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haben alles. Haben Sie noch Fragen an uns?“

      „Unbedingt“, warf der LKA-Beamte ein. „Was machen Sie hier eigentlich? Sie vernehmen mich in aller Ruhe zu einem Sachverhalt, der Ihnen seit dem frühen Abend bereits bekannt ist. Ihr Kollege versteht leider nichts, was wir hier die letzten zwei Stunden gesprochen haben. Kann er die Zeit nicht mit wichtigeren Ermittlungen verbringen? Sie überprüfen nicht, wer von den Passagieren die Frau mit dem Rollator sein kann. Sie ignorieren unsere Kompetenz in solchen Fällen total und verplempern einfach nur Zeit.“ Der OFA-Leiter wurde zornig, als der bullige Politibetjent 2 aufstand und sich vor Thorsten auf die Tischkante setzte.

      „Herr Büthe, wir wissen genau, was wir wie und wann machen müssen. Zeitgleich werden die Passagierdaten durch die Crew überprüft und natürlich auch sämtliche Videodaten ausgewertet. Die Fotos der Bordfotografen werden abgeglichen und wir vernehmen unseren Hauptzeugen, der vor drei Stunden noch unter Mordverdacht stand. Und bevor Sie wieder nachfragen müssen, habe ich jedes Ihrer Worte verstanden. Ich war mit einer deutschen Ärztin verheiratet, die nach Norwegen ausgewandert ist, weil ihr in Deutschland so super mit euren Medizinern umgeht. Ist das mit LKA-Beamten ähnlich?“

      Thorsten war nicht so schnell zu beeindrucken, aber das hatte gesessen, was er sich jedoch nicht anmerken lassen wollte.

      „Prima, das vereinfacht doch alles. Darf ich noch eine wesentliche Frage stellen?“ Der Profiler wartete die Antwort nicht ab.

      „Wie ist eure Dienststelle in Oslo bei Tötungsdelikten aufgestellt? Gibt es Experten für Tatrekonstruktionen, die Täterverhalten interpretieren und daraus ein Profil und darauf resultierend alternative Ermittlungskonzeptionen erstellen?“

      „Natürlich, die sitzen direkt in Oslo. Die Einheit ist 2011 nach dem Massaker in Oslo und auf der Insel Utøya gegründet worden. Anders Behring Breivik hatte damals 77 Menschen erschossen und natürlich wollte man wissen warum. Diese Ermittlungen jedoch führen wir selbst“, stellte Politibetjent 2 Andersen klar.

      „Ist es möglich, dieses Team mit ins Boot zu holen? Ich glaube, wir könnten die Ermittlungen unterstützen“, bot der OFA-Leiter an.

      „Leider haben wir den Tatort gerade verlassen und sind auf hoher See. Wie soll das funktionieren?“, hinterfragte der bullige Beamte.

      „Wir benötigen Tatortfotos, einen entsprechenden Befundbericht, Angaben zum Opferbild und das rechtsmedizinische Sektionsprotokoll. Wäre das möglichst schnell umsetzbar?“, forderte der deutsche Beamte.

      „Um dann was damit zu tun?“, fragte Politibetjent Larsen unsicher.

      „Damit können wir in einer sogenannten Fallanalyse Angaben zu den Tathandlungen, den Motiven des Täters, der Nähe zum Opfer und Angaben zur Täterpersönlichkeit erarbeiten. Vor allem ist es möglich einzuschätzen, ob die Oma mit dem Rollator die Täterin sein kann oder anders mit drinsteckt“, versuchte Thorsten zu argumentieren und setzte nach, als er in verständnislose Gesichter blickte. „Ich kenne mich in der Kriminalitätslage von Oslo nicht so gut aus, aber in Deutschland haben wir nicht regelmäßig junge tote Frauen in Parks liegen, von denen der Täter den Skalp als Trophäe oder was auch immer mitnimmt.“ Thorsten gönnte den beiden Beamten keine Atempause. „Die erste Frage, die sich aufdrängt, ist: Wie ist die Frau denn getötet worden?“

      „Sie ist erstochen worden“, klärte Politibetjent 1 Larsen auf.

      „Das habe ich gehört. Wie genau? Wie viele Stiche? Wo waren die Stichwunden, am gesamten Körper? Gab es aktive oder passive Abwehrverletzungen? Wurden Körperpartien priorisiert oder bewusst ausgespart? Waren das Gesicht oder die Geschlechtsmerkmale betroffen? Waren es nur Stich- oder auch Schnittwunden? Hat ein sexueller Missbrauch stattgefunden? Und vermutlich die wichtigste Frage zur Motivation: Ist die Frau vital oder postmortal skalpiert worden? Versteht ihr, was ich meine?“, schloss Thorsten seinen Appell.

