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sich erstaunlich lange nicht mehr im Sonnenwinkel blicken lassen. Es war auch kein Wunder. Es gab ja in der Villa Rückert nicht nur einen zweiten Hund, die unglaubliche Missie, sondern Rosmarie genoss die Zweisamkeit mit ihrem Ehemann Heinz.

      Ja, sie genoss die Zweisamkeit!

      Es hatte sich zwischen ihnen etwas verändert, sie waren sich nähergekommen, verbrachten viel Zeit miteinander, und sie machten gemeinsame Spaziergänge. Sie hatte Beauty an der Leine, die wunderschöne Beagledame, und Heinz führte, stolz wie Oskar, den schwarzen Mischling Miss Marple, genannt Missie, an der Leine. Missie war eine unglaubliche kleine Hundedame, sie hatte das Herz von Heinz zum Schmelzen gebracht. Sie hatte sich einfach so in sein Herz geschlichen, und er hatte doch tatsächlich das ganze Dach des Tierheims bezahlt.

      Heinz, ihr Ehemann, der eigentlich in erster Linie daran interessiert war, das Geld auf seinem Konto zu vermehren, nicht, um es auszugeben, und das schon gar nicht für ein Tierheim. Missie …

      Es war tatsächlich Missie gewesen, die frischen Wind in ihre Beziehung gebracht hatte.

      Heute war es auf jeden Fall an der Zeit, sich endlich mal wieder bei Inge Auerbach zu zeigen. Sie hatte viel zu erzählen, außerdem hatte sie eine Frage an Inge. Rosmarie kam mit der französischen Grammatik noch nicht ganz zurecht, und niemand konnte besser erklären als Inge.

      Wenn man so recht überlegte, hätte Inge viel mehr aus ihrem Leben machen können. Sie war klug, war eine geborene von Roth. Namen zählten beim Karriere machen auch. Aber nein, Inge hatte sich damit zufriedengegeben, den Professor Werner Auerbach zu heiraten, der am Anfang ihrer Ehe lange noch kein Professor gewesen war. Sie war die starke Frau an seiner Seite, sie hatte Werner den Rücken frei gehalten, und sie hatte dafür gesorgt, dass er ungestört Karriere machen konnte, während sie sich um die Kinder gekümmert hatte, um Henrike, die jeder immer nur Ricky nannte, um Jörg, um Hannes. Und dann hatten sie noch die kleine Pamela adoptiert. Eine Bilderbuchfamilie, die man beneiden konnte. Es hatte niemals einen Riss bei den Auerbachs gegeben, bis auf das eine Mal, als die arme Pamela zufällig von Fremden erfahren musste, dass sie keine richtige Auerbach war. Inge und Werner hatten versäumt, Pamela, damals noch Bambi genannt, beizeiten von der Adoption zu erzählen. Aber kein Mensch war perfekt. Hannes, der Jüngste, hatte Pamela einfach mit nach Australien genommen, und das war ihm hoch anzurechnen. Ein junger Mann, Mitinhaber einer Surf- und Tauchschule, Miterfinder des Surfbretts ›Sundance II‹, meistfotografiert in Fachzeitschriften, band sich normalerweise nicht einen solchen Klotz ans Bein. Er hatte es getan, freiwillig, und Pamela hatte die Zeit in Australien gut überstanden und war jetzt glücklich in den Sonnenwinkel zurückgekehrt. Etwas, was Hannes niemals mehr tun würde. Nach dem Abitur hatte er sich für ein knappes Jahr mit dem Rucksack auf dem Rücken die Welt angesehen, und dann war er für ein ›normales‹ Leben verloren gewesen, hatte die Erwartungshaltung seines Vaters nicht erfüllt. Trotz eines fantastischen Abiturs hatte er nicht angefangen zu studieren. Er machte erfolgreich sein eigenes Ding und ging seinen eigenen Weg. Ja, ja, die Auerbach-Kinder waren schon besonders, und Rosmarie konnte sich nur die Hände reiben, weil Fabian, ihr Sohn, klug genug gewesen war, die Ricky zu heiraten. Die hatte zwar keine besondere Karriere gemacht, aber sie war für die Kinderschar eine wundervolle Mutter, und Fabian und Ricky liebten sich wie am ersten Tage. Eine Bilderbuchehe, eine Bilderbuchfamilie. Und Fabian war zwar nicht in die Fußstapfen seines Vaters getreten, war nicht Notar geworden, aber er hatte seine eigene Karriere gemacht, und er war der Direktor eines großen, sehr bekannten Gymnasiums. Dass Fabian ein gestörtes Verhältnis zu seinen Eltern hatte, dafür konnte er nichts, darüber war Rosmarie sich längst klar. Heinz und sie waren keine guten Eltern gewesen, und nun bekamen sie dafür die Quittung. Ein wenig besser war ihr Verhältnis zueinander ja geworden, und Fabian hatte es voller Erstaunen begrüßt, dass sie einen zweiten Hund aus dem Heim geholt hatten und dass Heinz das Dach des Tierheims bezahlt hatte. Sie näherten einander mit behutsamen Schritten. Nein, Fabian war nicht das Problem. Das war Stella, die sich bei ihnen noch immer nicht gemeldet hatte, um sie endlich darüber zu informieren, dass sie sich von Jörg Auerbach getrennt hatte, um mit einem anderen, einem älteren Mann in Belo Horizonte glücklich zu werden. Musste es ausgerechnet Brasilien sein? Außerdem baute man sein Glück nicht auf dem Unglück eines anderen Menschen auf. Stella würde ihre Quittung noch bekommen. Wie töricht von ihr, einen Mann wie Jörg zu verlassen. Aber es war wohl wirklich so, dass der Esel aufs Eis ging, um zu tanzen, wenn es ihm zu wohl war. Jörg hatte alles für seine Frau und für seine Kinder getan. Wie bitter musste es für ihn gewesen sein, sie zu verlieren. Er hätte ja versuchen können, das Sorgerecht für die Kinder zu erhalten, und gewiss hätte er es auch bekommen. Aber die Kinder hingen auch an Stella, und für Kinder war nun mal die Mutter die wichtigste Bezugsperson, und dem hatte Jörg Rechnung getragen und verzichtet.

