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die alte Jungfer mit Protektormiene.

      Fräulein Thuillier hatte ihren Bruder allzuoft sagen hören: »Der und der ist gestorben! Er hat seine Pensionierung nicht zwei Jahre überlebt!« Sie hatte allzuoft Colleville, den intimen Freund Thuilliers, einen Beamten wie er, wenn er über diese kritische Zeit der Bürokraten scherzte, sagen hören: »Wir kommen alle dahin!« ..., um nicht die Gefahr, die ihr Bruder lief, zu würdigen. Der Übergang von der Tätigkeit zum Ruhestand ist in der Tat die kritische Zeit für den Beamten. Wer von ihnen nicht die Fähigkeit oder die Möglichkeit hat, an Stelle seiner bisherigen Tätigkeit eine andere Beschäftigung aufzunehmen, der verändert sich ganz auffallend: einige sterben, viele werden Angler, eine Zerstreuung, deren Leere ihrer früheren Büroarbeit entspricht; wieder andere, spekulative Köpfe, kaufen Aktien, verlieren daran ihre Ersparnisse und sind glücklich, wenn sie dann eine Anstellung bei einem Unternehmen erhalten, das nach dem ersten Niederbruch und der ersten Liquidation in geschickten Händen, die das abgewartet hatten, Aussicht auf Ertrag gewährt; dann reibt sich der Beamte die Hände, die inzwischen leer geworden sind, und sagt zu sich: »Ich habe es richtig geahnt, dass aus dieser Sache mal etwas werden wird ...« Aber fast alle sträuben sich dagegen, ihre frühere Lebensweise beizubehalten.

      »Es gibt welche,« pflegte Colleville zu sagen, »die von dem besonderen Beamtenspleen (er sagte: Splehn) aufgezehrt werden; sie gehen an den immer wiederkehrenden Erinnerungen an die Rundverfügungen zugrunde; sie leiden nicht am Bandwurm, sondern am Papierwurm. Der kleine Poiret konnte kein weißes, blau liniiertes Papier sehen, ohne dass dieses geliebte Bild ihn die Farbe wechseln ließ; seine grünliche Gesichtsfarbe wurde dann gelb.«

      Fräulein Thuillier galt als der starke Geist des brüderlichen Haushalts; es fehlte ihr nicht an Kraft und Entschlussfähigkeit, wie ihre eigene Lebensgeschichte erweisen wird. Diese Überlegenheit über ihre Umgebung gestattete ihr, ihren Bruder richtig zu beurteilen, so leidenschaftlich sie ihn auch liebte. Nachdem die auf ihr Ideal gesetzten Hoffnungen zunichte geworden waren, wurde ihr mütterliches Empfinden sich über die soziale Bedeutung des Vizechefs klar.

      Thuillier und seine Schwester waren die Kinder des ersten Portiers im Finanzministerium. Jérôme war, dank seiner Kurzsichtigkeit, allen militärischen Requisitionen und Konskriptionen entgangen. Der Vater hatte den Ehrgeiz, aus seinem Sohne einen Beamten werden zu lassen. Zu Beginn dieses Jahrhunderts gab es zu viele Stellen bei der Armee, als dass nicht viele in den Büros unbesetzt gewesen wären, und der Mangel an Unterbeamten machte es dem dicken Vater Thuillier möglich, seinen Sohn die ersten Stufen der Beamtenhierarchie überspringen zu lassen.

      Der Portier starb im Jahre 1814, als Jérôme kurz vor der Ernennung zum Vizechef stand, und hinterließ ihm als einziges Vermögen nur diese Hoffnung. Der dicke Thuillier und seine Frau, die im Jahre 1806 gestorben war, waren mit der Pension als ihrem einzigen Besitz in den Ruhestand getreten, denn sie hatten ihre Ersparnisse aufgebraucht, um Jérôme eine zeitgemäße Erziehung zu geben und ihn und seine Schwester zu unterhalten.

      Es ist bekannt, welchen Einfluss die Restauration auf die Bürokratie ausübte. Aus einundvierzig verlorengegangenen Departements kehrte eine Menge tüchtiger Beamter zurück und verlangte eine Anstellung, die niedriger war als die von ihnen innegehabte. Zu jenen Rechtsansprüchen kamen noch die Ansprüche der proskribierten Familien hinzu, die durch die Revolution ruiniert worden waren. Von diesen beiden Strömen bedrängt, war Jérôme noch sehr glücklich, dass er nicht unter irgendeinem bei den Haaren herbeigezogenen Vorwande verabschiedet wurde. Er zitterte davor bis zu dem Tage, wo er durch einen Glücksfall Vizechef geworden und nun sicher war, dass er sich in Ehren zurückziehen konnte. Dieser kurze Bericht zeigt, dass Thuillier wenig Bedeutung und Beziehungen besaß. Er hatte Latein, Mathematik, Geschichte und Geographie gelernt, wie man das in der Schule lernt; aber er war nicht über die sogenannte zweite Klasse hinausgekommen, da sein Vater von einer günstigen Gelegenheit, in das Ministerium hineinzukommen, Gebrauch machen wollte, wobei er rühmte, dass sein Sohn »eine vortreffliche Hand« schriebe. Da der kleine Thuillier also die ersten Eintragungen in das Hauptbuch zu machen hatte, konnte er den Kursus der Rhetorik und Philosophie nicht besuchen.

