Скачать книгу

      »Okay.« Jensen reißt sich zusammen und gibt sich einen Ruck. »Wir müssen uns Connys Wohnung anschauen. Soweit ich weiß, hat sie alleine gewohnt.«

      »Und wo?«

      »Barmbek. Da kommen wir trotz Trump und Konsorten wohl zügig hin. Wenn nicht gerade eine ausländische Delegation geschleust wird.«

      Vier Mitglieder der Beweissicherungs- und Festnahmehundertschaft, kurz BFE genannt, führen einen etwa dreißigjährigen Mann in die Nähe des Tatortes. Dort hat eine Hundertschaft Polizisten einen Kessel gebildet. In diesen schubsen sie den sich sträubenden Mann. Er gesellt sich einem Dutzend anderer zu, von denen niemand weiß, warum er in dem Rund gefangen ist.

      »Sie, kommen Sie.«

      Zwei Beamte fordern einen Gefangenen auf, ihnen zu folgen. Zögernd kommt er der Aufforderung nach. Er weiß nicht, was ihn erwartet.

      »Beeilen Sie sich.«

      Die Beamten sind nervös, übermüdet und aggressiv.

      »Da rein.«

      Sie weisen auf ein eilig aufgebautes Zelt, in dem Techniker all das aufgebaut haben, was nötig ist, um in wenigen Minuten einen Schnelltest auf Schmauchspuren durchführen zu können. Bis jetzt gab es kein positives Ergebnis.

      Koordiniert vom Leitstand der Polizei, der von mehreren Hubschraubern Bilder auf die Monitorwand gesendet bekommt, durchkämmen Einsatzkräfte das abgesperrte Areal rund um den Tatort. Ohne Kontrolle des Ausweises kommt niemand heraus. Wer auf irgendeine Art verdächtig erscheint, kommt in den Kessel und wird einem Schnelltest auf Schmauchspuren unterzogen; wer es auf irgendwelchen Schleichwegen schafft, das Gebiet zu verlassen, der wird von einem der Hubschrauber aufgestöbert. Zumindest ist das die Hoffnung der Leitstelle; hundert Prozent sicher kann man sich nie sein.

      Sollte die Kriminalpolizei bei ihren Ermittlungen auf Spuren stoßen und Hilfe benötigen, wird sie die Leitstelle informieren. Es ist zu erwarten, dass das dauern wird. Es sind kaum mehr als drei Stunden vergangen, seit Conny Schrader ermordet wurde. Im Moment ruht die Hoffnung auf der Sofortfahndung und nicht auf ermittelten und verwertbaren Spuren.

      »Wie ist der Stand?«

      Moser meldet sich telefonisch in der Leitstelle.

      »Wir haben Kollegen der BFE im abgesperrten Gebiet.«

      »Mit welchem Auftrag genau?«

      »Jeden Verdächtigen festnehmen und ihn einem Schnelltest für Schmauchspuren zu unterziehen. Niemand kann das Areal ohne Kontrolle verlassen.«

      »Gut. Aber was, wenn der Täter dort wohnt oder sich in irgendeinem Gebäude versteckt?«

      »Werden wir ihn wohl nicht aufspüren.«

      »Doch, das werden Sie! Durchsuchen Sie jede Wohnung im abgesperrten Areal!«

      Unbeherrscht schreit Moser in das Telefon.

      »Wir haben keinen richterlichen Beschluss, wir können nicht Wohnung für Wohnung durchkämmen.«

      Mosers Gesprächspartner beharrt auf dem Rechtsstaat.

      »Mensch, stellen Sie sich nicht an. Eine Kollegin ist ermordet worden. Da stellt sich die Frage: Was hindert Sie, dass Ihre Leute an jeder Tür klingeln und höflich fragen? Bitte, was hindert Sie?«

      »Ist gut, wenn die Straßen leer sind, nehmen wir uns die Häuser vor.«

      Ein Beamter unterbricht den Streit zwischen Moser und seinem Telefonpartner, indem er ihnen einen eben hereingekommenen Anrufer zu einer Dreierkonferenz auf ihr Gespräch schaltet.

      »Die Techniker haben eine Arbeitshypothese, von wo aus geschossen wurde.«

      »Und?«

      Aus jedem der drei Buchstaben des Wortes spricht Mosers Anspannung.

      »Von der Baustelle der Universität aus, vom Geomatikum.«

      »Durchsuchen!«

      Moser vergisst ein weiteres Mal, dass er zwar die Sonderkommission leitet, aber der Leitstelle keine Befehle erteilen kann.

