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> Karin Bucha Classic – 45 –

      »Du mußt mich anhören, Beate, du mußt.« Mit einem Griff dreht der große Mann mit den blauen Augen das zierliche dunkelhaarige Geschöpf zu sich herum. »Muß ich dir erst sagen, wie sehr ich dich liebe? Ich bitte dich, sei ehrlich zu mir. Oder – liebst du mich nicht so sehr, wie ich angenommen habe?«

      Beate Reichert windet sich, aber sie kann sich nicht von Peter Warburg lösen. In ihren tiefblauen Augen glänzen Tränen.

      »Liebst du mich?« fordert die Stimme kurz und hart.

      »Ja, Peter«, flüstert sie erstickt.

      »Liebes!« Er läßt ihre Handgelenke los und schließt sie in seine Arme. Sein Mund sucht ihre Lippen. Er küßt sie zuerst zart und innig und dann immer leidenschaftlicher. Als er sie endlich freigibt, ist ihr Gesicht tränen-überströmt, aber die Augen leuchten vor Glück.

      »Und nun erzähle mir, weshalb wir uns trennen sollen«, spricht er mit tiefer Zärtlichkeit. »Wer fordert das von dir, denn daß es nicht von dir kommt, davon bin ich überzeugt.«

      »Mein Vater, Peter!«

      Betroffen hält er den Atem an. »Dein Vater?« wiederholt er ungläubig und schüttelt dann heftig den Kopf. »Ausgeschlossen, Beate, da steckt mehr dahinter.«

      Peter schließt sie abermals in seine Arme. Er fühlt, wie unglücklich sie ist, und seine Nähe gibt ihr Schutz vor etwas, das sich wie ein Ungewitter zu nähern droht und sie beide verschlingen will.

      »Ich werde mit deinem Vater sprechen, Beate«, entschließt er sich und wiegt sie wie ein Kind in seinen Armen. »Er muß mir eine Erklärung geben.«

      Sie hebt sich auf die Zehenspitzen und drückt ihren weichen Mund auf seine Lippen, auf die Wangen und legt dann ihr Gesicht schmeichelnd in seine warme, gute Hand. »Komm in einer Stunde, Peter, dann ist Vater ausgeruht. Und nun, auf Wiedersehen.«

      »Auf Wiedersehen!« flüstert er und preßt die Lippen zusammen. Er sieht der schlanken, enteilenden Gestalt solange nach, bis sie zwischen den Bäumen verschwunden ist.

      Sie haben sich bei den Birken getroffen, heimlich, als hätten sie etwas zu verbergen; dabei weiß es das ganze Dorf, daß sie sich lieben und zusammengehören.

      Langsam macht er kehrt und geht dem Eichenhof zu, auf dem die Warburgs seit Generationen sitzen. Es ist der größte und schönste Hof weit und breit, und Peter liebt ihn unendlich.

      Schön, wunderschön – sinnt er – und doch ist es anders auf dem Hof geworden, seitdem sein Vater von einem Baum erschlagen wurde und seine Brüder erwachsen sind und auf Nachbarhöfen einheirateten.

      Warum er sich nur nicht mit seinem ältesten Bruder Franz und dessen Frau Magda vertragen kann? Warum setzen sie ihm, dem Jüngsten, so viel versteckten Widerstand entgegen, den er mit aller Ehrlichkeit und Offenheit nicht zu brechen vermag?

      Eigentlich gleicht das Anwesen mit dem hellen Wohnhaus, den grünen Fensterläden und den weitläufigen Nebengebäuden mehr einem Herrensitz.

      Das Wohnhaus besitzt eine große Halle mit einem Kamin, der im Winter angenehme Wärme verbreitet. Die Wände sind dunkel getäfelt und mit Geweihen geschmückt. Eine gewundene Treppe mit kunstvoll geschnitztem Geländer führt in das erste Stockwerk.

      Links von der Halle liegt das Wohnzimmer der Familie mit dem anschließenden kleineren Arbeitskabinett. Rechts davon das Eßzimmer, das fast einem Saal gleicht, und daneben ein kleiner Salon, den ausschließlich Maria Warburg benutzt.

      Diesen kleinen, geschmackvoll ausgestatteten Raum sucht Peter auf, findet ihn leer und geht hinüber in das große Wohnzimmer.

      »Peter!«

      Er hört die Stimme seiner Mutter aus dem Kabinett kommen und tritt ein.

      »Hier bist du, Mutter«, sagt er, und seine Augen leuchten auf. Auch Maria Warburg ist hochgewachsen und blauäugig. Seit dem Tod ihres Mannes führt sie die Geschäfte vorbildlich, von Franz und Peter unterstützt.

