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Mädchen war also in jenem Augenblick der treue und sichre Führer der Edelleute, die aus Deutschland kamen, um an diesem ersten Angriff teilzunehmen. Fouché fußte auf dieser Mitwirkung der Emigranten jenseits des Rheins, um den Herzog von Enghien in das Komplott zu verwickeln. Die Anwesenheit dieses Prinzen auf badischem Gebiet unweit von Straßburg gab später solchen Annahmen Gewicht. Die große Frage, ob der Herzog wirklich Kenntnis von dem Unternehmen hatte, ob er nach dessen Gelingen nach Frankreich zurückkehren sollte, gehört zu den Geheimnissen, über welche die Prinzen des Hauses Bourbon wie über einige andre tiefstes Schweigen bewahrt haben. In dem Maße, wie die Geschichte jener Zeit verblasst, werden unparteiische Geschichtsschreiber es zum mindesten unvorsichtig finden, dass der Herzog sich der Grenze in einem Augenblick näherte, wo eine riesige Verschwörung ausbrechen sollte, um deren Geheimnis die ganze königliche Familie sicherlich wusste. Die Vorsicht, die Malin bei seiner Unterredung im Freien mit Grevin angewandt hatte, übte das junge Mädchen bei ihren geringsten Beziehungen. Sie empfing die Sendboten und besprach sich mit ihnen an verschiedenen Rändern des Waldes von Nodesme oder jenseits des Tals von Cinq-Cygne, zwischen Sezanne und Brienne. Oft ritt sie mit Gotthard in einem Zuge fünfzehn französische Meilen weit, und wenn sie nach Cinq-Cygne zurückkehrte, merkte man ihrem frischen Gesicht keine Spur von Ermüdung oder Sorge an. Sie hatte im Gesicht dieses kleinen Kuhhirten, der damals neun Jahre alt war, die naive Bewunderung bemerkt, die Kinder für das Außergewöhnliche hegen, nahm ihn zum Stallknecht und brachte ihm bei, die Pferde mit englischer Sorgfalt und Aufmerksamkeit zu pflegen. Sie erkannte seinen Wunsch, alles gut zu machen, Verstand und das Fehlen jeder Berechnung. Sie stellte seine Treue auf die Probe und fand bei ihm nicht nur Gescheitheit, sondern auch Adel: an Lohn dachte er nicht. Sie pflegte diese noch so junge Seele und war gut zu ihm, gut mit einem Zuge zur Größe. Sie fesselte ihn an sich, indem sie sich an ihn fesselte, seinen halbwilden Charakter selbst schliff, ohne ihm seine Frische und Schlichtheit zu nehmen. Als sie seine fast hündische Treue, die sie gezüchtet, hinreichend erprobt hatte, wurde Gotthard ihr listiger und harmloser Mitschuldiger. Der Bauernjunge, den niemand in Verdacht haben konnte, ritt von Cinq-Cygne bis Nancy und kehrte manchmal zurück, ohne dass jemand wusste, dass er die Gegend verlassen hatte. Alle Listen der Spione waren ihm geläufig. Das außerordentliche Misstrauen, das seine Herrin ihm eingeimpft hatte, veränderte seine Wesensart in keiner Weise. Gotthard, der zugleich die weibliche Verschlagenheit, die Offenheit eines Kindes und die stets rege Aufmerksamkeit der Verschwörer besaß, verbarg diese wunderbaren Eigenschaften unter der tiefen Unwissenheit und Gleichgültigkeit der Landbewohner. Dieser Bursche schien albern, linkisch und schwach; war er aber einmal am Werke, so war er behänd wie ein Fisch und entschlüpfte wie ein Aal. Er verstand wie ein Hund jeden Blick, witterte den Gedanken. Sein gutes, grobes, rundes und rotes Gesicht, seine schläfrigen braunen Augen, seine nach Bauernart geschnittenen Haare, seine Kleidung, sein fast zurückgebliebenes Wachstum gaben ihm das Aussehen eines zehnjährigen Knaben. Unter dem Schutz ihrer Base, die von Straßburg bis Bar-sur-Aube über sie wachte, kamen die Herren von Hauteserre und von Simeuse in Begleitung mehrerer andrer Emigrierter durch Elsass-Lothringen und die Champagne, während andre, nicht weniger mutige Verschwörer an den Steilufern der Normandie in Frankreich landeten. Als Arbeiter gekleidet, waren die Hauteserres und die Simeuses von Wald zu Wald gezogen, von Ort zu Ort durch Leute geführt, die Laurence seit drei Monaten in jedem Departement unter den Königstreusten und am wenigsten Verdächtigen ausgesucht hatte. Die Emigranten schliefen bei Tage und wanderten bei Nacht. Jeder von ihnen brachte zwei ergebene Soldaten mit, deren einer auf Kundschaft vorausging, während der andere zurückblieb, um im Fall eines Unglücks den Rückzug zu decken. Dank diesen militärischen Vorsichtsmaßregeln hatte das wertvolle Häuflein ungefährdet den Wald von Nodesme erreicht, der zum Treffpunkt bestimmt war. Siebenundzwanzig andere Edelleute kamen aus der Schweiz und durch Burgund; sie wurden unter gleichen Vorsichtsmaßregeln nach Paris geleitet. Herr von Rivière zählte auf fünfhundert Leute, darunter hundert junge Edelleute, die Offiziere dieser heiligen Schar. Die Herren von Rivière und von Polignac, deren Benehmen als Führer äußerst bemerkenswert war, wahrten unverbrüchliches Schweigen über alle diese Mitverschworenen, und so wurden sie nicht entdeckt. Daher kann man heute in Übereinstimmung mit den während der Restaurationszeit erfolgten Enthüllungen sagen, dass Bonaparte den Umfang der Gefahren, in denen er damals schwebte, so wenig kannte wie England die Gefahr, in die es durch das Lager von Boulogne gebracht ward; und doch wurde die Polizei zu keiner Zeit geistvoller und geschickter geleitet.

