Скачать книгу

wird wohl aber nichts anderes übrig bleiben“, vermutete Nina nachdenklich. „Oder will sich hier irgendjemand einen Alleingang leisten? Ihr dürft nicht vergessen, dass wir Gäste in diesem Land sind.“

      „Aber genau dann ist es doch unsere Pflicht zu unterstützen“, wandte Thorsten ein.

      „Es bedeutet aber auch zu akzeptieren, wenn die Hilfe nicht erwünscht ist“, erinnerte ihn Carlotta.

      Thorsten winkte ab und ging.

      Als er seine Kabine betrat, fand er an der Tür einen sogenannten Kabinenbrief, in dem sich die Osloer Beamten für das Unterstützungsangebot bedankten. Dann teilten sie mit, dass ihr Vorgesetzter entschieden hatte, sie nicht nur von Bord abzuziehen, sondern auch auf die angekündigten Zeugenvernehmungen der begleitenden Kolleginnen zu verzichten. Es seien keine weiteren ermittlungsfördernden Hinweise zu erwarten. Mit den typischen oberflächlichen Höflichkeitsfloskeln wünschten sie den deutschen Kollegen eine angenehme Weiterreise.

      Thorsten kochte vor Wut, versuchte aber, wieder in einen Reisemodus umzuschalten und sich vor seinem Team nichts anmerken zu lassen. Wie so oft in solchen Momenten, schnappte er sich seine Nikon und machte einen Spaziergang über das Außendeck. Er wäre nicht Thorsten Büthe, wenn er seine Motive nicht auf ältere Damen fokussiert hätte, die er sich in der Kabine auf seinem Laptop weiter heranzoomte und konzentriert betrachtete. Vielleicht hatte er sich wirklich verrannt, und die Frau mit dem Rollator hatte nie das Schiff betreten. Er duschte seine Zweifel ab und begab sich zu den anderen ins Theatrium, um vor dem Abendessen die Vorstellung der Attraktionen von Bergen zu genießen, zumindest soweit es ihm aufgrund seiner Gemütslage möglich war.

      Kapitel VII

      Bergen sehen und sterben

      Die wunderschönen Bilder der alten Stadt Bergen versöhnten Thorsten Büthe mit den Erlebnissen des Tages. Endlich konnte er abschalten und sich wieder auf die Reise konzentrieren. Manchmal war es besser, Dinge einfach hinzunehmen, die man nicht ändern konnte. Gedanklich ließ er sich von den Erzählungen des Lektors treiben. Er verfolgte die Geschichte der Stadt und bewunderte die bunten Holzhäuser von Bryggen, die einmal Handelseinrichtungen der Hanse gewesen waren. Nicht nur Thorsten staunte über die traumhafte Aussicht vom Fløyen aus, die Teile von Bergen sowie den Byfjord zeigte. Auch seine Kollegen waren fasziniert.

      Im Anschluss an die Vorstellung der Attraktionen in und um Bergen entschloss sich das gesamte Team für eine Fahrt mit der Fløibahn. Sie führte zur Aussichtsplattform und dem Aufenthalt auf einem der sieben Berge der Stadt. Nach der Abfahrt ins Tal würden sie dann genug Zeit haben, sich die Flaniermeile Bergens anzuschauen und ihren Ausflug mit einem Einkaufsbummel sowie dem Besuch des Fischmarktes zu verbinden. Die Profiler wollten die Zeit von der Ankunft um 8 Uhr bis zum Auslaufen um 18 Uhr komplett nutzen. Thorsten Büthe freute sich schon auf einen frühen, aber fototechnisch interessanten Morgen mit einem heißen Kaffee an Deck, währenddessen er das Einlaufen in den Hafen von Bergen in Ruhe genießen wollte. Für Nina hingegen war 8 Uhr noch mitten in der Nacht. Sie bat um rechtzeitiges Wecken, aber erst wenn sie angelegt hatten und wirklich nur kurz vor Beginn des Ausflugs.

      Während des Fotografierens beobachtete Thorsten das Anlegemanöver und schoss einige Bilder vom Treiben an der Pier mit seinem Telezoom. Nachdem die Gangway freigegeben worden war, verließen die beiden Politibetjents als Erste das Schiff, um ihre Mordermittlungen in Oslo fortzusetzen. Sie hofften, dass sie dabei erfolgreicher sein würden.

      Als Thorsten im Frühstücksrestaurant eintraf, saß sein Team fast vollzählig am gedeckten Tisch und genoss die Leckereien vom Buffet. Nina hatte sich noch nicht aufraffen können mit dabei zu sein, wobei Kristin versicherte, dass sie ins Bad gegangen sei, als sie die Kabine verlassen hatte.

      Wegen des geplanten Ausflugs standen sie nicht unter Druck. Die Fløibahn fuhr in den Sommermonaten ganztägig von 7:30 bis 23 Uhr, Reservierungen waren nicht erforderlich.

