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an; sie wollte sprechen, aber das Wort blieb ihr in der Kehle stecken. Michu entwich wie ein Schatten; er hatte Couraut an den Fuß seines Bettes angebunden, und das Tier begann verzweifelt zu heulen. Michus Zorn gegen Marion hatte ernste Gründe gehabt, aber er hatte sich gegen einen Mann gekehrt, der in seinen Augen viel verbrecherischer war, nämlich gegen Malin. Dessen Geheimnisse hatten sich vor den Blicken des Verwalters entschleiert, der mehr als irgendwer in der Lage war, das Benehmen des Staatsrats richtig einzuschätzen. Michus Schwiegervater hatte, politisch gesprochen, das Vertrauen Malins besessen, der durch Grevins Bemühungen zum Vertreter der Aube im Konvent ernannt worden war.

      Vielleicht ist es nicht grundlos, die Umstände zu erzählen, die die Simeuses und die Cinq-Cygnes mit Malin zusammengeführt hatten und die auf dem Schicksal der beiden Zwillinge und des Fräuleins von Cinq-Cygne lasteten, aber noch mehr auf dem Marthas und Michus. In Troyes lag das Hotel Cinq-Cygne dem Hotel Simeuse gegenüber. Als der von ebenso kundigen wie vorsichtigen Händen entfesselte Pöbel das Hotel Simeuse geplündert hatte, wurden der Marquis und die Marquise entdeckt, die des Einverständnisses mit den Feinden beschuldigt waren, und den Nationalgarden überliefert, die sie ins Gefängnis abführten. Da schrie die Menge folgerichtig: »Zu den Cinq-Cygnes!« Sie konnte sich nicht denken, dass die Cinq-Cygnes an dem Verbrechen der Simeuses unbeteiligt waren. Der würdige und mutige Marquis von Simeuse hatte ein paar Augenblicke vor dem Sturm seine beiden achtzehnjährigen Söhne, die sich durch ihren Mut bloßstellen konnten, ihrer Tante, der Gräfin Cinq-Cygne, anvertraut. Zwei dem Hause Simeuse ergebene Diener hielten die jungen Leute eingesperrt. Der Greis, der nicht wollte, dass sein Name erlosch, hatte angeordnet, seinen Söhnen im Fall des äußersten Unglücks alles zu verbergen.

      Laurence, damals zwölf Jahre alt, wurde von beiden Brüdern gleich geliebt und liebte sie ebenso. Wie viele Zwillinge, glichen die beiden Simeuses sich derart, dass ihre Mutter ihnen lange Zeit Kleider von verschiedener Farbe gab, um sie zu unterscheiden. Der Erstgeborene hieß Paul Maria, der zweite Maria Paul. Laurence von Cinq-Cygne, der das Geheimnis der Lage anvertraut war, spielte ihre Frauenrolle sehr gut. Sie flehte ihre Vettern an, machte sie nachgiebig und bewachte sie, bis der Pöbel das Haus Cinq-Cygne umringte. Nun begriffen beide Brüder die Gefahr augenblicklich und sagten es sich durch einen Blick. Ihr Entschluss stand sofort fest; sie bewaffneten ihre beiden Diener, die der Gräfin Cinq-Cygne, verrammelten die Tür, schlossen die Fensterläden und stellten sich dann mit fünf Dienern und dem Abbé von Hauteserre, einem Verwandten der Cinq-Cygnes, an den Fenstern auf. Die acht mutigen Kämpfer eröffneten ein mörderisches Feuer auf die Volksmasse. Jeder Schuss tötete oder verwundete einen Angreifer. Laurence verzweifelte nicht, sie lud die Gewehre mit äußerster Kaltblütigkeit und versah die Schützen mit Kugeln und Pulver. Die Gräfin Cinq-Cygne war in die Knie gesunken.

      »Was tust du, Mutter?« fragte Laurence.

      »Ich bete,« entgegnete sie, »für sie wie für euch.«

      Im Nu waren elf Personen getötet und lagen zwischen den Verwundeten am Boden. Derartige Ereignisse kühlen den Pöbel ab oder steigern seine Wut; er verbeißt sich in sein Vorhaben oder gibt es auf. Die Vordersten wichen entsetzt zurück, aber die ganze Masse, die morden und rauben wollte, schrie beim Anblick der Toten: »Schlagt sie tot! Schlagt sie tot!«

      Die vorsichtigen Leute gingen den Volksvertreter holen. Die beiden Brüder, die nun von den schicksalsvollen Ereignissen des Tages erfuhren, schöpften Verdacht, das Konventsmitglied wollte den Untergang ihres Hauses, und dieser Verdacht ward alsbald zur Gewissheit. Von Rachedurst getrieben, stellten sie sich in die Toreinfahrt und luden ihre Gewehre, um Malin im Augenblick seines Erscheinens zu töten. Die Gräfin hatte den Kopf verloren. Sie sah ihr Haus in Asche und ihre Tochter ermordet. Sie schalt ihre Verwandte für die heldenhafte Verteidigung, die Frankreich acht Tage lang beschäftigte. Laurence öffnete die Tür ein wenig, als Malin sie dazu aufforderte. Bei ihrem Anblick verließ sich der Volksvertreter auf seine gefürchtete Eigenschaft, auf die Schwäche des Kindes und trat ein.

