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hat alle Dinge eingekauft, die er für eine große Reise benötigt, und ein Ticket für einen Dampfer der Amerikalinie belegt.

      Er lehnt, wie auch die anderen Passagiere, an der Reling, während das stolze Schiff am Schulauer Fährhaus vorübergleitet. Man hört den Lautsprecher, der dem Schiff »gute Fahrt« wünscht. Die Flagge wird hochgezogen, und die Nationalhymne erklingt. Das Schiff bedankt sich, indem es dreimal seine Sirene erklingen läßt.

      Peter Warburg ist eine der interessantesten Erscheinungen an Bord. Er gilt als Vergnügungsreisender. Man ärgert sich nur, daß er sich von allen Abwechslungen, die an Bord geboten werden, fernhält.

      Meist verläßt er abends seine Kabine. Stundenlang kann er über die im Mondschein glitzernde Wasserfläche starren und empor zum sternenklaren Himmel blicken.

      Er wundert sich über die Worte der Mutter, die ihm jetzt wieder einfallen. Onkel Stephan, das schwarze Schaf in der Familie, hat viel für sie übrig gehabt?

      Warum hat er nicht weitergeforscht? Sie hätte ihm vielleicht das Geheimnis lüften können, das mit Onkel Stephans Flucht aus der Heimat zusammenhängt?

      Nun! Er wird sich an Ort und Stelle selbst ein Urteil bilden. Wenn aber dieser Onkel nichts von ihm wissen will?

      Auch gut! Er kann arbeiten. Auf irgendeiner Farm wird er wohl Arbeit finden.

      Am 15. August erreicht Peter Warburg Amerika und besteigt den Zug nach Nebraska.

      *

      Magda Reichert ist eine blonde, sanfte und mollige Frau. Sie liebt ihren Mann mit der ganzen Kraft ihres Herzens und heißt alles gut, was er sagt und tut.

      Sie ist willig und fühlt sich ihm gegenüber ewig schuldbewußt. Sie weiß, daß er sich einen Erben gewünscht hat, und daß sie ihn schwer enttäuschte, als sie einer Tochter das Leben

      gab.

      Was sie aber still für sich trägt, ist die Gewißheit, daß sie niemals wieder ein Kind wird austragen können. Der alte Doktor Funke hat es ihr gleich nach Franziskas Geburt mitgeteilt, und sie hat ihn angefleht, unter gar keinen Umständen mit ihrem Mann darüber zu sprechen. Sie hat geweint und gefleht, und er hat ihr das Versprechen geben müssen, zu schweigen.

      Auch auf dem Hof ihrer Eltern, deren einzige Tochter sie ist, fühlt sie sich nicht wohl. Mit dem Bruder und der Schwägerin versteht sie sich ganz gut. Aber der ewig nörgelnden Mutter und dem herrischen Vater geht sie, soweit sie es kann, aus dem Weg.

      Auch die kleine Franzi kann sich nicht eingewöhnen. Sie vermißt die Oma Maria überall. Hier steht sie allen und jedem im Wege, und der siebenjährige Vetter pufft und kneift sie, wo er nur kann. Sie hat von den Großen gehört, daß es keinen Eichenhof mehr gibt, und sie hat bitterlich geweint.

      »Und wo ist die Oma?« hat sie atemlos gefragt.

      »Vorläufig im Gartenhaus«, hat Magda ihrem Kinde geantwortet, und Franzi hat vor Begeisterung die Hände zusammengeschlagen und gejubelt:

      »Oh, wie fein, Mutti, dann kann ich Oma besuchen –«

      »Du bleibst hier«, ist ihr der Vater dazwischengefahren. »Oma hat keine Zeit, sich um dich zu kümmern.«

      Franzi schleicht sich auf dem Hof herum. Sie weiß genau, wann der Wagen aus dem Schuppen geholt wird, den ihr Vater kutschiert, wenn er zum Eichenhof fährt.

      Sie sieht sich aufmerksam nach allen Seiten um, und dann klettert sie behend in das Innere des leichten Gefährts und zieht die Decke über sich.

      Sie hält fast den Atem an, als nach langer Zeit, ihr dünkt es eine Ewigkeit, die harten Schritte des Vaters zu hören sind. Der Wagen rollt auf den Hof, und dann werden die Pferde vorgespannt. Jedes Geräusch ist ihr vertraut.

      Und sie atmet auf, als sie merkt, daß der Wagen fährt und sie mit.

      Franz fährt auf den Eichenhof, wo man bereits tüchtig beim Aufräumen ist. Franzi wartet, bis ihres Vaters Schritte sich entfernen, dann krabbelt sie aus ihrem Versteck.

