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drauf.

      Roberta beschloss, mit offenen Karten zu spielen, kam auf die Untersuchungsergebnisse zurück, die alle top waren, dann erkundigte sie sich: »Oder hat jemand von Ihnen ein akutes Problem?«

      Weder Magnus noch Teresa waren so etwas wie Staatsschauspieler. Sie konnten und wollten nicht lügen. Also gaben sie zu, von ihrer Tochter geschickt worden zu sein.

      »Aber mit uns können Sie rechnen, Frau Doktor«, beteuerte Magnus von Roth. »Wir werden auf jeden Fall als Patienten zu Ihnen kommen, und glauben Sie, es wird sich im Sonnenwinkel herumsprechen, welch sympathische Frau Sie sind. Ehrlich gesagt glauben wir wirklich, dass es nichts mit Ihnen zu tun hat, sondern dass alle sauer sind, weil Dr. Riedel gegangen ist.«

      »Hier gehen die Uhren ein wenig langsamer«, fügte seine Frau hinzu. »Wir mussten uns auch erst daran gewöhnen, doch jetzt sind wir sehr glücklich hier, und das werden Sie auch schon sehr bald sein.«

      Die von Roths und Roberta waren sich von der ersten Sekunde an sympathisch, und insgeheim war Roberta froh, dass sie gekommen waren. Und das lag nicht daran, dass sie mit ­ihnen die restliche Zeit der Nachmittagssprechstunde totgeschlagen hatte, sondern dass sie sich sagen konnte, dass sie neben Frau Hollenbrink, die wirklich ein Goldschatz war, die Auerbachs hier lebten, die von Roths, alles ganz wunderbare Menschen.

      Das war doch schon mal ein Anfang, oder?

      Ehe die von Roths gingen, gaben sie ihr noch den Tipp, dass man im Gasthof »Seeblick« ganz ordentlich essen könne.

      Und da sie das auch schon von Enno erfahren hatte, beschloss Roberta, genau dorthin zu gehen. Vielleicht war es gar nicht so verkehrt, sich zu zeigen, präsent zu sein, damit die Menschen hier sich wenigstens schon mal an ihren Anblick gewöhnen konnten und mitbekamen, dass auch sie ein ganz normaler Mensch war und nicht ein feuerspeiendes Ungeheuer oder eine Krake mit hunderten von Fangarmen.

      »Danke, dass Sie gekommen sind«, bedankte Roberta sich. »Es freut mich, Sie kennengelernt zu haben.«

      »Nun, gebracht hat es ­Ihnen ja leider nichts, weil Sie uns auf die Schliche gekommen sind«, bedauerte Teresa.

      »Doch, es hat mir sehr viel gebracht. Ich habe Sie kennengelernt, zwei ganz wunderbare Menschen.«

      »Und wir freuen uns, dass Sie die Praxis übernommen haben, Frau Doktor. Von unserem Schwiegersohn wissen wir, wie qualifiziert Sie sind, eine Bereicherung für den Sonnenwinkel. Wenn die Leute erst mal dahinterkommen, was für ein Juwel sich hier bei uns angesiedelt hat, werden Sie die Praxis stürmen.«

      Es fielen noch viele nette Worte, auf allen Seiten, und als Roberta sich wenig später von Frau Hollenbrink verabschiedete und ihr einen schönen Feierabend wünschte, fühlte sie sich schon sehr viel besser und war nicht mehr so niedergeschlagen.

      Ihr Kampfgeist erwachte wieder.

      Sie musste gelassener sein.

      Sie hatte eine Arztpraxis eröffnet, nicht eine Boutique, in die man gleich am ersten Tag strömte, um eventuell ein Schnäppchen zu ergattern.

      Dieser Gedanke erheiterte sie.

      Im Geiste sah sie sich vor der Praxistür stehen und aus einem Korb Ärztemuster verteilen, davon hatte sie im Medikamentenschrank eine ganze Menge gesehen. Vieles davon würde sie nicht verteilen, sondern fachgerecht entsorgen, weil sie die Schul- und Gerätemedizin nicht ­ablehnte, wenn es unumgänglich war, sie selbst jedoch eine Anhängerin der Naturheilkunde war, in der sie sich ganz hervorragend auskannte und auch immer weiterbildete.

      Das war für die Menschen aus dem Sonnenwinkel ebenfalls neu, doch Enno hatte darin kein Problem gesehen, ganz im Gegenteil. Wer es vorzog, in der Natur zu leben, war auch der Naturheilkunde gegenüber aufgeschlossen. Er kannte sich da nicht aus, hatte seinen Patienten aber auch schon klargemacht, dass es besser war, auf die Selbstheilungskräfte des Körpers zu vertrauen als sofort beim Anflug eines kleinen Schnupfens oder Hustens zur Chemiekeule zu greifen.

