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war dir doch dein Vieh lieber als deine Familie.«

      »Schließlich sind Menschenleben wichtiger«, braust er auf. Er fühlt sich angegriffen und versucht sich zu wehren, obgleich er nicht ahnt, wohin ihre Reden zielen.

      »Richtig«, bestätigt sie. »Ich bin auch ein Mensch, noch dazu deine Mutter. Ich kann mich nicht entsinnen, daß du dich um mich gesorgt hättest.«

      »Du hattest doch Peter«, erwidert er gehässig.

      »Peter war aber nicht da, als der Brand ausbrach«, fährt sie unbeirrt fort.

      »Stimmt!« gibt er zu, und seine Augen verengen sich. »Er ist auf und davon, nachdem er sich im Schuppen bei den Benzinkanistern zu schaffen gemacht hat.«

      »Du sagst mir nichts Neues, mein Sohn.« Sie blickt auf ihre Hände im Schoß hinab. »Das habe ich längst aus deinem Mund gehört, als du übereifrig den Beamten Auskunft erteiltest. Ich betone, etwas zu eifrig.«

      »Mutter, was willst du damit sagen?« Er hat die Zigarette im Schwung durch das offene Fenster geschleudert.

      »Man sucht einen Sündenbock, wie mir scheint, und der ist verschwunden.«

      »Mutter, du hast eine große Portion Humor.« Er kommt langsam auf sie zu. »Du weißt mehr, als du sagen willst. Ich bin der Ansicht, das ist nicht gut für dich.«

      Ohne auf seine Rede zu achten, sagt sie, ihre Augen hinüber zum Eichenhof gerichtet:

      »Generationen haben auf dem Eichenhof gesessen. Es war ein stolzes und geachtetes Geschlecht. Dein Vater und ich haben das übernommene Erbe gehütet und treu verwaltet. Ein paar armselige Stunden haben die Arbeit von Jahrzehnten vernichtet. Wir waren sehr glücklich, dein Vater und ich, und jedes Kind haben wir mit Jubel begrüßt. Am meisten vielleicht unseren Ältesten –« Sie wendet den Kopf und sieht ihn groß und mit verwirrender Eindringlichkeit an. »Das warst du, Franz.«

      Gleichmütig dreht sie den Kopf wieder seitwärts und spricht weiter: »Dann kamen die anderen, Friedrich, Gerhard, Irene und Peter.

      Es war ein gutes Schaffen, ein gutes Leben. Alles haben wir gemeinsam getragen, dein Vater und ich, Freud und Leid. Wir haben gemeinsam an den Krankenbetten unserer Kinder gewacht, und keine verlorene Stunde Schlaf war uns zuviel. An deinem Bett übrigens am meisten, du warst häufig krank, Franz.« Sie weist mit der Hand hinüber zu der Trümmerstätte. »Unter diesem Dach herrschten Kummer und Leid wie unter jedem anderen auch. Aber das Glück war das größte un-

      ter allen menschlichen Empfindungen. Ein Brand hat alles ausgelöscht, was Generationen zusammentru-

      gen. Die Erinnerung kann er niemals auslöschen, Franz, die sind mir ge-blieben, und der Glaube an das Gute.«

      Sie sitzt ganz versunken da, nachdem sie geendet hat, und Franz treibt es hin und her. Er wirft einen scheuen Blick auf das Antlitz der Mutter. Ihre Haltung ist beinahe wie früher, und das Leuchten, das in ihren stahlblauen Augen liegt, erinnert an die Herrin des Eichenhofes von einst.

      »Du weißt also, daß Peter der Brandstifter ist?« fragt er, einen lauernden Ausdruck im Gesicht.

      »Man sagt es«, erwidert sie leise. »Aber ich glaube es nicht.«

      »Natürlich nicht«, lacht er höhnisch auf. »Es ist ja dein Goldsohn. Aber er wird sich nicht verteidigen können!«

      »Das glaube ich mit Bestimmtheit«, antwortet sie. »Man hat die Schlinge zu sauber um seinen Hals gelegt.«

      »Du redest Unsinn, Mutter«, fährt er sie grob an. »Dich haben die Ereignisse verwirrt. Es wird besser sein, man ruft dich nicht als Zeuge auf.«

      »Das glaube ich auch, Franz.« Das klingt sanft und ohne jeden Vorwurf. Er angelt seine Mütze vom Stuhl und stülpt sie auf das struppige dunkelblonde Haar.

      »Wiedersehen, Mutter«, sagt er flüchtig.

      »Wiedersehen, Franz – und bitte, schick mir die Franzi«, hört er sie noch sagen. Mit einem Krach fliegt die Tür ins Schloß.

