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kein Beobachter, beim Anblick ihres sanften Ausdrucks und ihrer Gesichtsform, deren Profil eine entfernte Ähnlichkeit mit dem Kopf eines Schafes hatte. Diese übermäßige, wenn auch vornehme Sanftheit schien bis zur Blödigkeit eines Lammes zu gehen. »Ich sehe aus wie ein träumendes Schaf«, sagte sie bisweilen lächelnd. Laurence, die wenig sprach, schien nicht sowohl nachdenklich als verschlafen. Entstand jedoch eine ernste Lage, so offenbarte sich sofort die verborgene Judith und sie wurde erhaben, und an solchen Lagen hatte es ihr leider nicht gefehlt.

      Mit dreizehn Jahren stand Laurence nach den schon bekannten Ereignissen als Waise auf der Stätte, an der sich tags zuvor in Troyes eines der eigenartigsten Häuser im Baustil des sechzehnten Jahrhunderts erhoben hatte: das Hotel Cinq-Cygne. Herr von Hauteserre, einer ihrer Verwandten, der ihr Vormund geworden war, brachte die Erbin sofort aufs Land. Dieser wackere Provinzedelmann, durch den Tod seines Bruders, des Abbé von Hauteserre, erschreckt, den eine Kugel in dem Augenblick auf dem Platze traf, als er sich in Bauerntracht retten wollte, war nicht imstande, die Sache seines Mündels zu verteidigen. Er hatte zwei Söhne im Heere der Prinzen, und täglich glaubte er beim geringsten Geräusch, die Munizipalgardisten von Arcis kämen, ihn zu verhaften. Stolz, eine Belagerung bestanden zu haben und die historische weiße Hautfarbe ihrer Vorfahren zu besitzen, verachtete Laurence diese kluge Feigheit des vom Sturm der Zeit gebeugten Greises; sie dachte nur daran, sich hervorzutun. So hängte sie in ihrem armseligen Salon in Cinq-Cygne dreist das Bild der Charlotte Corday auf, mit geflochtenen Eichenzweigen bekränzt. Durch einen besonderen Boten stand sie mit den Zwillingen in Briefwechsel, trotz dem Gesetz, das sie mit dem Tode bestraft hätte. Der Bote, der gleichfalls sein Leben aufs Spiel setzte, brachte die Antworten zurück. Seit den Katastrophen in Troyes lebte Laurence nur noch für den Triumph der königlichen Sache. Nachdem sie Herrn und Frau von Hauteserre richtig eingeschätzt und ihren braven, aber kraftlosen Charakter erkannt hatte, stellte sie sich außerhalb der Gesetze ihrer Sphäre. Laurence besaß zuviel Geist und wirkliche Nachsicht, um ihnen wegen ihres Charakters zu grollen. Sie war gut, liebenswürdig, herzlich gegen sie, gab ihnen aber keins ihrer Geheimnisse preis. Nichts verschließt die Seele so sehr wie beständige Verstellung im Schoß einer Familie. Als Laurence großjährig wurde, überließ sie die Verwaltung ihrer Geschäfte dem guten Hauteserre wie zuvor. Wenn ihre Lieblingsstute gut geputzt, wenn ihre Zofe Katharina nach ihrem Geschmack gekleidet und ihr kleiner Diener Gotthard anständig angezogen war, fragte sie wenig nach dem übrigen, ihr Denken richtete sich auf ein zu hohes Ziel, als dass sie sich zu Beschäftigungen herabließ, die ihr zu anderen Zeiten gewiss gefallen hätten. Die Kleidung bedeutete wenig für sie; zudem waren ihre Vettern ja nicht da. Laurence hatte ein flaschengrünes Reitkleid zum Ausreiten, ein ärmelloses Kleid aus gewöhnlichem Wollstoff mit Schnüren, um zu Fuß auszugehen, und ein seidenes Morgenkleid fürs Haus. Gotthard, ihr kleiner Stallknecht, ein gewandter, kecker Bursche von fünfzehn Jahren, begleitete sie, denn sie war fast stets draußen und jagte auf allen Feldern von Gondreville, ohne dass die Pächter, noch Michu etwas dagegen hatten. Sie ritt ausgezeichnet und war eine wunderbar geschickte Jägerin. In der Gegend hieß sie nur das Fräulein, selbst während der Revolution.

      Wer den schönen Roman »Rob Roy« gelesen hat, wird sich eines der seltnen Frauencharaktere erinnern, bei deren Schilderung Walter Scott seine gewohnte Kälte abgelegt hat, nämlich Diana Vernon. Diese Erinnerung kann zum Verständnis Laurences dienen, wenn man zu den Eigenschaften der schottischen Jägerin die verhaltene Begeisterung der Charlotte Corday hinzufügt, aber die liebenswürdige Lebhaftigkeit fortlässt, die Diana so anziehend macht. Die junge Gräfin hatte ihre Mutter sterben, den Abbe von Hauteserre fallen, den Marquis und die Marquise von Simeuse auf dem Schafott enden sehen. Ihr einziger Bruder war seinen Wunden erlegen; ihre beiden Vettern, die in der Armee Condés dienten, konnten jeden Augenblick fallen; schließlich war das Vermögen der Simeuses und der Cinq-Cygnes von der Republik verschlungen worden, ohne der Republik zu nützen. Ihr Ernst, der in anscheinende Stumpfheit ausgeartet war, wird jetzt begreiflich.

