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den sie für die militärische Karriere bestimmte. 1820 erklärte sie die Banken für die Ernährer der Industrie und die Stützen des Staates, und der große Keller, der berühmte Redner, war ihr Idol; sie bekam damals einen Sohn, Franz, den sie später Kaufmann werden lassen wollte, und dem die Protektion Kellers sicher niemals fehlen würde. Gegen Ende des Jahres 1820 fühlte Thuillier, der intime Freund von Herrn und Frau Colleville und Flavias Bewunderer, das Bedürfnis, seinen Schmerz am Busen dieser vortrefflichen Frau auszuweinen; seit sechs Jahren machte er vergebliche Versuche, ein Kind zu bekommen; der liebe Gott segnete seine Bemühungen nicht, denn die arme Frau Thuillier verrichtete ihre neuntägigen Andachten vergeblich; und sie war dazu bis nach Notre Dame de Liesse gegangen! Er schilderte ihr Celeste nach allen Richtungen hin, und die Worte: »Armer Thuillier!« fielen von den Lippen der Frau Colleville, die auch ihrerseits ziemlich betrübt war; sie hatte damals keine ausgesprochene Vorliebe für irgend jemanden. Und so weinte auch sie ihren Kummer an Thuilliers Herzen aus. Der große Keller, dieser Heros der liberalen Partei, war in Wirklichkeit ein kleinlicher Mensch; sie hatte die Kehrseite der Berühmtheiten, die Torheiten der Bankwelt, die Härte eines Volkstribunen kennengelernt. Der Redner sprach nur in der Kammer und hatte sich ihr gegenüber sehr schlecht benommen; Thuillier war darüber entrüstet. »Nur die Einfältigen verstehen zu lieben,« sagte er, »nehmen Sie mich doch!« Es hieß, dass der schöne Thuillier Frau Colleville ein klein wenig den Hof mache, und er wurde einer ihrer »Anbeter«, ein Wort, das aus der Zeit des Kaiserreichs stammte.

      »Ach, du bemühst dich um meine Frau!« sagte Colleville lachend zu ihm; »nimm dich in acht, sie wird dich ebenso wie alle die andern abblitzen lassen.«

      Eine feine Wendung, mit der Colleville seine Manneswürde in den Büros aufrecht erhielt. Von 1820 bis 1821 fühlte sich Thuillier in seiner Eigenschaft als Hausfreund veranlasst, Colleville, der ihm früher so oft ausgeholfen hatte, beizuspringen, und lieh im Verlaufe von anderthalb Jahren der Familie Colleville etwa zehntausend Franken, wovon niemals die Rede sein sollte. Im Frühjahr 1821 wurde Frau Colleville von einem reizenden Mädchen entbunden, dessen Paten Herr und Frau Thuillier waren; sie wurde deshalb Celeste-Louise-Caroline-Brigitte genannt. Denn auch Fräulein Thuillier wollte dem kleinen Engel einen ihrer Vornamen geben.

      Der Name Caroline war eine Aufmerksamkeit für Colleville. Die alte Frau Lemprun nahm es auf sich, das kleine Wesen zu einer Amme nach Auteuil zu geben, wo sie es unter ihrer Aufsicht hatte und wo Celeste und ihre Schwägerin es zweimal wöchentlich besuchten. Sobald Frau Colleville wieder aufgestanden war, sagte sie offen, aber ernsthaft zu Thuillier:

      »Wenn wir gute Freunde bleiben wollen, mein Lieber, dann dürfen Sie nicht mehr als unser Freund sein wollen; Colleville liebt Sie ja, und wenn es einer im Hause tut, so genügt das.«

      »Erklären Sie mir doch,« sagte der schöne Thuillier zu der Tänzerin Tullia, die sich gerade bei Frau Colleville befand, »weshalb die Frauen mich nicht lieb behalten wollen. Ich bin ja gewiss kein Apollo von Belvedere, aber doch auch kein Vulkan; ich sehe erträglich aus, ich habe Geist, ich bin treu ...«

      »Wollen Sie die Wahrheit wissen?« erwiderte Tullia.

      »Jawohl«, sagte der schöne Thuillier.

      »Also, wenn wir auch mal ein Vieh lieben können, so lieben wir doch nie einen Dummkopf.«

      Dieses Wort vernichtete Thuillier, und er kam nicht mehr auf die Sache zurück; er war seitdem melancholisch und schalt auf die Launen der Weiber.

      »Habe ich dir das nicht vorhergesagt? ...« sagte Colleville. »Ich bin kein Napoleon, mein Lieber, und ich möchte auch keiner sein; aber ich besitze eine Josephine, ... eine Perle!«

      Der Generalsekretär des Ministeriums, des Lupeaulx, dem Frau Colleville mehr Einfluss zugetraut hatte, als er besaß, und von dem sie später zu sagen pflegte: »Der war einer von denen, in welchen ich mich geirrt habe ...«, war damals eine Zeitlang der große Mann im Salon Colleville; aber da er nicht imstande war, Colleville in die Abteilung Bois-Levant zu bringen, war Flavia so klug, seine Bemühungen um Frau Rabourdin, die Gattin des Bürochefs, übelzunehmen, eine Zierpuppe, wie sie sich ausdrückte, die sie niemals eingeladen und ihr gegenüber zweimal sich herausgenommen hatte, nicht zu ihren Konzerten zu kommen.

