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zu erwecken. Gleich diese Berliner Zeit zwingt zu dieser chronologischen Betrachtungsweise. Schiff überarbeitete aus den »Contes de l'Atelier« von Michel Raymond, einer Kompagniefirma von vier literarischen Teilhabern, die nur allzu gerne gesellschaftliche Sümpfe aufdeckte und für Verbrechen und Hinrichtungen schwärmte, eine »Waise vom Tandel-Markt« (»Gesellschafter« 1832, Nr. 92–101), nach einer nicht eruierbaren französischen Vorlage die Selbstbiographie »Der redliche Josef« (in »Mußestunden«, herausgegeben von Friedrich Bertram; Berlin, Vereinsbuchhandlung 1832) nach Lewalds »Gonzales de la Mara« die Novelle »Der schwarze Manufrio« (»Gesellschafter« 1831, Nr. 72–79). Was er an frei erfundenen Novellen den Zeitschriftenlesern bot, unterschied sich nicht wesentlich von den von ihm so sehr verurteilten Almanachsnovellen. Ob es nun »Sittengemälde« (diese realistische Terminologie hatte sich Schiff rasch angeeignet) »Schwänke« oder »Episoden« waren [* Die Titel und genauen bibliographischen Angaben finden sich in dem an den Schluß gestellten »Verzeichnis der Werke Hermann Schiffs«] , immer sind es Augenblickswünschen des Publikums angepaßte, oft wie hingeschleudert anmutende novellistische Skizzen, die von einer Reform des Genres, wie man sie von Schiff erhoffte, nichts merken ließen. Er machte (diese Arbeiten erschienen sämtlich im »Gesellschafter« und im »Freimütigen«) offensichtlich den Bedürfnissen der Herausgeber und der Leser Zugeständnisse, wenn er derartige Nichtigkeiten publizierte. Anderes und Besseres wollte man in Journalen nicht; deshalb mußte sich Schiff, der auf den materiellen Ertrag seiner Schriftstellerei angewiesen war (was nur ein mildernder, kein entschuldigender Umstand ist), vielleicht sehr gegen seinen Willen Liebedienereien gegen das Publikum schuldig machen.

      Er vergaß darüber nicht, sich, wenn er nur konnte, nach seinen eigenen Neigungen literarisch auszuleben. Noch immer glühte in ihm die alte Hoffmannbegeisterung, jetzt vielleicht noch stärker als in der Zeit des »Katermurrnachlasses«. Als Fortsetzer Hoffmanns hatte er seinen ersten dichterischen Versuch gemacht; jetzt kam er auf dem Umwege über Frankreich unter der Führung Balzacs wieder zu Hoffmann zurück. Die kleinen Geschichtchen »Die Geistererscheinungen«, »Ein orientalisches Märchen«, die schon 1832 im »Gesellschafter« (Nr. 200) abgedruckte Episode »Der starke Bär« aus der erst 1838 erschienenen Märchennovelle »Gevatter Tod« u. a. zeigen die stärkste Beeinflussung Schiffs durch Hoffmann. Dagegen wird man in den Berliner Jahren eine Einwirkung anderer Romantiker nicht wahrnehmen können. Nur ganz äußerlich wurde er mit einem, nämlich mit Clemens Brentano, zusammengekoppelt, dessen »Drei Nüsse« mit einer Novelle Schiffs »Varinka oder die rote Schenke« zu einem Bande vereinigt wurden. Das war nur das Werk des Verlages, der Gubitz gehörigen Vereinsbuchhandlung, daß diese beiden »Volkserzählungen« aneinandergefügt wurden. Gubitz hatte Brentanos Novelle 1817 im »Gesellschafter « (Seite 521–523) zuerst veröffentlicht, und so mochte er sich jetzt für berechtigt halten, sie der zu wenig umfangreichen Erzählung Schiffs beibinden zu lassen. Unrichtig sind natürlich Heckschers Angaben (a. a. O. Seite 135), daß »Die drei Nüsse« unter Clemens Brentanos Namen erschienen seien, also Schiff zugehörten, und die Goedekes, der der Ansicht gewesen zu sein scheint, die beiden Novellen seien ein gemeinsames Werk Schiffs und Brentanos.