      Rosmarie war vor dem Haus der Auerbachs angekommen, das wirklich das schönste im ganzen Sonnenwinkel war. Das lag teilweise daran, dass es schon gestanden hatte, ehe die Siedlung gebaut worden war. Es war größer, individueller. Es passte auf jeden Fall zu den Auerbachs. Sie hatten die richtige Entscheidung getroffen, auch wenn Werner zunächst seine Familie überrascht und das Haus allein in einer Nacht- und Nebel-Aktion erworben hatte. Es war richtig gewesen, auf jeden Fall. Rosmarie wollte, sie könnte das auch von sich behaupten. Sie, Heinz und die Kinder hatten wunderbar gewohnt, und nachdem Fabian und Stella weg waren, hatten sie sich diese große Villa bauen lassen. Den ›Palazzo Prozzo‹, wie Fabian die Villa verächtlich nannte.

      Die Villa war viel zu groß, sie war viel zu pompös. Rosmarie wusste nicht, welcher Teufel sie damals geritten hatte. Vermutlich lag es daran, dass sie noch in diesem anderen Leben gewesen war, in dem sie auch alles gekauft hatte, was sie gesehen hatte, ob Outfits, Schuhe, Taschen, Schmuck. In dieses Bild hatte auch die Villa gepasst, in der sie sich nicht wohlfühlten, die für zwei Personen viel, viel zu groß war. Es war Wahnsinn gewesen, so etwas bauen zu lassen. Hinterher war man immer klüger. Die Bauphase war das Schönste gewesen, doch kaum waren sie eingezogen, war es mit der Freude vorbei. Was hatten sie mittlerweile nicht alles versucht, die Villa zu verkaufen, sie waren mit dem Preis erheblich heruntergegangen, sie hatten an einen Umbau, an eine Aufteilung gedacht. Das hätte alles nur noch mehr verteuert. Heinz und sie waren an die Villa gefesselt und konnten nur noch auf ein Wunder hoffen. Leider war kaum damit zu rechnen, dass irgendwann einmal ein Scheich vor­bei­kam, um sich dieses prunkvolle Anwesen zu kaufen. Scheichs kamen nicht nach Hohenborn. Und die Leute ringsum, die waren bodenständig und banden sich nicht so einen Klotz ans Bein. Es schreckte ja nicht nur der Kaufpreis ab, nein, es war auch der sehr teure Unterhalt.

      Rosmarie wollte nicht mehr darüber nachdenken, was sie in ihrem Leben alles falsch gemacht hatte, es ließ sich nichts mehr ändern, überhaupt nichts.

      *

      Inge Auerbach hatte Rosmaries Ankunft bemerkt, sie öffnete die Haustür, lief Rosmarie entgegen, umarmte sie und rief: »Das ist aber eine schöne Überraschung, dass du mich wieder mal besuchen kommst. Wir haben uns seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr gesehen.«

      Sofort bekam Rosmarie ein schlechtes Gewissen. Wenn sie nicht gut drauf war, wenn sie Probleme hatte, fuhr sie immer zu Inge, auch, wenn sie etwas wollte, und sei es, um französische Vokabeln zu lernen.

      »Es ist viel passiert«, versuchte Rosmarie sich zu entschuldigen.

      Inge lachte.

      »Ich weiß, meine Liebe, die Buschtrommel hat funktioniert. Ihr habt aus dem Tierheim einen zweiten Hund geholt, und Heinz hat dort das neue Dach bezahlt. Das finde ich großartig, und er hat Frau Dr. Fischer durch diese edelmütige Tat einen großen Stein vom Herzen genommen. Dort ist das Geld immer knapp, und gäbe es nicht die großzügigen Spenden, auch von dir, dann wäre alles längst im Chaos gelandet. Ich sag ja immer wieder, dass Leute, die sich ein Tier anschaffen, auf Herz und Nieren geprüft werden müssten. Für einen simplen Führerschein wirst du in Theorie und Praxis geprüft und darfst dir keine Fehler erlauben. Schon beim kleinsten Fehler fällst du durch. Für Tiere reicht es meistens, wenn du den geforderten Betrag auf den Tisch legt.«

      »Frau Dr. Fischer hat mir erzählt, dass es aber durchaus Hundehalter gibt, die ihren Käufern sagen, dass sie das Tier zurücknehmen wollen.«

      »Davon gibt es aber zu wenige, meine liebe Rosmarie. Doch wir werden die Welt nicht verändern,

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