      Frau Colleville war tief erschüttert von dem Tode des jungen Gondreville; sie war untröstlich; sie erblickte darin, wie sie sagte, die Hand Gottes. Im Jahre 1824 wurde sie häuslich, redete vom Sparen, gab ihre Empfangsabende auf, beschäftigte sich mit ihren Kindern, wollte eine gute Hausmutter sein, und ihre Freunde hörten nicht, dass sie jemanden bevorzugte; sie ging in die Kirche, kleidete sich einfach, in graue Farben, und redete über Katholizismus und über Schicklichkeit; und diese Richtung aufs Geistliche ließ im Jahre 1825 ein reizendes Kind zur Welt kommen, das sie Theodor nannte, das heißt »Gottesgeschenk«.

      So wurde auch Colleville im Jahre 1826, der schönen Zeit der Kongregationen, zum Vizechef in der Abteilung Clergeot ernannt und im Jahre 1828 zum Steuereinnehmer eines Pariser Bezirks. Er erhielt das Kreuz der Ehrenlegion, so dass er einmal seine Tochter in Saint-Denis würde erziehen lassen können. Die halbe Freistelle, die Keller für Charles, das älteste Kind Collevilles, im Jahre 1823 durchgesetzt hatte, wurde auf den zweiten Sohn übertragen; Charles erhielt eine volle Freistelle im Gymnasium Saint-Louis, und der dritte Sohn, ein Schützling der Dauphine, bekam eine Dreiviertel-Freistelle am Gymnasium Henri IV.

      Im Jahre 1830 war Colleville, der das Glück hatte, dass ihm alle seine Kinder erhalten geblieben waren, genötigt, wegen seiner Anhänglichkeit an die alte Linie des Königshauses seinen Abschied zu nehmen; aber er verstand das so geschickt zu bewerkstelligen, dass er mit Rücksicht auf seine Dienstzeit eine Pension von zweitausendvierhundert und von seinem Nachfolger eine Abfindungssumme von zehntausend Franken erhielt und zum Offizier der Ehrenlegion befördert wurde. Trotzdem befand er sich in schwieriger Lage, und so riet ihm im Jahre 1832 Fräulein Thuillier, in ihr Haus zu ziehen, wobei sie die Aussicht durchblicken ließ, dass er eine Stelle in der städtischen Verwaltung erhalten könne, was ihm auch nach vierzehn Tagen gelang und ihm ein Einkommen von tausend Talern einbrachte.

      Charles Colleville war eben in die Marineschule eingetreten. Die Gymnasien, in denen die beiden andern kleinen Collevilles erzogen wurden, lagen in ihrem Stadtviertel. Das Seminar von Saint-Sulpice, in das dereinst der Jüngste kommen sollte, war nur wenige Schritte vom Luxembourg entfernt. Endlich wollten Thuillier und Colleville ihr Leben zusammen beendigen. Im Jahre 1833 zog Frau Colleville, damals fünfunddreißig Jahre alt, mit Celeste und dem kleinen Theodor nach der Rue d'Enfer, an der Ecke der Rue des Deux-Eglises. Colleville hatte es gleich weit nach dem Rathause und nach der Rue Saint-Dominique. So sah sich das Ehepaar nach einem abwechselnd glänzenden und entbehrungsreichen, festlichen und zurückgezogenen ruhigen Leben ins kleinbürgerliche Dunkel mit einem Einkommen von fünftausendvierhundert Franken als einzigem Vermögen zurückgeworfen.

      Celeste war damals vierzehn Jahr alt; sie versprach hübsch zu werden; sie musste Lehrer haben, das erforderte eine Ausgabe von mindestens zweitausend Franken jährlich. Die Mutter hielt es für nötig, dass sie unter den Augen ihrer Paten lebe. Deshalb hatte sie den, im übrigen sehr verständigen Vorschlag des Fräuleins Thuillier angenommen, die ihr, ohne sich zu binden, ziemlich deutlich zu verstehen gab, dass die Vermögen ihres Bruders, ihrer Schwägerin und auch das ihrige dereinst Celeste zufallen würden. Das kleine Mädchen war bis zu seinem siebenten Jahre in Auteuil geblieben, angebetet von der guten alten Frau Lemprun, die im Jahre 1829 starb und zwanzigtausend Franken nebst dem Hause hinterließ, das für die enorme Summe von achtundzwanzigtausend Franken verkauft wurde. Der kleine Schelm hatte bis zum Jahre 1829, wo er in das elterliche Haus zurückkehrte, seine Mutter wenig, aber Fräulein und Frau Thuillier sehr häufig gesehen. Im Jahre 1833 kam sie unter die Zucht Flavias, die damals sehr bemüht war, ihre Pflichten zu erfüllen, und das wie alle Frauen, die Gewissensbisse haben, übertrieb. Ohne eine schlechte Mutter zu sein, hielt Flavia ihre Tochter sehr strenge; sie dachte an ihre eigene Erziehung und schwor sich heimlich zu, aus Celeste eine anständige und nicht eine leichtfertige Frau zu machen. Sie nahm sie daher zur Messe mit und ließ sie unter der Leitung eines Pariser Pfarrers, der später Bischof wurde, einsegnen. Celeste war um so frömmer, als ihre Patin, Frau Thuillier, eine wahre Heilige war; das Kind betete seine Patin an; es empfand, dass es von der armen, verlassenen Frau heißer geliebt wurde

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