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war nicht der einzige, der Furcht vor ihm einflößte. Ein paar Monate nach jenem Auftritt kam der Bürger Marion mit dem Bürger Malin nach Gondreville. Es ging das Gerücht, Marion wollte das Gut an diesen Mann verkaufen, der durch die politischen Ereignisse vorwärts gekommen war; denn der Erste Konsul hatte ihn soeben zum Lohn für seine Dienste am 18. Brumaire in den Staatsrat berufen. Die politischen Köpfe des Städtchens Arcis errieten nun, dass Marion nur der Strohmann des Bürgers Malin und nicht der Herren von Simeuse gewesen war. Der allmächtige Staatsrat war die größte Persönlichkeit in Arcis. Er hatte einen seiner politischen Freunde zum Präfekten von Troyes gemacht, hatte den Sohn eines Pächters von Gondreville, namens Beauvisage, vom Militärdienst befreit und erwies jedermann Dienste. Diese Sache konnte also in der Gegend, in der Malin herrschte und noch herrscht, nicht auf Widerspruch stoßen. Man stand im Morgenrot des Kaiserreichs. Wer heute die Geschichte der französischen Revolution liest, wird nie begreifen, welch ungeheurer Abstand für das öffentliche Denken in den so dicht aufeinanderfolgenden Ereignissen jener Zeit lag. Bei dem allgemeinen Bedürfnis nach Ruhe und Frieden, das man nach so heftigen Erschütterungen empfand, gerieten die schwersten früheren Ereignisse in Vergessenheit. Die Geschichte veraltete rasch. So forschte denn niemand außer Michu nach der Vorgeschichte dieser Sache, die man ganz einfach fand. Marion hatte Gondreville seinerzeit für sechshunderttausend Franken in Assignaten gekauft und verkaufte es jetzt für eine Million in Talern, aber das einzige, was Malin bezahlte, war die Verkaufssteuer. Grevin, ein Kollege Malins, begünstigte diese Schiebung natürlich, und der Staatsrat belohnte ihn durch die Ernennung zum Notar in Arcis. Als diese Nachricht nach dem Pavillon gelangte, und zwar durch den Pächter eines Vorwerks Grouage, das zwischen dem Park und dem Walde, links von der schönen Allee, lag, erbleichte Michu und ging hinaus. Er lauerte Marion auf und traf ihn schließlich allein in einer Allee des Parks.

      »Der Herr verkauft Gondreville?«

      »Ja, Michu, ja. Sie bekommen einen mächtigen Mann zum Herrn. Der Staatsrat ist ein Freund des Ersten Konsuls und hat die engsten Beziehungen zu allen Ministern. Er wird Sie protegieren.«

      »So hatten Sie das Gut für ihn erworben?«

      »Das sage ich nicht«, entgegnete Marion. »Ich wusste damals nicht, wie ich mein Geld anlegen sollte. Der Sicherheit halber habe ich es in Nationalgütern angelegt, aber es passt mir nicht, ein Gut zu behalten, das der Familie gehört, in der mein Vater...«

      »Bedienter, Verwalter war«, sagte Michu heftig.

      »Aber Sie werden es nicht verkaufen. Ich will es haben, und ich kann es bezahlen.

      »Du?«

      »Jawohl, ich, im Ernst und in gutem Gold, achthunderttausend Franken...«

      »Achthunderttausend Franken? ... Wo hast du die her?« fragte Marion.

      »Das ist meine Sache«, entgegnete Michu. Dann mäßigte er sich und setzte leiser hinzu: »Mein Schwiegervater hat viele Menschen gerettet.«

      »Du kommst zu spät, Michu, die Sache ist abgeschlossen.«

      »Sie werden es rückgängig machen!« rief der Verwalter, indem er die Hand seines Herrn ergriff und sie wie in einem Schraubstock presste. »Ich bin verhasst, ich will reich und mächtig werden, ich muss Gondreville haben. Wissen Sie, mir liegt nichts am Leben. Sie werden mir das Gut verkaufen, oder ich schieße Sie nieder ...«

      »Aber ich muss doch wenigstens Zeit haben, mich mit Malin zu einigen. Er ist nicht bequem ...«

      »Ich gebe Ihnen vierundzwanzig Stunden Zeit. Wenn Sie ein Wort davon sagen, so schneide ich Ihnen den Kopf ab wie eine Rübe ...«

      Marion und Malin verließen das Schloss noch in der Nacht. Marion hatte Angst und teilte dem Staatsrat jene Begegnung mit, mit der Bitte, ein Auge auf den Verwalter zu haben. Marion vermochte sich der Verpflichtung nicht zu entziehen, das Gut an den abzutreten, der es ihm wirklich bezahlt hatte, aber Michu schien nicht der Mann, einen solchen Grund einzusehen und gelten zu lassen. Zudem musste der Dienst, den Marion dem Malin erwies, ihm und seinem Bruder die politische Laufbahn eröffnen, und so geschah es auch. Malin ließ den Advokaten Marion 1806 zum Präsidenten eines kaiserlichen Gerichtshofes ernennen, und sobald Generalsteuereinnehmer eingesetzt wurden, verschaffte er dem Bruder des Advokaten diesen Posten im Departement Aube.