      »Kennen Sie sich dort aus?«

      »Nein! Aber wir können wohl trotzdem eine Baustelle durchsuchen, oder?«

      Mosers Ungeduld wächst.

      »Das ist nicht eine x-beliebige Baustelle – da wird ein Hochhaus renoviert. Was weiß ich, vielleicht zwanzig Stockwerke. Und ein zweites Gebäude wird daneben neu errichtet. Für die Klimaforschung.«

      »Was wollen Sie mir damit sagen?«

      »Wir werden die Baustelle durchsuchen, aber sie ist ziemlich groß. Und aufgrund der Sicherheitslage rund um das Viertel und der Messe kann es dauern, bis wir genügend Beamte zur Verfügung haben. Dann durchkämmen wir sie, jeden Winkel, jedes Stockwerk. Sollte der Gesuchte versuchen zu entkommen, werden die Hubschrauber ihn entdecken.«

      »Legen Sie los, ich fahre dorthin.«

      Ein Tag vor dem Gipfel, 15:15 Uhr Entgegen seiner Erwartung findet Jensen mühelos einen Parkplatz in einer Wohnstraße, die typisch für den Stadtteil Barmbek ist. Endlose Reihen vierstöckiger Rotklinkerbauten nehmen den Platz ein, auf dem vor dem Zweiten Weltkrieg Jugendstilbauten einen Stadtteil bildeten, dessen Vergangenheit die Weltkriegsbomben fast vollständig ausgelöscht haben. Laubbäume halten im Sommer die Straße kühl und verhindern in dunkleren Jahreszeiten, dass es richtig hell wird.

      »Da ist Nummer zwölf.« Wiebke Maurer zeigt auf eine Haustür, die so alt wie das Haus zu sein scheint und vor nicht langer Zeit mit einem altmodischen dunkelgrünen Lack frisch gestrichen wurde. Jensen schließt mit einem der Schlüssel auf, die sie bei Conny Schrader gefunden haben, und sie gehen in den zweiten Stock. Unsicher bleibt er vor der Wohnungstür stehen.

      »Willst du?«

      Er hält Wiebke Maurer den Schüsselbund hin.

      »Nee.«

      Wiebke Maurer schüttelt einsilbig den Kopf.

      »Na gut.«

      Jensen fällt es schwer, in die Wohnung seiner Kollegin einzudringen, deren Privatsphäre zu verletzen. Er hat damit zu kämpfen, dass es sich nicht um einen Mord an einem ihm Unbekannten handelt. Er fragt sich, warum er so fühlt. Conny ist tot, und mehr, als ihren feigen Mörder zu fassen, kann er nicht für sie tun.

      Er gibt sich einen Ruck und öffnet die Wohnungstür. Vor ihnen erstreckt sich ein heller Flur, in dem sich die Sommerwärme noch nicht gestaut hat.

      »Nimmst du dir Schlaf- und Badezimmer vor?«

      »Ja.«

      Wiebke Maurer versteht Jensens Zurückhaltung. Sie kennt ihn schon lange.

      »Gut, ich nehme Wohnzimmer und Küche. Aber vorher schauen wir von außen gemeinsam in alle Räume.«

      Jensen will die Atmosphäre der Wohnung in sich aufsaugen, will die Eigenarten der Person spüren, die hierin gelebt hat.

      Helle und modische Möbel, ab und an kontrastierende dunkle Farbtöne, geschmackvolle Bilder, wenige Topfpflanzen und der große Fernseher geben einen ersten Eindruck. Das Bett ist zerwühlt, und in jedem Raum sind Bücher und Zeitschriften abgelegt worden. Die Wohnung ist nicht aufgeräumt, aber auch nicht unordentlich; sie zeigt, dass bis vor Kurzem ein Mensch in ihr wohnte.

      Wiebke Maurer verschwindet im Schlafzimmer, und Jensen nimmt sich die Küche vor. Er weiß nicht, wonach er sucht. Aber vielleicht findet er einen Hinweis, dass der Mörder sein Opfer kannte. Das ist bei fast jedem Mord so, auch wenn Moser meint, dieser sei ein Anschlag auf die Polizei und den Staat, den zu schützen er geschworen hat.

      Routiniert öffnet Jensen Schranktüren und Schubladen und erblickt das, was er in vielen Haushalt finden würde: Besteck, Kochtöpfe, Geschirr, Tütensuppen und andere Vorräte.

Скачать книгу