      »Wie, mein Herr,« antwortete sie auf seine ersten Worte, als er Rechenschaft über diesen Widerstand forderte, »Sie wollen Frankreich die Freiheit geben, und Sie schützen die Leute nicht im eignen Hause! Man will unser Haus zerstören, uns ermorden, und wir sollten nicht mal das Recht haben, Gewalt mit Gewalt zurückzuweisen!...«

      Malin stand wie angenagelt.

      »Sie, der Enkel eines Maurers, den der große Marquis beim Bau seines Schlosses beschäftigt hat,« sagte Maria Paul zu ihm, »Sie dulden, dass unser Vater ins Gefängnis geschleppt wird, und hören auf eine Verleumdung!«

      »Er wird in Freiheit gesetzt werden«, sagte Malin, der sich für verloren hielt, als er sah, wie die beiden jungen Leute krampfhaft ihre Gewehre schwenkten.

      »Diesem Versprechen verdanken Sie Ihr Leben«, sagte Maria Paul feierlich. »Aber wird es nicht heute Abend erfüllt, so werden wir Sie zu finden wissen!« »Was diesen brüllenden Pöbel betrifft,« sagte Laurence, »so schicken Sie ihn fort, oder der erste Schuss trifft Sie... Nun, Herr Malin, gehen Sie hinaus!«

      Das Konventsmitglied ging hinaus und hielt eine Ansprache an die Menge. Er sprach von der Heiligkeit des Herdes, vom Habeas corpus und dem englischen Hausrecht. Er sagte, das Gesetz und das Volk seien souverän, das Gesetz sei das Volk und das Volk dürfe nur durch das Gesetz handeln; das Gesetz müsse gewahrt bleiben. Das Gesetz der Notwendigkeit machte ihn beredt; er zerstreute den Auflauf. Aber nie vergaß er den Ausdruck der Verachtung im Gesicht der beiden Brüder, noch das »Gehen Sie hinaus« des Fräuleins von Cinq-Cygne. Als daher die Rede davon war, die Güter des Grafen von Cinq-Cygne als Nationalgut zu verkaufen, wurde die Aufteilung streng durchgeführt. Die Kreiskommission ließ Laurence nichts als das Schloss, den Park und den Pachthof Cinq-Cygne. Nach Malins Anweisung hatte Laurence nur Anspruch auf ihr Pflichtteil, denn an Stelle des Emigranten trat die Nation, zumal wenn er die Waffen gegen die Republik trug.

      Am Abend nach diesem furchtbaren Sturm flehte Laurence ihre beiden Vettern so heftig an, das Weite zu suchen, denn sie fürchtete für sie irgendeinen Verrat und die Fallstricke des Volksvertreters, – dass sie zu Pferde stiegen und zu den Vorposten der preußischen Armee stießen. In dem Augenblick, als die beiden Brüder den Wald von Gondreville erreichten, wurde das Haus Cinq-Cygne umstellt; der Volksvertreter kam selbst mit bewaffneter Macht, um die Erben des Hauses Simeuse zu verhaften. An die Gräfin Cinq-Cygne, die damals mit furchtbarem Nervenfieber zu Bette lag, wagte er sich nicht heran, ebensowenig an Laurence, ein Kind von zwölf Jahren. Die Diener waren aus Angst vor der Strenge der Republik verschwunden. Am nächsten Morgen verbreitete sich in der Gegend die Kunde von dem Widerstand der beiden Brüder und ihrer Flucht nach Preußen, wie es hieß. Vor dem Haus Cinq-Cygne entstand eine Zusammenrottung von dreitausend Menschen, und es ward mit unerklärlicher Geschwindigkeit zerstört. Frau von Cinq-Cygne, die ins Haus Simeuse gebracht ward, starb dort in einem verstärkten Fieberanfall.

      Michu hatte erst nach diesen Ereignissen den politischen Schauplatz betreten, denn der Marquis und die Marquise blieben ungefähr fünf Monate im Gefängnis. In dieser Zeit erhielt der Volksvertreter der Aube eine Mission. Als jedoch Marion Gondreville an Malin verkaufte, als die ganze Gegend die Wirkungen der Volksgärung vergessen hatte, begriff Michu den ganzen Malin oder glaubte ihn doch zu begreifen, denn Malin gehört wie Fouché zu den Personen, die so viele Gesichter, und unter jedem Gesicht so viel Tiefe haben, dass sie im Augenblick ihres Spiels undurchdringlich sind und erst lange nachher erklärt werden können. Bei den großen Gelegenheiten seines Lebens unterließ Malin nie, seinen treuen Freund Grévin, den Notar in Arcis, zu Rate zu ziehen, denn sein Urteil über Dinge und Menschen war aus der Ferne scharf, klar und bestimmt. Diese Gewohnheit ist die Klugheit und Stärke der Menschen zweiten Ranges. Nun lagen die Dinge im November 1803 für den Staatsrat so ernst, dass ein Brief beide Freunde bloßgestellt hätte. Malin, der zum Senator ernannt werden sollte, fürchtete eine Auseinandersetzung in Paris. Er verließ sein Haus und reiste nach Gondreville, wobei er dem Ersten Konsul nur einen einzigen von den Gründen angab, aus denen ihm seine Reise erwünscht war, einen Grund, der ihm in Bonapartes Augen das Ansehen von Eifer gab, während es sich doch nicht um den Staat, sondern um ihn selbst handelte. Als nun Michu im Park nach Art der Wilden auf einen günstigen Augenblick für seine Rache lauerte, führte der politische Malin, der gewöhnt war, alle Ereignisse zu seinen Gunsten auszubeuten, seinen Freund nach einer

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