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Kids brauchen solche Spielgeräte. Das ist ja noch harmlos, kennen Sie den Skywing? Haben Sie schon mal den Kopf bei hundertsechzig km/h aus dem Autofenster gesteckt? So ist das! Die Kids brauchen solche Kicks, sonst kommen sie erst gar nicht mit in die Berge. Wir kreieren jetzt Akzente. Jedem Berg seinen eigenen USP. Jeder Berg muss einmalig sein. Die Berge schauen ja sonst alle gleich aus! Und die Kids wissen am ersten Schultag nicht mehr, auf welchem Berg sie waren. Aber so wissen sie: Ich war beim Skyglider, ich war beim Skywing und so weiter, verstehen Sie? Und zwischen den Spielgeräten müssen die Kids ja zu Fuß gehen. Das ist total gesundheitsfördernd! Kapiert? So werden sie animiert, sich zu bewegen, zu wandern. Die laufen sogar von einem Spielgerät zum nächsten, das würden sie sonst nie machen. Haben Sie schon mal Kids zur Straßenbahn laufen gesehen? Ich nicht! Und wir locken sie unten in den Wald. Wir bespielen den Wald! Ich persönlich weiß noch, was ich im Wald anfangen kann, für mich ist das ein Erlebnis, aber die Kids sehen Bäume und sagen: Ui, igitt, der Baum klebt. Harz, verstehen Sie! Denen graust vor Harz! Aber wenn sie im Kletterpark unterwegs sind mit ihren Karabinern und Helmen und das filmen, dann fühlen sie sich lebendig. Das ist eine andere Generation. Die brauchen mehr Betreuung. Und wissen Sie, was der neueste Trend ist? Die Natur ist jetzt der Star! Der Trend kommt ausgerechnet aus China. Die geben der Natur eine Bühne, genial, oder? Barfuß gehen, Steine spüren, eiskaltes Wasser schmecken – das ist viel Arbeit. Die Städter wollen das alles auf ein paar Metern haben, komprimiertes Erleben. Die haben nicht mehr den Nerv für lange Touren. Deshalb inszenieren wir wilde Gebirgsbäche, enge Klammen, Gewittereinbruch, da können wir schon was Spannendes zaubern, das können Sie mir glauben. Die Natur ist die Bühne, sag ich immer, und sie muss bespielt werden! Der Gast ist der Star, der die Kulisse für sein Stück nutzt!«

      »Und was ist das für eine Halle da drüben auf dem Hang?«, frage ich und mache ein paar Fotos.

      »Dort sind wir noch am Arbeiten«, sagt er. »Das ist quasi die Bühne hinter der Bühne. Stellen Sie sich vor: Auf den Gletschern weltweit sind Hunderte Pistenfahrzeuge, Schneekanonen, die tollsten und teuersten Geräte im Einsatz. Dann stehen sie im Sommer nutzlos herum. Obwohl sie so schön anzuschauen sind! Wir präsentieren diese riesige Maschinerie im Sommer bei kleinen Events. Da fliegen dann Hubschrauber mit Material herum, Bagger arbeiten auf Hochdruck, und die Leute können in Maschinenhallen die Gerätschaft fotografieren. Das gefällt den Kids noch tausendmal mehr als die Natur, das können Sie mir glauben!«

      »Was ist denn Ihr nächstes Projekt?«, frage ich ihn.

      »Eine geniale Sache«, sagt er. »Wir haben für eine Investorengruppe einen Regenwald konzipiert, in einer Halle. Ein Regenwald auf einem Gletscher, das gibt’s noch nicht, toll! Wir haben Biosphere 2 eingehend studiert und untersucht, woran das Projekt gescheitert ist. Wir haben ein riesiges Biotop geschaffen, mit künstlichem Biorhythmus, mit Flora, Fauna, alles! Rohstoff-Recycling, Food-Management, Fun-Factor und Futureability, das hätte ewig funktioniert. Genial! Das hat uns ein Vermögen gekostet, fünf Jahre haben wir daran gearbeitet. Wir haben in China präsentiert, sie haben alles bezahlt, eine unglaubliche Summe, sag ich Ihnen, nur leider können wir das Projekt jetzt nicht realisieren. Aber ein Traum, so etwas zu entwickeln!«

      »Ein toller Job, den sie da haben«, sage ich.

      6

      Ein Anruf. Es ist der Professor. Der Gletscherforscher. Er ist ganz aufgeregt, seine Stimme überschlägt sich.

      »Der Westhang ist gesperrt! Wegen Felssturzgefahr! Ich kann nicht zu meinen Messpunkten. Das ist eine Katastrophe!«

      »Wer hat denn den Hang gesperrt?«, frage ich.