      »Varinka oder die rote Schenke« geht auf ein französisches Werk zurück: L´hermite en Russie par Dupré de St. Maure. In einer Übersetzung von A. Kaiser erschien dieses unter dem Titel: »Rußland, wie es ist.« (Zwei Bände, Leipzig, Rank, 1830.) In dem französischen Original finden sich zwei Novellen, die für russische Verhältnisse charakteristisch sein sollen. Sie sind keine Originaldichtungen des Franzosen; die eine, »Varinka«, ist eine Übersetzung einer Geschichte Meißners, die sich in dessen »Skizzen« findet. Das wußte Schiff nicht, der mit seiner Bearbeitung der französischen Vorlage eigentlich nur eine Rückübersetzung ins Deutsche lieferte. In den Voraussetzungen und ihrem Aufbau ist die Novelle ungewöhnlich geschickt. Ein sehr entschlossener, strenger russischer General hat eine schöne Tochter, Varinka, um die sich sein Adjutant Fedor bewirbt. Das Mädchen erwidert die Neigung und gestattet dem Geliebten, mit dem Vater zu sprechen. Nur darf er dabei nichts davon erwähnen, daß sie ihm gewogen sei. Sie ist eine durchaus verschlossene Natur geworden, und zwar durch den Einfluß einer englischen Erzieherin, die ihr nichts anderes predigte, als den Männern kalt und streng gegenüberzustehen. Fedor muß von dem General abgewiesen werden, und zwar deshalb, weil dieser das Mädchen schon vor vielen Jahren einem andern versprochen hat. Diese Abweisung empört Varinkas Stolz, sie ergibt sich Fedor, was von einem Kammerdiener dem General verraten wird. Dieser will in das Zimmer des Mädchens eindringen, wo sich gerade Fedor aufhält, der mühsam in einem schweren Kasten verborgen wird. Während der General lange die Zimmer untersucht und dann, da er nichts findet, eine halbe Stunde lang eine englische Abhandlung vorträgt, erstickt Fedor. Varinka und ihr Kammermädchen wissen sich keinen anderen Rat, als daß sie den Toten von dem Kutscher Peter fortschaffen lassen. Peter gilt als verschwiegen. Da er aber nach der Tat mit Geld sehr verschwenderisch umgeht, fällt das dem Kammerdiener auf, der ohnehin Verdacht hat, und er sucht, Peter zum Sprechen zu bewegen. Sie befinden sich einmal im roten Kabak (=Schenke), wo Peter wettet, er vermöge es, sein Fräulein zum Besuch der Schenke zu bewegen. Sie muß dies tatsächlich tun, da sie fürchtet, Peter könnte im Rausch verraten, daß sie eigentlich einen Mord (dessen sie sich selbst anklagt, übrigens fürchtet sie natürlich auch um ihren guten Ruf) verübt habe. Sie geht in die rote Schenke, bringt einen mit Opium vermischten Likör mit und gibt ihn den Anwesenden zu trinken; diese sinken in Schlaf, und dann zündet Varinka die Schenke an, wobei alle Anwesenden umkommen. Sie geht nach Hause, macht den Karneval lustig mit, aber in den Fasten erfaßt sie Reue, sie beichtet, und da der Pope ihr die Absolution nicht geben will, ist sie ganz verzweifelt. Durch diesen Popen kommt die Geschichte an den Tag; er verletzt das Beichtgeheimnis seiner Frau gegenüber (das Motiv aus Chamissos »Die Sonne bringt es an den Tag«), ihr Kind belauscht das Gespräch, und einmal in einer Kirche beschuldigt dieses Varinka, daß sie die rote Schenke habe anzünden lassen. Varinka geht in ein Kloster, wo sie büßt und bereut.

      Diese »Varinka«, mit ihren wilden und brutalen Effekten, bedeutet bereits eine starke Abkehr Schiffs von den Wegen der romantischen Poesie. Allerdings könnte man in der Heldin eine Gestalt sehen, die ein Abbild der bei den Romantikern so oft vorgeführten Amazonen ist. Denn die vor nichts zurückschreckende Grausamkeit und Kälte Varinkas macht sie einer Penthesilea und Wanda nicht unähnlich. Auch das slavische Milieu ergibt einen Anklang an romantische Vorbilder. Aber die ganze Entwicklung des Themas, vor allem die Hingabe der Heldin in freier Liebe, bekundet schon aufs stärkste, daß Schiff sich den Einwirkungen der Tendenzen des »jungen Deutschland« nicht ganz zu entziehen vermochte. Varinka stellt noch eine Mischung romantischer und jungdeutscher Dichtweise dar. (Der versöhnende Schluß, das Zurückziehen in ein Kloster, ist sicherlich wieder durchaus romantisch.) Zwischen diesen beiden Extremen pendelte Schiffs Novellistik jetzt immer hin und her. Ein 1835 erschienenes Bändchen, das fünf ungleichwertige und ungleichartige Erzählungen vereinigte, denen der Autor den gespreizten Titel »Novellen und Nichtnovellen« gab (er meinte unter den Nichtnovellen Märchen), offenbart dieses Schwanken aufs deutlichste. Rein romantische Märchen stehen neben einer brutalen Tendenznovelle. Wie von einem strahlenden Abendsonnenglanze übergoldet, grüßt aus diesem Band noch Schiffs letztes rein romantisches Gebilde, das feine, zarte Märchen »Der Kristall«, als sein warmer Abschied von der Dichtung seiner Jugend. In diesem Märchen zeigt er, wie ausgezeichnet er das Erbe der Romantiker hätte verwalten können, wenn ihm die Zeit und ihr Geschmack mehr entgegengekommen wären. Es ist eine einfache Liebesgeschichte zweier jungen Menschen, die sich wegen ihrer Armut nicht heiraten können. Die Eltern versprechen ihre Tochter einem reichen Jüngling. Das Mädchen träumt, eine Zauberin überbringe ihm einen Kristall, der ihm die Zukunft offenbare. Diese ist traurig genug; denn der verschmähte arme Geliebte werde es erschießen und sich dann selbst den Tod geben. Diesen Traum glaubt die Braut, wirklich erlebt zu haben, und es ist plastisch und glaubhaft dargestellt, wie sie sich in diese Phantasie immer mehr hineinredet, bis sie zugrunde geht. In diese Geschichte spielt das alte lukianische Thema von der vergessenen Entzauberungsformel ebenso wirksam hinein, wie in ein zweites Märchen, »Alban und Alba«, das Hoffmannsche Doppelgänger- und das Oberonmotiv von der Belohnung eines Liebespaares, das sich unbedingt die Treue hält und dem eine Gottheit dafür einen Talisman verleiht, der es aus schweren Gefahren befreit. »Alban und Alba« ist ebenfalls ein echtes und rechtes romantisches Produkt. Helden sind ein fahrendes Sängerpaar, das – wie Tiecks Sternbald, Dorothea Schlegels Florentin

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