      Herr von Hauteserre zeigte sich übrigens als Vormund höchst ehrlich und einsichtig. Unter seiner Verwaltung nahm Cinq-Cygne die Gestalt eines Pachthofes an. Der Biedermann, der weit weniger einem Ritter als einen tüchtigen Landwirt glich, hatte den Park und die Gärten, die etwa zweihundert Morgen umfassten, nutzbringend verwertet. Sie lieferten ihm Futter für die Pferde, Nahrung für die Leute und Brennholz. Dank strengster Sparsamkeit hatte die Gräfin, als sie großjährig wurde, durch Anlage der Einkünfte in Staatspapieren bereits ein hinreichendes Vermögen erlangt. Im Jahre 1798 besaß die Erbin 20 000 Franken in Staatsrenten, deren Zinsen freilich ausstanden, und 12 000 Franken in Cinq-Cygne, dessen Pachtverträge unter beträchtlichen Steigungen erneuert waren. Herr und Frau von Hauteserre hatten sich mit einer Leihrente von 3000 Franken aus der Gesellschaft Lafarge aufs Land zurückgezogen. Diese Trümmer ihres Vermögens erlaubten ihnen nicht, anderswo als in Cinq-Cygne zu leben. Und so war es auch das erste, was Laurence tat, dass sie ihnen den Pavillon, in dem sie wohnten, auf Lebenszeit überließ. Die Hauteserres waren für ihr Mündel ebenso sparsam geworden wie für sich selbst. Sie legten jedes Jahr ihre tausend Taler in dem Gedanken an ihre Söhne zurück und gaben der Erbin eine dürftige Kost. Die Gesamtausgaben von Cinq-Cygne betrugen jährlich nicht mehr als 5000 Franken. Aber Laurence, die sich um Einzelheiten nicht kümmerte, fand alles gut. Der Vormund und seine Frau standen unvermerkt unter der Herrschaft dieses Charakters, der sich in den kleinsten Dingen geltend machte, und sie waren schließlich dahin gelangt, das junge Mädchen, das sie von klein auf kannten, zu bewundern, ein ziemlich seltnes Gefühl. Aber Laurence hatte in ihrem Wesen, in ihren Kehllauten, ihrem gebieterischen Blick jenes Etwas, jene unerklärliche Macht, die stets imponiert, selbst wenn sie nur scheinbar ist, denn für Dummköpfe gleicht die Leere der Tiefe. Für den großen Haufen ist Tiefe unverständlich. Daher kommt vielleicht die Bewunderung des Volkes für alles, was es nicht versteht.

      Herr und Frau von Hauteserre, denen das gewohnte Schweigen der jungen Gräfin und ihr ungeselliges Wesen tiefen Eindruck machte, lebten stets in der Erwartung von etwas Großem. Da Laurence mit klugem Sinn Gutes tat und sich nicht täuschen ließ, gewann sie sich große Achtung bei den Bauern, obwohl sie Aristokratin war. Ihr Geschlecht, ihr Name, ihr Unglück, ihr eigenartiges Leben, alles trug dazu bei, ihr Ansehen bei den Bewohnern des Tales von Cinq-Cygne zu verschaffen. Bisweilen ritt sie, von Gotthard begleitet, für ein bis zwei Tage fort, und bei ihrer Rückkehr fragten die Hauteserres sie nie nach den Gründen ihrer Abwesenheit. Bemerkenswert ist, dass Laurence nichts Wunderliches an sich hatte. Die Virago verbarg sich unter der anscheinend weiblichsten und schwächsten Form. Ihr Herz war von äußerster Empfindsamkeit, aber im Kopfe trug sie männliche Entschlossenheit und stoische Festigkeit. Ihre klarblickenden Augen konnten nicht weinen. Wenn man ihr weißes, zartes Handgelenk mit dem blauen Geäder sah, so hätte niemand geglaubt, dass sie es mit dem des stärksten Reiters aufnehmen konnte. Ihre so weiche, so schlaffe Hand handhabte eine Pistole, eine Flinte mit der Kraft eines geübten Jägers. Draußen trug sie nie eine andre Frisur, als die Frauen sie beim Reiten tragen, dazu ein kokettes Biberhütchen mit herabgelassenem grünen Schleier, und so hatte ihr zartes Gesicht, ihr weißer Hals, um den sich eine schwarze Krawatte schlang, von ihren Ritten in der frischen Luft nie gelitten.

      Unter dem Direktorium und zu Beginn des Konsulats hatte Laurence sich derart aufführen können, ohne dass jemand sich um sie kümmerte, aber seit es wieder eine geregelte Regierung gab, versuchten die neuen Behörden, der Präfekt des Departements Aube, Malins Freunde und dieser selbst, sie in Missachtung zu bringen. Laurence dachte nur an den Sturz Bonapartes, dessen Ehrgeiz und Triumph eine Art Wut bei ihr erregt hatten, aber eine kalte, berechnete Wut. Als heimliche, unbekannte Feindin des ruhmbedeckten Mannes zielte sie aus der Tiefe ihres Tales und ihrer Wälder mit furchtbarer Starrheit auf ihn. Bisweilen wollte sie hingehen und ihn in der Gegend von Saint-Cloud oder Malmaison ermorden. Die Ausführung dieses Anschlages hätte bereits die Übungen und Gewohnheiten ihres Lebens erklärt, aber da sie seit dem Bruch des Friedens von Amiens in die Verschwörung der Männer eingeweiht war, die den 18. Brumaire gegen den Ersten Konsul umkehren wollten, hatte sie seitdem ihre Kraft und ihren Hass dem weitverzweigten und sehr gut geleiteten Plan gewidmet, der Bonaparte von außen her durch die große Koalition Russlands, Österreichs und Preußens treffen sollte, die er als Kaiser bei Austerlitz besiegte, und im Innern durch die Koalition der verschiedenartigsten Elemente, die ein gemeinsamer Hass verband und von denen manche wie Laurence auf den Tod dieses Mannes sannen, ohne vor dem Worte Mord zurückzuschrecken.

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