Скачать книгу

Erziehung. Die besten Musiklehrer machten eine ziemlich gute Musikerin aus ihr; sie konnte sauber in Aquarell malen, tanzte wundervoll und hatte Französisch, Geschichte, Geographie, Englisch und Italienisch gelernt, kurz alles, was zu der vollendeten Erziehung einer jungen Dame gehört. Mittelgroß, etwas dick und kurzsichtig, war sie weder hässlich noch hübsch, hatte weder einen weißen noch einen leuchtenden Teint und war gänzlich ohne vornehme Manieren. Sie war von zurückgehaltener Empfindlichkeit, und ihr Pate, ihre Patin, Fräulein Thuillier und ihr Vater waren darüber einig, dass Celeste warme Anhänglichkeit, eine Tugend, an die sich alle Mütter klammern, besaß. Schön war ihr prachtvolles aschblondes Haar; aber Hände und Füße verrieten ihre kleinbürgerliche Herkunft.

      Celeste hatte sehr wertvolle Eigenschaften: sie war gut, einfach, ohne jede böse Regung; sie liebte ihren Vater und ihre Mutter und hätte sich für sie aufgeopfert. In tiefer Verehrung für ihren Paten, für Brigitte, die sich von ihr »Tante Brigitte« nennen ließ, für Frau Thuillier und für ihre Mutter aufgewachsen, die sich wieder mehr und mehr dem alten Beau der Kaiserzeit näherte, hatte Celeste den höchsten Begriff von dem früheren Vizechef. Der Pavillon der Rue Saint-Dominique machte auf sie einen Eindruck, wie das Tuilerienschloss auf einen Hofmann der jungen Dynastie.

      Thuillier hatte der aufreibenden Arbeit seiner Verwaltungstätigkeit nicht Stand halten können, die ihn abmagern ließ, je umfangreicher sie wurde. Von dieser langweiligen Tätigkeit ebenso abgebraucht wie von seinen Erfolgen als Liebhaber, hatte der ehemalige Vizechef schon alle seine Vorzüge eingebüßt, als er in die Rue Saint-Dominique kam; aber sein müdes Gesicht mit hochmütigem Ausdruck im Verein mit einer gewissen Selbstzufriedenheit, die an die gesuchte Haltung eines höheren Beamten erinnerte, machte einen lebhaften Eindruck auf Celeste. Sie allein schwärmte für dieses bleiche Gesicht. Sie wusste, dass sie die Freude des Hauses Thuillier war.

      Die Collevilles und ihre Kinder bildeten natürlich den Mittelpunkt der Gesellschaft, die Fräulein Thuillier um ihren Bruder zu versammeln den Ehrgeiz hatte. Ein früherer Beamter der Abteilung la Billiardière, der seit mehr als dreißig Jahren im Stadtviertel Saint-Jacques wohnte, Herr Phellion, Bataillons-Kommandeur der Legion, wurde sogleich bei der ersten Begegnung von dem früheren Steuereinnehmer und Vizechef wieder begrüßt. Phellion war einer der angesehensten Männer in seinem Bezirk. Er hatte eine Tochter, eine ehemalige Unterlehrerin am Pensionat Lagrave; die mit einem Lehrer aus der Rue Saint-Hyacinthe, Herrn Barniol, verheiratet war.

      Der ältere Sohn Phellions war Professor der Mathematik an einem königlichen Gymnasium; er gab Unterricht, Nachhilfestunden und widmete sich, wie sein Vater sich ausdrückte, der reinen Mathematik. Der zweite Sohn war auf der Ingenieurschule. Phellion hatte neunhundert Franken Pension und eine Rente von neuntausend und einigen hundert Franken, das Resultat seiner Ersparnisse und der seiner Frau aus dreißigjähriger Arbeit und Entbehrung. Er besaß außerdem ein kleines Haus mit einem Garten in der Gasse des Feuillantines. (In dreißig Jahren hatte er nicht ein einziges Mal den alten Ausdruck »Sackgasse« gebraucht.) Dutocq, Gerichtsvollzieher beim Friedensgericht, war früher Beamter im Finanzministerium; er war damals das Opfer einer Zwangsmaßregel, wie sie bei einer Regierung des Repräsentativ-Systems vorkommen, geworden und hatte die Rolle eines Sündenbocks in einer unsauberen Verwaltungsangelegenheit, die zur Kenntnis der Budgetkommission gekommen war, auf sich genommen, wofür er im geheimen mit einer ziemlich runden Summe entschädigt worden war; er war damit imstande, sich die Gerichtsvollzieherstelle zu kaufen. Dieser, im übrigen wenig anständige Mensch, ein Büro-Spion, wurde von den Thuilliers nicht so aufgenommen, wie er es erwartet hatte; aber trotz des kühlen Verhaltens seiner Hauswirte beharrte er dabei, sie zu besuchen.

