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sollten, als die in der Großstadt.

      Nun hatte sie die Quittung.

      Roberta neigte weder zu Depressionen noch zu Pessimismus, im Gegenteil. Wenn sie nicht ein so positiver Mensch wäre, hätte sie es mit ihrem Ex nicht so viele Jahre ausgehalten.

      Nein, was hier geschah, konnte sie nicht beeinflussen. Und das war es, was sie so durcheinanderbrachte.

      Was hatten die Leute hier gegen sie? Warum gab man ihr nicht eine Chance, zumal Dr. Riedel, der allseits Beliebte, sie seinen Patienten empfohlen hatte.

      Natürlich hatte ein Arzt keine Sonderstellung, auch hier gab es Sympathie und Antipathie, aber eine kollektive Ablehnung der gesamten Bevölkerung, davon hatte sie noch nichts gehört.

      Roberta begann sich alle nur möglichen Gedanken zu machen, und dann kam ihr doch tatsächlich in den Sinn, was Nicki ihr gesagt hatte, die sie beschworen hatte, auf keinen Fall am Montag die Praxis zu eröffnen. Sie hatte es zuvor noch nie gehört und während ihrer immerhin schon recht langen beruflichen Laufbahn hatte es weder bei ihr noch den zahlreichen Angestellten eine Rolle gespielt.

      »Wer Montag beginnt, der bleibt nicht lange«, hatte Nicki gesagt und behauptet, das gelte für Angestellte, aber auch für freie Berufe.

      Nun, sie hatte es ignoriert und montags die Praxis eröffnet. Sollte das tatsächlich ein schlechtes Omen sein?

      Roberta stand auf, begann wie ein gefangener Tiger im Raum herumzulaufen, ging hinaus in den Garten.

      Am liebsten würde sie jetzt einen langen Spaziergang zum See machen, um den Kopf frei zu bekommen.

      Doch sie war im Augenblick so empfindlich, dass ihr der neugierige Blick eines einzigen Menschen wie ein Spießrutenlaufen vorkäme.

      Sie ging wieder hinein, weil ihr einfiel, dass sie mit Enno Riedel überhaupt nicht darüber gesprochen hatte, ob es für den doch recht großen Garten, der auch sehr schön angelegt war, überhaupt einen Gärtner gab.

      Das war auch so etwas, mit Gärten kannte sie sich nicht aus, allenfalls mit bepflanzten Terrassen. Und was da herumstand, in Kübeln und Töpfen wuchs, war nicht nur überschaubar, sondern pflegeleicht. Das hatte ihre Haushaltshilfe so ganz nebenbei mit erledigt.

      Und da war sie schon beim nächsten Problem.

      Fürs Haus brauchte sie auch jemanden, am besten eine Frau, die auch noch gut kochen konnte, halt so etwas wie eine gute Fee.

      Das hatte sie gehabt, all die Jahre über. Und wenn es gegangen wäre, hätte sie ihre Erna am liebsten mitgenommen.

      Sie kochte sich noch einen Kaffee.

      Es war falsch gewesen, eindeutig falsch.

      Sie war zwar noch jung genug, um auch flexibel zu sein.

      Für sie wäre es vermutlich einfacher gewesen, einen Job in New York anzunehmen, in San Francisco oder London, irgendwo in einer Großstadt. Trotz aller Verschiedenartigkeit glichen sich Großstädte, ebenso wie die Menschen, die in den Städten lebten. Sie hatten eine andere Selbstverständlichkeit.

      Was also, zum Teufel, hatte sie getrieben, sich auf das hier einzulassen?

      Weil sie es als so eine Art von Zeichen gesehen hatte?

      Ja, vermutlich schon, weil sie eine gefühlte Ewigkeiten von Enno Riedel nichts gehört hatte und weil alles so ganz wunderbar passte.

      Enno hatte ihr das Leben im Sonnenwinkel in den allerschönsten Farben geschildert. Für ihn waren seine Patienten etwas ganz Besonderes gewesen.

      Doch gerade weil sie sich eine so lange Zeit nicht gesehen und nichts voneinander gehört hatten, hatte sie ganz vergessen, dass Enno Riedel sich sehr schnell und enthusiastisch für etwas begeistern konnte.

      Und sie hatte überhaupt nicht daran gedacht, dass er nicht als Single im Sonnenwinkel gelebt hatte, sondern als ein glücklich verheirateter Mann mit einer sehr patenten Ehefrau und entzückenden Kindern.