      »Ich bin derjenige, der ein Gebiet sperrt! Der Landesgeologe, aber der hat keine Ahnung vom Gletscher. Der Landesgeologe hat das noch nie gemacht, ohne mich vorher zu fragen. Ich bin der Erste, den sie um eine Einschätzung fragen. Das wissen alle. Was glaubst du, wie die mir Druck gemacht haben, dass ich ihre Straße nicht sperre? Da geht’s für die Tourismusorte um viel Geld, aber wer hat die Verantwortung, wenn es Tote gibt? Ich! Da spiele ich nicht mit!«

      »Aber wer hat es denn dann gesperrt?«, frage ich. »Ein so großes Gebiet kann man doch gar nicht sperren.«

      »Was heißt hier gesperrt!«, schreit er mich an. »Da stehen Wachposten, die patrouillieren auf dem Gletscher! Das ist doch verrückt!«

      »Haben Sie sie gefragt, von wem die kommen?«

      Ich sieze ihn versehentlich in der Aufregung wieder.

      »Ich bin nicht durchgekommen. Die lassen mich einfach nicht durch. Ich hab gleich an Ort und Stelle beim Landesgeologen nachgefragt. Und der sagt nur: ›Wilfried, da kann ich dir nicht weiterhelfen.‹ Seit vierzig Jahren kennen wir uns, und er sagt, da kann er mir nicht weiterhelfen. Hab ich sofort beim Landeshauptmann angerufen. Und die sagt, er sei nicht da. Und ob der da war! Das kenn ich schon am Ton der Sekretärin. Das lernst du in vierzig Jahren, den Ton der Sekretärin zu lesen.«

      »Ja«, sage ich ungeduldig, »und was vermutest du?«

      »Die zerstören gerade mein Lebenswerk! Die zerstören meinen Gletscher!«, schreit er. »Das ist eine Katastrophe! Meine Daten!«

      7

      Im Archiv der Universität Wien stoße ich auf die Fotos von Friedrich Simony. Simony machte 1875 eine Expedition auf den Dachstein. Er nahm zu dieser beschwerlichen und gefährlichen Besteigung einen Fotografen mit. Damals kannte die Öffentlichkeit die Gletscher und Hochgebirge nur von prächtigen Ölgemälden, Fotografien aus den eisigen Höhen gab es noch nicht. Einige Geologen bezweifelten sogar noch, dass es auf Kalkbergen überhaupt Gletscher gab. Den Schnee, den so viele schon gesehen hatten – übrigens auch Erzherzog Johann während einer Dachsteinbesteigung –, interpretierten sie von ihren Studierstuben aus als »Schnee-Eisfelder«. Die Bilder von Simony und dem Fotografen Alois Elssenwenger waren eine Riesensensation. Simony war von der neuen Technik der Fotografie mit Trockenplatten begeistert und machte sich ein Jahr später alleine zum Gletscher auf. Er brachte Dutzende neuer Ansichten mit, die er sogar Kronprinz Rudolf in einem »photographischen Dachsteinalbum« überreichen durfte. Damit war er sich der Unterstützung von Seiner Majestät dem Kaiser sicher.

      Simony war einer der ersten, der eine Eiszeit in den Alpen propagierte. Er war überzeugt, dass die Alpen unter einem großen Gletschermeer begraben waren. Er fand für diese damals äußerst kühne und umstrittene These auch einen Beweis: Die Gipfel waren scharfkantig, im Tal aber war das Gestein glatt. Dafür gab es eigentlich für die Zeitgenossen nur eine Erklärung. Die Gipfel hatten aus dem Eis geragt, im Tal hatte das Eis das Gestein glatt geschliffen.

      Simony entdeckte auch, dass sich die Gletscher verändern. Um 1846 wuchsen die Gletscher sogar noch. Simony entwickelte eine einfache Methode, um zu beweisen, dass das Eis vorrückte. Er setzte Markierungen in der Felswand – und siehe da, im übernächsten Jahr waren die Markierungen nicht mehr zu sehen. Das Eis hatte die Markierungen überwuchert, damals war der Gletscher um zwölf Meter gewachsen. Außerdem machte er Jahr für Jahr Fotos vom selben Standpunkt aus und dokumentierte auf diese Weise, wie sich der Gletscher veränderte. Weil er beim Fotografieren nicht frieren wollte, baute er sich kurzerhand einen Unterstand, die spätere Simonyhütte.

      Simony war ein Vorreiter der Gletscherwissenschaft: Er zeigt auf seinen Fotografien keine Naturstimmungen und kein Wetter, der Himmel ist wolkenlos. Von Gletscherromantik keine Spur. Wichtig sind nur Eis und Schnee.

      Ich nehme das Bild, das Simony als Pionier der Gletscherfotografie ausweist, das Bild vom Karls-Eisfeld. Er stellte seine Kamera immer wieder auf derselben Stelle auf. 1875, 1886 und 1890 machte er Bilder vom Karls-Eisfeld. Heute ist dort der Untere Eissee zu sehen, Mitte des 19. Jahrhunderts war der ganze Kessel von Eis überdeckt. Ich werde den Blick vom Taubenkogel auf den Unteren Eissee neu aufnehmen.

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