      Er war ein lasterhafter Junggeselle, der seine Lebensweise ziemlich sorgsam geheim hielt und sich bei seinen Vorgesetzten durch Schmeichelei in seiner Stellung erhielt. Der Friedensrichter hatte Dutocq sehr gern. Diese üble Persönlichkeit verstand es, durch niedrige, grobe Lobhudeleien, die niemals ihre Wirkung verfehlen, zu erreichen, dass er bei den Thuilliers geduldet wurde. Er kannte Thuilliers Leben, seine Beziehungen zu Colleville, und vor allem die zu seiner Frau, ganz genau; man fürchtete seine gefährliche Zunge, und die Thuilliers ließen ihn sich gefallen, ohne ihn zu ihrem engeren Kreise zuzulassen. Die Familie aber, die der Stolz ihres Salons wurde, war die eines armen kleinen Beamten, der früher ein Gegenstand des Mitleids in den Büros gewesen war, und der, durch seine Armut genötigt, im Jahre 1827 aus dem Dienst geschieden war, um sich mit einer Idee im Kopfe auf die Industrie zu legen. Minard erblickte eine hoffnungsvolle Aussicht in einer der üblen Manipulationen, die den französischen Handelsstand in Verruf gebracht haben, und die um das Jahr 1827 vor der Öffentlichkeit noch nicht gebrandmarkt waren. Minard kaufte Tee und mischte ihn zu gleichen Teilen mit gebrauchten Teeblättern; dann wendete er ein ähnliches Verfahren bei der Schokolade an, das ihm gestattete, sie billig zu verkaufen. Der Handel mit Kolonialwaren, den er in dem Stadtviertel Saint-Marcel begonnen hatte, machte aus Minard einen richtigen Kaufmann; er besaß eine Fabrik und konnte vermöge seiner Beziehungen nun seine Rohstoffe von den Erzeugern beziehen; und so betrieb er jetzt in anständiger Weise das Geschäft weiter, das er mit Fälschungen begonnen hatte. Er wurde Destillateur, handelte mit riesigen Mengen von Waren und galt im Jahre 1835 als der reichste Kaufmann des Viertels an der Place Maubert. Er hatte sich eins der schönsten Häuser in der Rue des Maçons-Sorbonne gekauft, war Beigeordneter gewesen und im Jahre 1839 zum Bürgermeister seines Bezirks und zum Handelsrichter ernannt worden. Er hatte einen Wagen und einen Landsitz bei Lagny; seine Frau erschien mit Brillanten bei den Hofbällen, und er war stolz auf die Rosette eines Offizieres der Ehrenlegion in seinem Knopfloch. Minard und seine Frau waren übrigens außerordentlich wohltätig. Vielleicht wollten sie im Kleinen den Armen wieder zurückgeben, was sie im Großen dem Publikum abgenommen hatten. Phellion, Colleville und Thuillier trafen Minard bei den Wahlen wieder, und es entspann sich eine um so intimere Freundschaft mit Thuillier und Colleville, als Frau Zélie entzückt darüber zu sein schien, ihre »Fräulein« Tochter mit Celeste Colleville Bekanntschaft machen zu lassen. Auf einem großen Balle, den die Minards gaben, wurde Celleste in die Gesellschaft eingeführt, sie war damals sechzehneinhalb Jahr alt und wundervoll gekleidet, wie es ihr Name verlangte, der für ihr Leben verheißungsvoll zu sein schien. Glücklich über die Freundschaft mit Fräulein Minard, die vier Jahre älter war als sie, veranlasste sie ihren Paten und ihren Vater, die Beziehungen zu dem Hause Minard mit seinen goldstrotzenden Salons, seinem Reichtum, dem Treffpunkt mehrerer politischer Zelebritäten der Mittelpartei, zu pflegen; hier verkehrte Herr Popinot, der spätere Handelsminister, Cochu, der Baron geworden war, ein früherer Beamter der Abteilung Clergeot im Finanzministerium, der, stark bei einer Drogeriefirma beteiligt, das Orakel der Stadtviertel des Lombards und des Bourdonnais zusammen mit Anselm Popinot war. Der älteste Sohn Minards, Advokat, der beabsichtigte, der Nachfolger eines der Advokaten, die seit 1830 sich der politischen Karriere zugewendet hatten, zu werden, war das Genie der Familie, und seine Mutter ebenso wie sein Vater wünschten, ihn gut zu verheiraten. Zélie Minard, eine frühere Blumenmacherin, hatte eine brennende Vorliebe für die hohen Gesellschaftskreise und wollte sich vermittelst der Heiraten ihrer Tochter und ihres Sohnes dort Zutritt verschaffen, während Minard, klüger als sie und strotzend von der Kraft der Mittelklasse, mit der die Julirevolution das Blut der Machthaber auffrischte, nur daran dachte, reich zu werden.

      Er besuchte den Salon der Thuilliers, um dort Genaueres über Celestes Erbschaftsaussichten zu erfahren. Er kannte, ebenso wie Dutocq und Phellion, die Gerüchte über das frühere Verhältnis Thuilliers mit Flavia und hatte auf den ersten Blick gemerkt, wie sehr die Thuilliers ihr Mündel anbeteten. Um bei Minard zugelassen zu werden, überhäufte Dutocq ihn mit übermäßigen Schmeicheleien. Er verglich Minard, den Rothschild des Bezirks, als er ihn bei Thuilliers traf, in beinahe geistvoller Art mit Napoleon, da er ihn, stark, dick und blühend wiedersah, den er im Büro mager, blass und elend verlassen hatte: »In der Abteilung la Billardière waren Sie wie Napoleon vor dem achtzehnten Brumaire, und jetzt sehe ich Sie hier wie Napoleon, als er Kaiser geworden war!« Trotzdem behandelte Minard Dutocq kühl und lud ihn nicht ein; daher machte er auch den giftigen Gerichtsvollzieher zu seinem Todfeinde.

      Was für ehrenwerte Leute Herr und Frau Phellion auch waren, so konnten sie doch nicht unterlassen, Berechnungen anzustellen und Hoffnungen zu hegen; sie meinten, dass Celeste eine gute Partie für ihren Sohn, den Professor, wäre, und um eine Rolle in Thuilliers Salon zu spielen, brachten sie auch ihren Schwiegersohn, Herrn

Скачать книгу