      Sie fliegt beinahe den Weg entlang, der zu dem Gartenhaus führt, und liegt wenig später in Maria Warburgs Armen.

      »Franzi, Kind, bist du davongelaufen?« forscht Maria Warburg und drückt den zarten Kinderkörper liebevoll an sich.

      »N – ei – ein!« schluchzt das Kind. »Ich habe mich im Wagen versteckt, Oma. Ich hatte so große Sehnsucht nach dir. Kommst du mit zu uns?« Die großen blauen Kinderaugen, randvoll mit Tränen gefüllt, hängen flehend an Maria Warburgs Mund.

      »Wie wäre es denn, mein Kleines, wenn du bei mir bliebest?« schlägt sie vor, und das Kinderherz schlägt höher.

      »Oh, fein, Oma. Wenn du mit Vati einmal sprechen willst?«

      »Das werde ich tun, Franzi.«

      Maria Warburg nimmt das Kind bei der Hand und führt es ins Haus.

      »Wie lange hast du wohl im Wagen gesteckt?« erkundigt sie sich, wäh-rend sie eine Schale mit Milch füllt und sie Franzi zuschiebt. »Da trink, mein Liebes.«

      »Danke!« Gierig schluckt Franzi ihre Milch. Dann sieht sie treuherzig zur Oma auf. »Es war schon sehr lange, Oma, und es war sehr heiß im Wagen.«

      Maria Warburg geht hinter das Haus und ruft der alten Gundel, die ihr willig in das Gartenhaus gefolgt ist, zu:

      »Du mußt rüber zu meinem Sohn gehen, Gundel. Sag ihm, die Franzi ist bei mir.«

      »Ist schon recht, Frau«, erwiderte die Alte, schiebt ihr Kopftuch in den Nacken und geht davon.

      Indessen hat Franzi sich an die Oma geschmiegt und schmeichelt.

      »Erzähl mir eine Geschichte, Oma. Eine Geschichte möchte ich hören, die hier in dem Haus geschehen ist.«

      Maria Warburg schüttelt den Kopf. »Jetzt nicht, Kind. Jetzt gehen wir in den Garten und pflücken Beeren. Hilfst du mir? Geschichten erzählen wir, wenn es dunkel wird, ja?«

      Eifrig nickt Franzi und folgt der Oma. Gundel kehrt zurück und meldet:

      »Der junge Herr kommt gleich.«

      Keine zehn Minuten sind vergangen, da erscheint Franz. Er sieht finsterer denn je aus. Unwillkürlich richtet Maria Warburg sich hoch auf und zieht das Kind an sich heran.

      »Also hier bist du?« schreit er unbeherrscht los

      Er reißt das Kind rücksichtslos von Maria Warburgs Seite, versetzt ihm einen Schlag, und Franzi taumelt zu Boden.

      »Franz!« Maria ist bis in die Lippen erblaßt. Das Kind erhebt sich. Vor Schreck ist es wie gelähmt. Bisher hat der Vater sie zwar oft angeschrien, und nie hat sie ihm etwas recht gemacht, doch geschlagen hat er sie noch kein einziges Mal.

      »Du kommst sofort mit mir«, gebietet Franz Warburg. Da kommt Leben in die kleine Gestalt. Franzi stürzt auf die Oma los und umklammert deren Knie. »Laß mich bei dir bleiben, Oma. Laß mich bei dir bleiben!«

      »Du kommst mit, und zwar sofort«, sagt Franz, und es sieht aus, als wolle er die erhobene Hand abermals in Franzis Gesicht schlagen.

      »Friedrich und Gerhard sind angekommen. Sie haben von dem Unglück gehört. Sie wollen Franzi sehen«, erklärt er kurz.

      »Dann sollen sie sich hierher bemühen. Franzi bleibt hier«, bestimmt sie und schiebt das Kind vor sich her, dem Hause zu.

      »Diesmal hast du gewonnen«, hört sie ihn hinter sich sagen.

      Im Haus setzt sie sich in den Ohrenstuhl und hebt die Enkelin zu sich auf den Schoß.

      »Darf ich denn bei dir bleiben, Oma?«

      »Gewiß, mein Kind«, erwidert sie ruhig, und das Kind gibt sich damit zufrieden. Was die Oma sagt, stimmt immer.

      »Darf ich meine Muschi holen?« erinnert sich das Kind wieder an sein Kätzchen, und Maria nickt. Schnell eilen die kleinen Füße fort, und bald bringt Franzi ihre Mieze

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