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knurrte er in seinen schmutzigroten Bart, wenn ihm etwas mißlang oder wenn ihn wieder ein Unheil getroffen hatte. »Bennet hat es geschickt!«

      Eigentlich war er seit jener unglückseligen Vormittagsstunde in Pittsburg ewig auf der Flucht. Auch die Jahre unten in Kentucky war er auf der Flucht gewesen. Er hatte sich immer versteckt, ferngehalten von den anderen, keinen Kontakt mit den Nachbarn gepflegt. Seine Frau hatte ihn nie begriffen, aber sie hatte geschwiegen. Da sie nichts von seinem Pittsburger Erlebnis wußte und es in ihrem Leben auch nicht mehr erfahren sollte, hatte sie sich darauf verlegt, schweigend mitzudulden.

      Hacatts Leben war eine Kette ununterbrochenen Leids gewesen. Aber das, was ihm hier auf diesem Felspfad bevorstand, sollte alles Bisherige noch überschatten. In diesem Augenblick, da die beiden Radnaben kreischend das harte Felsgestein gestreift hatten, trennten die Iren nur noch anderthalb Meilen von seiner schwersten Stunde.

      Die ›Paßstraße‹, die die Arapahhoes vor mehr als hundert Jahren dem Fels abgetrotzt hatten, wurde steiler und jetzt auch so kurvenreich, daß der Wagen oft nur mühevoll mit den Hinterrädern auf der Straße gehalten werden konnte.

      Wilma Hacatts Gesicht war kalkweiß geworden.

      Der Junge neben ihr zog die Brauen zusammen und fragte: »Was ist los, Ma?«

      »Nichts, Timmy.«

      Der Junge wollte sich jedoch damit nicht zufriedengeben. Er sah auf den Weg, links an der zerklüfteten Felswand hinauf; und dann warf er einen schauernden Blick in den Abgrund, der rechts vom steinigen Pfad emporgähnte.

      »Weshalb müssen wir hier fahren, Ma?«

      »Ich weiß es nicht, Timmy. Vielleicht gibt es keinen anderen Weg.«

      »Wenn es keinen anderen Weg gäbe, müßten wir doch Menschen hier treffen«, beharrte der Junge.

      Die Frau seufzte.

      Da sagte der Junge: »Vielleicht wollen die anderen Männer nicht über die Berge wie wir.«

      Die Frau nickte. »Das wird es sein, Tim.«

      Damit war das kurze Gespräch beendet. Es war das letzte, was Wilma Hacatt mit dem jüngsten Kind sprechen konnte. Es war überhaupt das letzte, was sie beide gesprochen hatten.

      Die beiden hinter dem Wagen starrten in diesem Augenblick entgeistert auf die Räder, die schnarrend über das Gestein rutschten – und dann rollte das rechte Rad frei in der Luft über dem Abgrund.

      Mary war kreidebleich geworden und warf einen Blick in das Gesicht des Bruders.

      Der starrte noch auf das Rad.

      »Bill!« keuchte das Mädchen.

      »Sei still!« gab der Bursche schroff zurück.

      Da klammerte Mary sich plötzlich an den Bruder. »Ich habe Angst, Bill!«

      Der Bursche machte sich los. »Unsinn, der Weg ist schwer, und – yeah, er ist steil, aber es ist eben nicht zu ändern.«

      Da hatte das Rad wieder Boden gefaßt und knatterte weiter holpernd über das graue rissige Gestein.

      Weiter ging es bergan. Keiner der fünf Menschen sah sich um. Allen saß die Angst im Genick.

      Nahm denn dieser höllische Trail hier herauf nie ein Ende?

      Doch, er nahm ein Ende, ein jähes Ende.

      Urplötzlich geschah es. Hinter einer scharfen Biegung sah Jesse Hacatt plötzlich die großen Gesteinsbrocken auf dem Weg liegen. Brocken von vielen Zentnern Gewicht, die eine Weiterfahrt unmöglich machten.

      Der alte Hacatt blieb stehen.

      Hinten schwebte das rechte Rad fast einen Yard über dem Abgrund.

      Da brüllte der Schuß auf.

      Die Kugel traf den Iren links an der Schulter und warf ihn zurück. Er stürzte auf die Deichsel zwischen die beiden vordersten Pferde.

      Die Füchse stiegen in dem donnernden Echo des Schusses hoch, der Wagen rutschte zurück. So hart und schnell, daß der Bursche sich hinten nicht mehr zu retten vermochte. Das Gefährt stieß ihn als ersten in die Tiefe, mit dem Bremsstein, den er noch vom Wagen gerissen hatte, und der jetzt seinen Sturz beschleunigte.