      Sie hatten sich über ihre Bord-App in die Liste des Neun-Uhr-Shuttles eingetragen und waren endlich als Team komplett, als Nina mit einem Croissant und einem coffee to go dazustieß. Bei strahlendem Sonnenschein konnten sie schon vom Anleger aus den Gipfel des Fløybergs sehen. Sie wurden in den Shuttlebus sechs eingewiesen, der sie nach kurzer Fahrt im Zentrum Bergens direkt an der Bahnstation in Sichtweite des Fischmarktes absetzte.

      So früh gehörten sie zu den wenigen, die den Panoramablick auf die Stadt, die reizvolle Umgebung und die „Norwave“ bei milden Temperaturen erleben wollten. Gut gelaunt erreichte das Team die Talstation der Bahn. Die Schlange vor dem alten, weißen Gebäude, das 1918 erbaut worden war, blieb überschaubar. Ihre Tickets hatten sie bereits an Bord gebucht. Das war ein toller Service des Schiffs und verhinderte Wartezeiten. Daher dauerte es auch nicht lange, bis sie die Gondel erreicht hatten. Trotzdem wurde Thorsten Büthe beim Einsteigen mehrfach unsanft angerempelt. Er schüttelte den Kopf. Manche Menschen benahmen sich so, als ob sie allein auf der Welt wären. Samt Kollegen stand er nun in einer Gondel, die sie mit weiteren Ausflüglern in nur sechs Minuten über eine Streckenlänge von 850 Metern und 300 Höhenmetern zur Bergstation bringen würde.

      Der Fløyen liegt nur 320 Meter oberhalb des Meeresspiegels, wobei die Aussicht auf die Stadt, die Hafeneinfahrt, die Fjorde und die umliegenden Berge tatsächlich faszinierend ist. Thorsten hatte seinen Fotorucksack umgeschnallt. Hier war neben seiner riesigen Nikon auch seine Fujiausrüstung untergebracht, um für alle interessanten Motive gewappnet zu sein. Er ließ die Fujikamera, die er mit einem extremen Weitwinkelzoom bestückt hatte, glühen und nutzte das klare Morgenlicht.

      Das Team war sportlich gekleidet und hatte sich als Ausgleich zu den üppigen kulinarischen Verführungen an Bord vorgenommen, die Proportionen des Körpers durch gemäßigte Bewegung nicht völlig entgleiten zu lassen.

      Sie starteten ihre Wanderung auf dem etwa drei Kilometer langen Rundweg, der touristengerecht an einem Restaurant, Café und mehreren Souvenirläden samt Spielplätzen vorbeiführte.

      Thorsten Büthe steckte den Objektivschutzdeckel in seine Jackentasche und bemerkte dann, dass sich darin ein Stück Papier befand, das er dort nicht hineingesteckt hatte. Es handelte sich um ein mehrfach geknicktes DIN-A4-Blatt mit einer Zeichnung. Sie zeigte eine große Trollfigur über einem darunter liegenden Strichmännchen, um dessen gelbe Haare rote Tropfen gemalt waren. Rundherum waren Bäume und Felsen skizziert.

      „Wollt ihr mich zu einer Schnitzeljagd animieren?“, fragte Thorsten sein Team und hielt das Papierstück hoch.

      Er blickte in irritierte Gesichter.

      „Jemand hat mir diesen Zettel in die Jackentasche gesteckt. War das wer von euch?“, hakte der Teamleiter mit ernstem Unterton nach.

      Er faltete den DIN-A4-Zettel auseinander und zeigte die Skizze in die Runde.

      Kristin prustete: „Nicht dein Ernst! Du glaubst jetzt nicht an eine Tatortskizze oder willst uns hier dienstlich beschäftigen? Wir sind doch im Urlaub, oder?“

      Thomas Schulte konnte es nicht lassen: „Huh, eine geheimnisvolle Karte. Was bekommt derjenige, der den Ort als Erster findet? Ich finde Schnitzeljagden cool.“

      Thorsten blieb ernst. „Ich denke immer noch an den Mord in Oslo. Was ist, wenn es doch kein Zufall war? Was ist, wenn die Frau mit dem Rollator doch mit an Bord gekommen ist? Ich kann nicht sagen, wo mir jemand diesen Zettel zugesteckt hat. Vielleicht schon an Bord ...“

      Nina griff im ironischen Analysemodus ein: „Wenn hier ein Mord skizziert worden ist, müsste die Phantom-Omi vor uns allen eine der ersten Fløibahnen genutzt haben und das samt Rollator. Dann hat sie hier oben irgendwo einen Mord begangen und muss in Windeseile diese Skizze gezeichnet haben, um sie dir auf dem Weg vom Schiff bis auf die Aussichtsplattform zuzustecken. Das ist mal etwas Besonderes für das Guinnessbuch.“

      Die Psychologin, Carlotta, versuchte zu beschwichtigen: „Was haltet ihr davon, wenn wir den Rundweg wie geplant gehen, im Restaurant einkehren und ein paar Souvenirs kaufen? Sollten wir dann auf dem Weg eine Leiche finden, können wir wenigstens gestärkt direkt in eine Fallanalyse einsteigen. Was meint ihr dazu?“

      Thorsten

Скачать книгу