      Das war schon ein Unterschied, ein gewaltiger sogar!

      Roberta merkte, dass sie sich immer mehr in einen Zorn hineinsteigerte, der sie ungerecht werden ließ, ihr jegliche Objektivität nahm.

      Sie zog ihren weißen Kittel wieder an, dann lief sie hinüber in die Praxis. Es war viel zu früh, doch das war ihr so ziemlich egal.

      Das einzig Positive, was sie augenblicklich sah, war die Tatsache, dass es schon sehr komfortabel war, ihren Arbeitsplatz direkt im Haus zu haben. Das war besonders angenehm bei schlechtem Wetter.

      Nur …

      Sie würde liebend gern eine halbe Stunde durch Sturm und Regen laufen oder ebenso lange mit dem Auto im Stau stehen, wenn sie wüsste, dass sie danach in eine gut besuchte Praxis käme, in der viele Patienten auf sie warteten, die sich freuten, sie zu sehen, damit sie ihnen helfen konnte.

      Das hatte sie gehabt.

      Es hatte sogar Wartelisten gegeben.

      Roberta seufzte.

      Waren die Leute im Sonnenwinkel plötzlich alle gesund und hatten keinen Arzt mehr nötig?

      Sie schaute auf die wunderschönen Blumensträuße, las noch einmal Ennos Karte mit all seinen guten Wünschen.

      An ihm lag es nicht.

      Er hatte sie nicht übers Ohr gehauen.

      Er konnte in die Menschen nicht hineinschauen. Er hatte nun wirklich nicht voraussehen können, dass er ihr den Schritt in eine Katastrophe geebnet hatte.

      Nun verrannte sie sich in etwas, was gefährlich war, und so war sie doch nicht. Wo war die Kämpferin Roberta Steinfeld geblieben?

      Die Praxiseinrichtung war okay, wenngleich es noch eine Menge zu verbessern gab, ehe ihre Standards erreicht waren. Vielleicht musste sie die nicht erreichen und sollte sich mit dem zufriedengeben, was Enno ihr hinterlassen hatte.

      Stopp!

      Bis hierher und nicht weiter!

      Heute war ihr erster Tag, morgen konnte die Welt schon ganz anders aussehen, und wenn nicht morgen, dann übermorgen.

      Sie war eine gute Ärztin, eine sehr gute sogar, und es wäre doch gelacht, wenn sie das hier nicht unter Beweis stellen dürfte.

      Als Ursel Hollenbrink in die Praxis kam, auch zu früh, bemerkte sie ganz verwundert. »Oh, Frau Doktor, Sie sind ja schon da.«

      Es lag Roberta auf der Zunge zu sagen: ›Ja, um die nächsten Stunden mit nichtstun zu verbringen‹, doch das verkniff sie sich, stattdessen ließ sie sich von ihrer Sprechstundenhilfe erklären, wie Enno alles gehandhabt hatte. Ein wenig umständlich, stellte sie sehr schnell fest und sagte direkt, was sie anders haben wollte.

      Sie hatten sehr viel Zeit, das alles zu besprechen, was Ursel Hollenbrink übrigens gut und auf jeden Fall effektiver fand, weil ihnen auch in der Nachmittagssprechstunde niemand zu nahe trat.

      *

      Die Sprechstunde war ­bei­na­he vorbei, als doch ­tat­sächlich zwei Patienten sich in die Praxis verirrten, die von Frau Hollenbrink freundlich und sehr erleichtert begrüßt wurden.

      Es waren Teresa und Magnus von Roth, die sich durchchecken lassen wollten.

      Als Roberta deren Patientendaten sah, bemerkte sie, dass eine Generaluntersuchung gerade erst vor drei Wochen stattgefunden hatte, bei der es keinerlei Auffäl­ligkeiten gegeben hatte. Alle Werte und Ergebnisse waren ganz hervorragend gewesen. Und auch heute machten die beiden Herrschaften einen fitten Eindruck.

      Man konnte daran fühlen, dass Inge Auerbach die treibende Kraft gewesen war, die ihre Eltern gebeten hatte in die Praxis zu gehen.

      Das war nett gemeint gewesen, verbesserte Robertas Laune allerdings nicht gerade.

      Wenn es ihr darum ginge, Geld in die Kasse zu bekommen, hätte sie jetzt natürlich das ganze Programm abspulen, die von Roths für den nächsten Morgen für

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