      Ingrid Larsen verstand. „Wir stecken in dem Fall noch nicht so tief drin und können diese Fragen nicht beantworten.“

      „Welche Fragen hättet ihr mir denn als Mordverdächtigem gestellt, wenn ihr nicht einmal wisst, was passiert ist?“

      Politibetjent 2 Andersen wurde wieder offiziell. „Herr Büthe, vielen Dank für Ihre Angaben, Sie dürfen gehen. Wir werden die Ermittlungen morgen früh fortführen und auf Sie zukommen. Gute Nacht.“

      Thorsten erkannte, dass es an diesem Abend keinen Sinn machen würde, die Ermittler von einer Kooperation zu überzeugen. Er wollte sich im Team abstimmen, ob sie sich hier überhaupt weiter engagieren sollten, kannte aber schon zumindest seine Position.

      Der deutsche Profiler versuchte, den Kapitän auf der Brücke zu sprechen, wurde aber mit dem Verweis auf seine mangelnde Zuständigkeit und seine Position als normaler Passagier abgewiesen.

      So blieb dem gesamten Team nichts weiter übrig, als in der ,Fjord-Bar‘ bei dem einen oder anderen Getränk diesen chaotischen Tag Revue passieren zu lassen. Lachend ertappten sie sich, dass alle in der Menge nach einer älteren Dame mit Rollator Ausschau hielten.

      Kapitel VI

      Ein Seetag

      Beim gemeinsamen Frühstück beschloss das Profilerteam, sein Engagement von der Kooperationsbereitschaft der Osloer Kollegen abhängig zu machen. Ohne die erforderlichen Daten und Unterlagen konnten sie niemandem helfen. Thorsten suchte die Brücke auf, und der Kapitän kam kurz an die Tür, um ihm mitzuteilen, dass die Überprüfungen an Bord keinerlei Erfolg gezeigt hatten. Die älteren Passagiere waren alle befragt worden. Auf den verfügbaren Video- und Fotodateien sei die Dame mit Rollator nicht verzeichnet gewesen.

      „Herr Büthe, eigentlich darf ich es Ihnen nicht sagen, aber weder die Osloer Polizei noch wir hier an Bord können davon ausgehen, dass die Dame mit dem Trolley jemals die ,Norwave‘ betreten hat. Sie wäre niemals durch die letzten beiden Schleusen gelangt. Wer weiß, wie alt die Bordkarte war, die sie am Pier bei der ersten Sicherheitsschleuse vorgezeigt hatte. Die beiden norwegischen Ermittler werden in Bergen wieder von Bord gehen und ihre Ermittlungen in Oslo weiterführen. Bitte sagen Sie den anderen Passagieren noch nichts. Wir werden jetzt erst nach Bergen fahren. Die beiden kollidierten Schiffe unter der Hardanger Brücke blockieren noch immer die Fahrrinne. Wir mussten wieder umdisponieren. Ich wünsche Ihnen jetzt eine erholsame Reise und entschuldige mich für die bisherigen Umstände.“ Mit diesen Worten kehrte der Kapitän zurück auf seine Brücke und ließ den LKA-Beamten fassungslos stehen.

      Völlig echauffiert berichtete Thorsten von diesen nicht nachvollziehbaren Entscheidungen und versuchte die norwegischen Kollegen zu erreichen, die ihnen allerdings bewusst aus dem Weg gingen.

      Die beiden Politibetjents waren nach dem Gespräch mit dem deutschen LKA-Beamten nachdenklich und hatten am Morgen die Anregungen des Profilers ihrem Polizeichef, Inger Olsen, vorgetragen. Sie hatten sogar gebeten, die erforderlichen Unterlagen an Bord der „Norwave“ zu mailen, was der Herr Olsen vehement ablehnte. Er untersagte sogar, die anderen Zeugen zur älteren Dame zu vernehmen. Die bisherigen ersten Aussagen bei der Hafenpolizei seien ausreichend. Die Ermittler sollten in Bergen von Bord gehen und umgehend nach Oslo zurückkehren, um dort die Mordermittlungen vor Ort zu unterstützen.

      Mit dieser Entscheidung wollten sie ihren deutschen Kollegen nicht konfrontieren, frühstückten daher extra in der Crewkantine und mieden die Passagierdecks.

      Das Team redete auf Thorsten ein, er solle erst einmal wieder herunterkommen.

      „Mann, jetzt mach da ’nen Haken dran und vergiss die Geschichte, wenn sie unsere Hilfe nicht wollen“, schlug Kristin vor.

      „Wirklich, Thorsten“, versuchte es Carlotta ein wenig sanfter, „es macht doch keinen Sinn sich aufzureiben. Lass uns an den Anlass der gemeinsamen Reise denken: Entspannung und Erholung pur.“

      „Wie soll ich mich erholen, wenn ich weiß, dass da draußen oder vielleicht sogar in unserer Nähe ein Mörder rumläuft?“, fragte Thorsten. „Vor allem, wenn wir überhaupt keine Chance haben, helfend einzugreifen.“

      „Er hat recht“, stimmte Maik zu. „Mir

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