      Mary stand wie versteinert da und sah den Bruder fallen. Da wurde auch sie schon von der linken hinteren Wagenkante erfaßt.

      Seine beiden Kinder Bill und Mary waren bereits verloren, tot, vielleicht schon, als Jesse Hacatt vorn auf der Deichselspitze zu sich kam. Er hing auf dem abrutschenden Gefährt. Wild wieherten die Pferde auf. Schreckensstarr hatte oben auf dem Kutschbock die Frau den kleinen Jungen an sich gepreßt.

      Der Ire stieß einen heiseren Schrei aus. Er wollte die Pferde halten, warf sich hoch, packte die Zügel des Führhengstes, der auch schon wild gegen den Sturz ankämpfte, der die Hufe funkenstiebend ins Gestein hieb. Vergeblich, vergeblich auch der gellende Schrei, mit dem der Ire die anderen Tiere anfeuern wollte, vergeblich sein Verzweiflungskampf – das Gefährt rutschte ab und stürzte vom Paßweg in die Tiefe.

      Dann war alles wieder still und wie vorher. Nur eine kleine graue Felsstaubwolke stand am Rande des Abgrundes, da, wo der Prärieschooner in die Tiefe gestürzt war.

      Nicht einmal zwanzig Sekunden hatte alles gedauert, und wäre nicht das kurze Aufwiehern der Pferde und der Schrei des Mannes gewesen, so wäre alles fast lautlos vor sich gegangen.

      Der Schuß aus dem Hinterhalt hatte fünf Menschen, vier Pferde und den Prärieschoner mit dem ganzen Hab und Gut der Hacatts in die Tiefe gerissen.

      Der Ire war nur für den Bruchteil einer Sekunde wie erstarrt. Dann nahm er alles mit grausiger Deutlichkeit wahr. Es schien das unbegreifliche Geschick des Jesse Hacatt zu sein, daß er alles mit offenen Augen und klarem Verstand mitdurchleiden mußte. Aber der Lenker aller Geschicke oben über dem strahlenden Blau des Firmaments hatte nicht die Absicht, hier in dieser Gesteinsschlucht auch das Leben des Jesse Hacatts zu Ende gehen lassen.

      Es war unwahrscheinlich, daß einer der fünf Menschen den Sturz in die mehrere hundert Yards abfallende Tiefe überleben konnte. Dennoch wurde Jesse Hacatt plötzlich wie von Geisterhand aufgehalten, von der Deichsel gerissen und auf einen Felsvorsprung gestoßen.

      So hart der Aufprall auch war – der Ire behielt die Besinnung, klammerte sich an das scharfe, zackige Gestein, um nicht doch noch hinabgeschleudert zu werden.

      Mit dem Gesicht am Boden, so kauerte er da, auf einer vorspringenden Felsnase von kaum anderthalb Yards Länge und zwei Ellen Breite.

      Er spürte den Schmerz dumpf in allen Gliedern. Und dann lauschte er mit angehaltenem Atem in den Abgrund.

      Ewigkeiten schienen zu verrinnen – dann endlich kam weit unten aus der Tiefe ein Geräusch wie fernes Donnergrollen. Es jagte dem gepeinigten Menschen in der Felswand eisigen Schauer über den Rücken.

      Der Wagen war aufgeschlagen. Mehrmals noch kamen dumpfe Stöße aus der Tiefe und drangen wie Hammerschläge an das Ohr und ins Bewußtsein des Mannes.

      War es das Echo, oder stürzte der Wagen weiter?

      Jesse Hacatt schloß die Augen.

      Und als er sie nach Sekunden öffnete, sah er die Hoffnungslosigkeit seiner eigenen Lage mit gnadenloser Deutlichkeit vor sich: Er lebte zwar, war nicht eimal ernsthaft verletzt – befand sich aber auf einem schmalen Felsvorsprung, von dem es nur den Weg hinunter in die Tiefe gab.

      Worauf wartest du, Jesse Hacatt? hämmerte es in seinem Hirn. Spring doch, noch einfacher, laß dich los, gib den Stein frei, rutsch nach. Was willst du noch hier oben? Spring in die Hölle. Du bist ohnehin verloren. Willst du hier mit wachen Augen dein Ende abwarten? Das vielleicht erst nach Stunden oder gar erst nach Tagen kommt, wenn deine Hände den Stein nicht mehr umklammern können. Wenn der Kampf nachläßt, wenn du vor Erschöpfung einschläfst – du bist ohnehin verloren. Spring gleich, laß los! Du brauchst dich ja nur loszulassen, dann fällst du ihnen nach. Hinunter in die jetzt so lautlose Tiefe. In das Grab

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