      Ach ja, am grauen Himmel zeichnete sich für Roberta ein schmaler Lichtstreif ab.

      Sie würde es schaffen, das war das Mantra, das sie sich immer wieder vorsagen musste.

      Und damit sie es nicht gleich wieder vergaß, sondern verinnerlichte, begann sie direkt damit …

      *

      Der Gasthof »Seeblick« lag am Ortsrand von Erlenried, Richtung Hohenborn.

      Es war ein umgebauter alter kleiner Bauernhof, den man gerade so umgestaltet hatte, um ihn funktionsfähig zu machen. Doch das machte auch den Charme dieses Landgasthofes aus, der sehr malerisch oberhalb des Sees lag.

      Der Name »Seeblick« war zutreffend, man hatte von hier aus einen ganz wunderbaren Blick auf den See.

      Neben dem Eingang gab es eine sehr schöne große Sonnenterrasse, die bei schönem Wetter und an den Wochenenden bestimmt stark frequentiert wurde.

      Jetzt waren die Tische und Stühle verwaist.

      Nun, es war abends, die Sonne schien nicht, sondern war hinter dunklen Wolken versteckt. Es sah ganz nach Regen aus, und es war windig.

      Roberta atmete tief durch, ehe sie die Gaststube betrat, die, wie es bei alten Häusern oftmals der Fall war, nur eine geringe Raumhöhe hatte. ­Innen war sehr viel Holz ­verarbeitet worden. Dieses dunkle Gebälk zwischen den weiß gekalkten Wänden machte die verwinkelte Gaststube gemütlich.

      Es waren nur wenige Gäste da.

      Roberta fragte sich, ob das immer so war und die Leute hier lieber daheim in ihren hübschen Häusern blieben.

      Das war auch so etwas, was die Menschen hier von den Großstädtern unterschied. Da lud man sich gegenseitig nicht nach Hause zum Essen ein, sondern verabredete sich entweder in seinem Lieblingsrestaurant miteinander oder besuchte eines, das gerade angesagt war.

      So, das reichte jetzt!

      Schon wieder musste sie sich zur Ordnung rufen, weil sie bereits erneut Vergleiche anstellte.

      Sie lebte jetzt hier, freiwillig. Niemand hatte sie mit vorgehaltener Waffe gezwungen, herzuziehen. Und nun musste sie sich an die Gepflogenheiten der Menschen hier anpassen, nicht umgekehrt!

      Neugierige Blicke trafen sie, und Roberta wusste sofort, dass die Gäste sie als die neue Ärztin erkannten.

      Roberta ignorierte die Blicke, grüßte freundlich, dann setzte sie sich an einen Tisch, von dem aus sie nicht so ­genau beobachtet werden konnte.

      Der Wirt kam um den Tresen herum, er war ein massiger Mann, der sich ihr behäbig näherte.

      Sein Gesicht war leicht ge­rötet, er war schweratmig, für sie als Ärztin sofort als ein Blutdruckpatient erkennbar, der hoffentlich medikamentös richtig eingestellt war.

      Er musste abnehmen, sich mehr bewegen.

      Sie war keine Anhängerin von der Bewegung »Fit for life«, bei der man an Salatblättchen herumnagte und sich die Seele aus dem Leib rannte.

      Eine gesunde Lebensführung war lebensverlängernd und ließ einen ohne oder nur mit wenigen Medikamenten auskommen.

      Verflixt noch mal!

      Sie war hier als Gast, nicht als Ärztin. Sie konnte es einfach nicht lassen.

      Sie sagte dem Wirt, dass sie gern etwas essen würde.

      Er musterte sie.»Groß ist die Auswahl bei uns nicht«, entschuldigte er sich beinahe.

      »Ich glaube, dass ich etwas finden werde«, erwiderte Roberta freundlich und schenkte ihm ein Lächeln, das er allerdings ignorierte und weiterhin mürrisch dreinblickte. Er gehörte offensichtlich zu den Menschen, die zum Lachen in den Keller gingen. Für einen Wirt nicht gerade die richtige Einstellung.

      Er schlurfte zum Tresen zurück, holte von da eine in grünes Plastik eingebundene Karte, brachte sie Roberta, ehe er sich wieder abwandte, brummelte er: »Sie können auch noch Zanderfilet vom Grill haben mit Gemüse und Rosmarinkartoffeln, dazu einen Salat,

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