      Maria Warburg lächelt vor sich hin. Peter! Wo mag er sein? Sie lehnt sich zurück und schließt die Augen.

      Ein Menschenleben gelebt, gearbeitet, Kinder zur Welt gebracht und sie mit aller Liebe erzogen.

      Langsam zerrinnt dieses Leben unter ihren Händen. Sie spürt es – und sie sieht mit Demut dem Kommenden entgegen.

      Trotz allem, wie es auch gewesen ist – das Leben ist gut!

      *

      Georg Reichert geht mit wuchtigen Schritten durch das Zimmer. Seine Blicke sind ärgerlich, die er auf Beate wirft.

      »Da hast du ihn, deinen sauberen Peter. Auf und davon ist er. Einfach verschwunden. Warum ist er davongelaufen? Weil er sich schuldig fühlt –«

      »Weil er sich nicht verteidigen kann, Vater«, wirft sie mit tonloser Stimme ein. Sie ist so unsagbar erschöpft, so müde und ohne jede Anteilnahme. Peter ist in Sicherheit. Das andere kümmert sie nicht.

      »Liebst du ihn etwa immer noch?« fragt er barsch.

      Ihre Augen erscheinen riesengroß in dem blassen Gesicht. Eine einzige große Bitte um Verständnis liegt darin. »Immer noch – fragst du?« Sie lächelt beinahe nachsichtig. »Ich werde Peter immer lieben, immer, Vater.«

      Das ist das unumstößliche Bekenntnis eines liebenden Frauenherzens, und Reichert weiß genau, niemals wird Beate das tiefe Gefühl für Peter aus ihrem Herzen reißen.

      »Ich bewundere nur die Haltung von Franz Warburg. Nicht einen Pfennig zahlt die Versicherung, da einwandfrei Brandstiftung erwiesen ist. Er läuft nicht kopflos davon, sondern beginnt neu aufzubauen, jedenfalls hat er mir das zu verstehen gegeben.«

      »Das hatte ich auch nicht anders erwartet.« Beate sagt das unsagbar bitter. »Seine Frau hat doch genug Geld. Damit kann er tun und lassen, was er will.«

      Sie geht auf ihn zu. Sie legt ihre Hände um seinen Hals und bittet mit zuckendem Mund. »Bitte, Vater, laß uns nicht mehr davon sprechen. Ich liebe Peter, ich werde ihn immer lieben. Ich weiß, seine Unschuld wird sich herausstellen. Hilf mir doch, daß Peter und ich glücklich sein können.«

      Nur widerwillig löst er ihre Hände von seinem Hals. Er will nicht zugeben, daß er weich wie Wachs in ihren Händen ist, denn er liebt seine Einzige von Herzen.

      »Soll ich dir deinen Peter herbeizaubern?« brummt er aufgebracht.

      Schnell küßt sie ihn auf die Wange. »Nein, das kannst du nicht, Vater. Aber du sollst das Andenken an Peter nicht trüben. Um mehr bitte ich dich nicht.«

      »Aber wenn nun einmal alles gegen Peter spricht? Zuerst der Diebstahl, dann der Brand. Peter war zuletzt im Schuppen. Die Kanister mit Benzin gehörten ihm.«

      Beide Hände preßt Beate gegen die Schläfen, hinter denen es hämmert und pocht. Keine Minute hat sie in der Nacht die Augen geschlossen. Sie hat Peters Weg im Geiste verfolgt. Und nun versucht ausgerechnet der Vater, sie mürbe zu machen.

      »Laß das, Vater, bitte, laß das. Ich glaube es nicht, ich glaube es nicht«, stöhnt sie und läßt sich in die Sofaecke sinken.

      Wie er sie so sitzen sieht, die Augen geschlossen trotz der nervös zuckenden Lider, den Mund schmerzlich verzogen, keinen Tropfen Blut mehr im zarten Antlitz, da tut sie ihm unsagbar leid.

      »Mädel, Beate!« Er beugt sich zu ihr hinab und küßt sie auf die Stirn. »Wir wollen nicht mehr davon sprechen. Glaube weiterhin an deinen Peter.« Er schnauft einmal tüchtig, als müsse er sich die nächsten Worte abringen. »Ich verspreche dir, alles zu tun, um Peters Unschuld zu beweisen.«

      Ihre Wimpern flattern. Die Lider heben sich. Sie lächelt dankbar.

      »Ich danke dir, Vater, du bist doch der allerbeste –«

      Dann sinkt ihr Kopf zur Seite. Sie sinkt in eine bodenlose Tiefe, die wohltuend ist und alle schmerzhaften Grübeleien

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