      Einmal in das ministerielle Triebwerk eingespannt, befasste er sich wenig mit Literatur und noch weniger mit Kunst; aber er erwarb sich Routine in seinem Amte; und als es ihm unter dem Kaiserreich möglich wurde, in die Sphäre der höheren Beamten zu gelangen, eignete er sich äußerliche Formen an, die den Portiersohn verbargen, aber auf seinen Geist hatte das nicht den geringsten Einfluss. Seine Unwissenheit riet ihm, sich schweigend zu verhalten, und dieses Schweigen war ihm nützlich. Unter der kaiserlichen Verwaltung gewöhnte er sich an den passiven Gehorsam, der den Vorgesetzten gefällt, und dieser Eigenschaft verdankte er es, dass er dann zum Vizechef aufrückte. Mit seiner Routine erwarb er sich eine große Geschäftserfahrung, und seine Manieren wie sein Schweigen verbargen seinen Mangel an Kenntnissen. Seine Unbedeutendheit empfahl ihn, wenn man einen Unbedeutenden brauchte. Man scheute sich, die beiden Parteien in der Kammer vor den Kopf zu stoßen, und das Ministerium half sich dadurch aus der Verlegenheit, dass es das Prinzip der Anciennität durchführte. So wurde Thuillier Vizechef. Da Fräulein Thuillier wusste, dass ihr Bruder einen Widerwillen gegen Bücher hatte und das Bürogetriebe durch keine andere Tätigkeit ersetzen konnte, so hatte sie klugerweise beschlossen, ihm die Sorge für das Grundstück aufzuhalsen, die Pflege des Gartens, die unendlich vielen kleinen Mühen des Privatlebens und die Intrigen mit der Nachbarschaft.

      Die Übersiedelung der Familie Thuillier aus der Rue d'Argenteuil in die Rue Saint-Dominique-d'Enfer, die durch den Grundstückskauf sich ergebenden Erfordernisse, die Suche nach einem geeigneten Portier, das Heranschaffen von Mietern beschäftigten Thuillier von 1831 bis 1832. Als die Übersiedelung beendet war und seine Schwester sich überzeugt hatte, dass Jérôme diese Sache gut überstanden hatte, fand sie andere Mühewaltungen für ihn, von denen später die Rede sein soll, die aber auf Thuilliers Charakter basiert waren, den jetzt zu schildern am Platze sein dürfte.

      Obwohl der Sohn eines Portiers im Ministerium, war Thuillier das, was man einen schönen Mann nennt; über mittelgroß, schlank, besaß er ein Gesicht, das mit der Brille nicht unangenehm, aber, wie bei vielen Kurzsichtigen, schrecklich war, wenn er seine Augengläser abnahm; denn die Gewohnheit, durch die Brille zu sehen, hatte über seine Pupillen eine Art von Schleier gebreitet.

      Zwischen achtzehn und dreißig Jahren hatte der junge Thuillier Erfolg bei Frauen gehabt, allerdings immer nur in der Sphäre, die bei den Kleinbürgern beginnt und bei den Abteilungsvorstehern endet; es ist bekannt, dass unter dem Kaiserreich der Krieg die Pariser Gesellschaft ein wenig dezimiert hatte, indem er die kraftvollen Männer auf das Schlachtfeld führte, und diesem Umstande ist vielleicht, wie ein großer Arzt gesagt hat, die Verweichlichung der Generation um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts zuzuschreiben.

      Da Thuillier genötigt war, sich durch andere als geistige Vorzüge bemerkbar zu machen, so lernte er so gut Walzer tanzen, dass man ihn als Muster nannte; er hieß »der schöne Thuillier«, er spielte vollendet Billard, konnte Schattenrisse ausschneiden, und sein Freund Colleville verstand es, ihn so gut einzuüben, dass er modische Romanzen zu singen vermochte. Mit diesen kleinen Gesellschaftskünsten hatte er den äußerlichen Erfolg, der die Jugend zu täuschen und sie über ihre Zukunft zu verblenden pflegt. Von 1806 bis 1814 glaubte Fräulein Thuillier an ihren Bruder, wie die Prinzessin Orléans an Louis-Philippe; sie war stolz auf Jérôme, sie sah ihn schon als Generaldirektor, dank seinen Erfolgen, die ihm damals den Zutritt zu einigen Salons eröffneten, in denen er sicherlich ohne die Verhältnisse, die unter dem Kaiserreich aus der Gesellschaft ein buntes Allerlei gemacht hatten, niemals zugelassen worden wäre.

      Aber die Triumphe des schönen Thuillier waren im allgemeinen von kurzer Dauer; die Frauen legten ebensowenig Wert darauf, ihn zu halten, wie er darauf, ewig an sie gefesselt zu sein; er hätte das Sujet für eine Komödie mit dem Titel »Der Don Juan wider Willen« abgeben können. Das Handwerk eines »Beau« ermüdete Thuillier dermaßen, dass er alt wurde; sein mit Runzeln bedecktes Gesicht, wie das einer alten Kokette, ließ ihn zwölf Jahre älter erscheinen, als er war. Von seinen Erfolgen hatte er nur die Gewohnheit beibehalten, sich im Spiegel zu betrachten, sich an die Taille zu fassen, um sie hervortreten zu lassen, und die Pose eines Tänzers anzunehmen, so dass über die Zeit hinaus, wo ihm seine Vorzüge Annehmlichkeiten verschaffen konnten, der Kontrakt,

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