      Bei seinem Eintritt schließt sie die Schublade des wuchtigen Schreibtisches. Sie ist blaß, und ihre Züge wirken verstört.

      »Suchst du etwas, Mutter?« erkundigt Peter sich und kommt langsam näher. Unsicher sieht sie ihn an, um dann abermals die Schublade zu öffnen.

      »Ich suche die viertausend Mark, die mir der Viehhändler Frickemeyer gebracht hat«, erklärt sie nervös, und ihre Hände zittern dabei. »Ich habe sie in das mittlere Fach geschlossen – und jetzt sind sie verschwunden.«

      »Das ist doch wohl nicht möglich, Mutter.« Peter lacht sorglos auf und stellt sich neben sie. Wann hätte seine ordnungsliebende Mutter einmal etwas verlegt? Gemeinsam sichten sie alle Papiere, die griffbereit das Fach ausfüllen. Von dem Geld ist nichts zu sehen.

      »Komisch, Mutter«, unterbricht Peter die Stille. »Vielleicht hast du sie in den Geldschrank gelegt?«

      »Da habe ich bereits nachgesehen – leider umsonst«, erwidert sie leise, bedrückt.

      »Hast du schon mit Franz darüber gesprochen?«

      »Ja«, sagt sie und läßt sich in den ausladenden Sessel sinken. Sie hebt die Augen. Wie ein Schleier liegt es über den blauen, ehrlichen Augen. »Peter, warst du am Schreibtisch?«

      »Gewiß, Mutter«, gibt er sofort zu. »Ich suchte die Milchabrechnung.«

      »Also doch«, murmelt sie und unterbricht sich rasch. Peter wird stutzig.

      »Was willst du damit sagen, Mutter?« Das Lachen ist auf seinen Zügen ausgelöscht.

      »Franz hat gesehen, wie du dich am Schreibtisch zu schaffen machtest, Peter. Du und ich, wir beide besitzen allein die Schlüssel zu ihm.«

      »Mutter!« Das klingt wie ein Aufschrei. Peter scheint langsam die Ungeheuerlichkeit zu begreifen. »Du – du willst doch nicht etwa behaup-

      ten –«

      Nein! Er wagt es nicht auszusprechen und weiß, auch seine Mutter glaubt es nicht.

      »Franz meinte –«

      »Laß Franz aus dem Spiel, Mutter.« Das klingt schroff und unzugänglich. »Warum, das weiß ich nicht, aber Franz haßt mich.«

      Jetzt ist es Maria Warburg, die bis ins Herz hinein erschrickt.

      »Nein! Nein!« wiederholt sie mit einer Heftigkeit, die im krassen Widerspruch zu ihrer sonstigen Sanftheit steht. »Du urteilst zu hart, Peter, das ist nicht wahr, er haßt dich nicht –«

      »Wie konnte er sonst behaupten, ich hätte das Geld genommen?« Er bemerkt, wie alles Blut aus dem Antlitz der Mutter entweicht und weiß, daß er auf dem richtigen Weg ist.

      »Was hat er dir einzureden versucht, Mutter«, fordert er mit eiskalter Ruhe. »Bitte, sag mir die Wahrheit. Ich werde ihn dafür zur Rechenschaft ziehen.«

      Um Gottes willen! Nein! Nur keinen Streit zwischen den Brüdern.

      »Bitte, setz dich, Peter«, haucht sie und ringt um ihr inneres Gleichgewicht.

      Gehorsam nimmt Peter im Sessel, dem Schreibtisch gegenüber, Platz. Er sieht, wie ihre Hand zum Telefon greift, wie sie den Hörer abnimmt.

      »Hier Warburg, spreche ich mit Herrn Kleeberg persönlich? Gut. Ich warte.«

      Wenige, aber bedrückend wirkende Minuten vergehen, dann hört er seine Mutter weitersprechen. »Guten Tag, Herr Kleeberg. Wann wird der Wagen meines Sohnes Peter ausgeliefert? Heute noch? Gut, dann können Sie auch den Scheck gleich mitnehmen. Wie hoch, bitte?«

      Wieder vergehen ein paar angstdurchzitterte Sekunden, dann sagt sie tonlos:

      »Viertausend Mark? Mein Sohn hat sie schon bezahlt? Danke schön, Herr Kleeberg.«

      Langsam legt Maria Warburg den Hörer in die Gabel. Sie wagt nicht zu ihrem Jüngsten hinzublicken.

      Unheilvoll lastet die Stille zwischen den beiden Menschen, die sonst ein Herz und eine Seele waren. Ja, Maria Warburg liebt ihren Jüngsten mit einer Stärke, vor deren Ausmaß sie manchmal selbst erschrickt.

      »Mutter«,

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