      Der Staatsrat empfahl Marion, in Paris zu bleiben, und erstattete Anzeige beim Polizeiminister, der den Verwalter überwachen ließ. Um Michu jedoch nicht zum Äußersten zu treiben, vielleicht auch, um ihn besser zu überwachen, behielt Malin ihn als Verwalter unter der Zuchtrute des Notars in Arcis. Fortan genoss Michu, der immer schweigsamer und nachdenklicher wurde, den Ruf eines Mannes, der zu einem schlimmen Streich fähig war. Als Staatsrat, eine Stellung, die der Erste Konsul damals der eines Ministers gleichstellte, und als einer der Verfasser des Gesetzbuches spielte Malin damals in Paris eine große Rolle. Er hatte sich eins der schönsten Häuser im Faubourg Saint-Germain gekauft und vorher die einzige Tochter eines reichen, wenig geachteten Lieferanten, namens Sebuelle, geheiratet, den er neben Marion zum Generalsteuereinnehmer im Departement Aube gemacht hatte. So war er denn nur ein einziges Mal nach Gondreville gekommen. Im übrigen verließ er sich bei allem, was seine Geschäfte betraf, auf Grevin. Was hatte er, der einstige Abgeordnete der Aube, auch von dem früheren Vorsitzenden eines Jakobinerklubs zu befürchten?

      Inzwischen wurde die Meinung über Michu, die in den unteren Volksklassen schon so ungünstig war, natürlich vom Bürgertum geteilt, und Marion, Grévin und Malin bezeichneten ihn, ohne nähere Angaben und ohne sich bloßzustellen, als einen äußerst gefährlichen Menschen. Auch die Behörden, die vom Polizeiminister beauftragt waren, den Verwalter zu überwachen, entkräfteten diesen Glauben nicht. Man wunderte sich in der Gegend schließlich, dass Michu seine Stellung behielt, aber man schrieb dies Zugeständnis der Angst zu, die er einflößte. Wer verstände nun nicht die tiefe Schwermut, mit der Michus Frau gen Himmel blickte?

      Martha war von ihrer Mutter fromm erzogen worden. Als gute Katholikinnen hatten beide unter den Ansichten und dem Benehmen des Gerbers gelitten. Martha entsann sich nie ohne Erröten, wie sie im Gewand einer Göttin durch Troyes geführt worden war. Ihr Vater hatte sie zur Ehe mit Michu gezwungen, dessen Ruf immer schlechter wurde, und den sie zu sehr fürchtete, um ein Urteil über ihn zu haben. Trotzdem fühlte diese Frau sich geliebt, und im Grunde ihres Herzens hegte sie für den furchtbaren Mann die echteste Zuneigung. Nie hatte sie gesehen, dass er etwas Unrechtes tat; nie waren seine Worte brutal, wenigstens gegen sie nicht; er bemühte sich, alle ihre Wünsche zu erraten. Der arme Paria glaubte seiner Frau zu missfallen, und darum blieb er fast stets außer dem Hause. So lebten Michu und Martha in gegenseitigem Misstrauen, sozusagen im »bewaffneten Frieden«. Martha sah keinen Menschen und litt schwer unter der Missachtung, die sie seit sieben Jahren als Tochter eines Kopfabschneiders und ihr Gatte als Verräter erfuhr. Mehr als einmal hatte sie gehört, wie die Leute aus dem Pachthof rechts von der Allee in der Ebene – er hieß Bellache und wurde von Beauvisage bewirtschaftet, einem Manne, der an den Simeuses hing –, wenn sie am Pavillon vorbeikamen, sagten: »Da wohnen die Judasse.«

      Diesen gehässigen Beinamen hatte der Verwalter in der ganzen Gegend. Er verdankte ihn seiner eigentümlichen Ähnlichkeit mit dem Kopfe des zwölften Apostels, die er noch vergrößern zu wollen schien. Dies Unglück also und eine unbestimmte dauernde Angst vor der Zukunft machten Martha nachdenklich und in sich gekehrt. Nichts betrübt ja tiefer als unverdiente Herabsetzung, aus der man sich nicht emporraffen kann.

      »Franz!« rief der Verwalter, um seinen Sohn noch besonders zur Eile anzuspornen.

      Franz Michu, ein zehnjähriger Knabe, tummelte sich in Park und Wald und erhob selbstherrlich seine kleinen Steuern. Er aß Früchte, jagte, hatte weder Sorgen noch Mühen; er war der einzige Glückliche in dieser Familie, die durch ihren Wohnsitz zwischen Park und Wald vereinsamt war, wie sie es geistig durch die allgemeine Abneigung war.

      »Hebe mir das alles auf, was da liegt,« gebot der Vater, auf die Brüstung weisend, »und schließe es ein. Sieh mich an! Du sollst deinen Vater und deine Mutter lieben.«

      Der Knabe wollte sich seinem Vater in die Arme werfen, aber Michu machte eine Bewegung, um die Büchse beiseite zu stellen, und wies ihn zurück. »Schon gut! Du hast bisweilen über

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