Oberkörper eines weiblichen Trolls mit Brustansätzen gezeichnet war. Sie hörten von Ferne das lachende Schreien eines Kindes, das wohl gejagt wurde. Hoffentlich nur zum Spaß von seinem Vater oder Opa.

      Durch den Dunst entdeckten sie abseits des Weges in den Felsen schemenhaft einen etwa drei Meter hohen Stamm, der nach oben nicht dünner, sondern dicker wurde. Nur allmählich konnte man den schmalen Bereich als Hüfte, den darüber als Brust und darauf den überdimensionierten Kopf mit den riesigen Ohren erkennen. Das war der Troll von der Skizze.

      Sie gingen vorsichtig weiter. Der Dunst löste sich mehr und mehr auf, je näher sie der Gestalt kamen. Erst jetzt konnten die Psychologin und der Profiler erahnen, dass sich etwas Helles an den Stamm anlehnte. Beim Näherkommen erkannten sie den nackten Leichnam einer jungen Frau mit langen, blondlockigen Haaren. Der gesamte blasse Körper war aufgrund von Kopf- und Halswunden blutüberströmt, wobei sich eine große Blutlache am Boden zwischen den weit gespreizten Beinen gebildet hatte. Thorsten verharrte und stoppte Carlotta, die näher an den toten Körper herantreten wollte.

      „Bleib bitte hier. Wir können nichts mehr für sie tun und wollen die gesamten Spuren nicht zerstören. Rufst du bitte das Team an? Sie sollen sich an den Hinweisschildern aufstellen und den BH und Stringtanga so lange sichern, bis die Kollegen aus Bergen übernehmen. Ich versuche, die beiden Kollegen aus Oslo zu erreichen. Es ist jetzt sicher angebracht, dass sie in Bergen bleiben.“

      Der OFA-Leiter hatte sich die Mobilfunknummer von Politibetjent 1 Larsen geben lassen und konnte sie noch in der Polizeidienststelle in Bergen erreichen.

      „Hallo, Frau Larsen, auch wenn Sie es mir nicht sagen dürfen. Ist es richtig, dass die skalpierte Frau im Botanischen Garten in Oslo erstochen und nackt aufgefunden worden ist?“, fragte er die Ermittlerin direkt.

      Larsen wollte eigentlich ausweichen, fühlte sich anhand der Stimme des deutschen Profilers allerdings veranlasst, ehrlich mit einem kurzen „Ja!“ zu antworten.

      „Dann sollten Sie Ihren Heimweg abbrechen und mit vollem Programm in den Trollskogen kommen. Wir haben soeben eine nackte Frauenleiche gefunden, und das sind mir ein paar Zufälle zu viel“, forderte er unmissverständlich.

      „Thooooorsten!“, schrie Carlotta plötzlich. „Da war jemand im Gebüsch und hat uns beobachtet!“ Sie zeigte auf eine kleine Schonung, etwa 100 Meter oberhalb des Leichenfundortes. Thorsten konnte noch einen Schatten wahrnehmen, der schnell durch das Unterholz rannte und versuchte, den Berg hinaufzusprinten. Er selbst schleppte den großen Profirucksack mit der gesamten Fotoausrüstung immer noch auf dem Rücken. Der war so befestigt, dass er bei Exkursionen nicht aus seiner Position rutschte, was sich nun rächte. Ein kurzes Abstreifen des etwa 15 Kilogramm schweren Equipments gelang ihm während des Sprints bergauf nicht. Thorsten fluchte über das üppige Frühstück und die Leckereien der ersten Tage auf See und musste die Verfolgung schwer atmend abbrechen. Dann alarmierte er umgehend sein Team.

      „Achtet auf eine Person, die von uns aus auf euch in Richtung Bergstation zukommt und vielleicht Blut am Körper und der Kleidung hat. Hier ist gerade wer vom Tatort geflüchtet.“

      Kristin erfragte eine Beschreibung. Geschlecht, Größe, Statur, Bekleidung? „Sorry, die Person war zu weit weg“, bedauerte Thorsten, was seine Kollegin nur mit „Klasse! Wir halten die Augen auf“ beantwortete. Es klang resigniert.

      Thorsten untersuchte den Bereich um den Ort der ersten Sichtung und war nicht erstaunt, als er im Unterholz weitere Bekleidung mit deutlichen Blutantragungen fand.

      Das Viererteam hatte sich aufgeteilt. Nina und Kristin sicherten die beiden Wegweiser mit der Unterwäsche. Die Jungs beobachteten die Rückkehrer zur Bergstation, wobei Thomas mit seinem Handy versuchte, möglichst viele Personen zu videografieren, die später als Zeugen oder auch Tatverdächtige ermittelt werden konnten.

      Über einen Versorgungsweg zum Restaurant erreichten ein Notarzt und mehrere Einsatzfahrzeuge der Polizei den Bereich der Aussichtsplattform. Maik Holzner begrüßte umgehend Ingrid Larsen und Magnus Andersen, die aus einem Fahrzeug der Spurensicherung stiegen.

      „Hallo, Herr Holzner, wo liegt die Frau?“, fragte sie hektisch.

      „Irgendwo oben im Trollwald. Wir waren auch noch nicht da. Herr Büthe hat gerade eben noch eine verdächtige Person verfolgt. Sie sollten sämtliche Leute überprüfen, bevor Sie zurück ins Tal fahren. Wir haben die Rückkehrer bislang nur videografieren können. Frau Bäumer und Frau Bachmann sichern einen BH und einen Stringtanga an zwei Hinweisschildern zum Trollwald. Vielleicht kann die Unterwäsche dem Opfer zugeordnet werden und diente als Wegweiser zum Tatort“, vermutete Maik Holzner.

      „Okay, Maik, ich werde alles veranlassen. Wir müssen jetzt erst mal zum Tatort. Bis gleich“, verabschiedete sich die junge Ermittlerin.

      Nach einem weiteren Telefonat mit den Politibetjents aus Oslo rückten nach und nach Ermittler aus Bergen, Kriminaltechniker und ein Rechtsmediziner an. Der alarmierte Notarzt zog sich nach einem Blick auf den Leichnam schon von Weitem zurück. Hier war für ihn nichts mehr zu veranlassen.

      Der Tatort wurde mit rot-weißem Flatterband abgesperrt. An der Trollfigur und dem unmittelbaren Leichenfundort wurde ein heller Pavillon aufgestellt, in dem die Rechtsmediziner und Kriminaltechniker ungestört mit ihren eigenen Lichtquellen arbeiten konnten. Weitere Spezialisten der Spurensicherung dokumentierten die Ablage und den Fundort der aufgefundenen Opferbekleidung in der Schonung oberhalb der Trollstatue. Dort waren eine Jeans, eine Bluse und eine leichte Windjacke sowie ein paar blaue Sneakers abgelegt worden, an denen großflächige Blutantragungen vorhanden waren. Unterwäsche oder eine Tasche mit persönlichen Gegenständen fanden sich hier und im weiteren Umfeld nicht.

      Während die Spezialisten vom Hordaland Politidistrikt Thorsten Büthe und die Beamten des LKA Niedersachsen vor Ort zu ihren Beobachtungen befragten, hörten sie einen lauten Aufschrei aus dem Tatortzelt: „Jævla dritt!!“, und alle schreckten auf.

      „Was haben sie da gerade gerufen?“, fragte der OFA-Leiter seinen Kollegen aus Oslo, Magnus Andersen.

      „Das heißt auf Deutsch in etwa ‚verdammte Scheiße‘. Ich geh mal nachsehen.“

      Der

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