      In dem Augenblick, da unsre Geschichte beginnt, machte ein Feigling, wie es deren stets bei allen Verschwörungen gibt, die nicht auf eine kleine Zahl gleich starker Männer beschränkt werden, ein Verschworener, der mit dem Tode bedroht wurde, Angaben über das Ziel des Unternehmens, die zum Glück für dessen Umfang unzureichend, aber ziemlich genau waren. Und so ließ die Polizei, wie Malin zu Grévin gesagt hatte, die überwachten Verschwörer frei handeln, um alle Verzweigungen des Komplotts aufzudecken. Immerhin war der Regierung durch Georges Cadoudal, der den Anschlag ausführen sollte, gewissermaßen die Hand gebunden, denn er folgte nur seinem eignen Rat und hielt sich mit fünfundzwanzig Chouans in Paris verborgen, um den Ersten Konsul anzufallen.

      In Laurences Denken verband sich Hass mit Liebe. Bonaparte vernichten und die Bourbonen zurückführen – hieß das nicht, Gondreville wiedererlangen und das Glück ihrer Vettern machen? Diese beiden Empfindungen, deren eine der Gegenpol der andern ist, reichen besonders mit dreiundzwanzig Jahren hin, um alle Fähigkeiten der Seele und alle Lebenskräfte zu entfalten. Und so erschien denn Laurence seit zwei Monaten den Bewohnern von Cinq-Cygne schöner denn je. Ihre Wangen waren rosig geworden; die Hoffnung gab ihrer Stirn bisweilen einen Anflug von Stolz. Wenn man dann aber abends die »Gazette« mit den konservativen Maßnahmen des Ersten Konsuls las, senkte sie die Augen, damit man in ihnen nicht die drohende Gewissheit vom baldigen Sturz dieses Feindes der Bourbonen las. Niemand im Schloss ahnte also, dass die junge Gräfin ihre beiden Vettern in der letzten Nacht wiedergesehen hatte. Die beiden Söhne des Ehepaars Hauteserre hatten die Nacht im Zimmer der Gräfin verbracht, unter dem gleichen Dache wie ihre Eltern; denn um keinen Verdacht zu erregen, war Laurence, nachdem sie die beiden Hauteserres zur Ruhe gebracht hatte, zwischen ein und zwei Uhr morgens zum Stelldichein mit ihren Vettern gegangen und hatte sie mitten in den Wald geführt, wo sie sie in der verlassenen Hütte eines Forsthüters untergebracht hatte. Da sie des Wiedersehens gewiss war, zeigte sie nicht die geringste Freude, nichts, was die Erregung der Erwartung verriet; selbst die Spuren der Freude über dies Wiedersehen hatte sie verwischt und war völlig kalt. Die hübsche Katharina, die Tochter ihrer Amme, und Gotthard, die beide ins Geheimnis gezogen waren, passten ihr Benehmen dem ihrer Herrin an. Katharina war neunzehn Jahre alt. In diesem Alter ist ein junges Mädchen so fanatisch wie Gotthard in dem seinen und lässt sich den Hals abschneiden, ohne ein Wort zu sagen. Gotthard aber hätte, wenn er nur das Parfüm roch, das seine Herrin in ihr Haar und an ihre Kleider tat, die Folter ertragen, ohne ein Wort zu sagen.

      In dem Augenblick, als Martha, von der drohenden Gefahr benachrichtigt, rasch wie ein Schatten auf die von Michu bezeichnete Bresche zueilte, sah es im Salon des Schlosses Cinq-Cygne höchst friedlich aus. Seine Bewohner ahnten so wenig, welcher Sturm über sie daherbrausen sollte, dass ihr Benehmen das Mitleid des ersten besten erregt hätte, der ihre Lage gekannt hätte. In dem hohen Kamin, der mit einem Wandspiegel geschmückt war, über dessen Scheibe Schäferinnen im Reifrock tanzten, brannte ein Feuer, wie es nur in Schlössern möglich ist, die am Waldrande liegen. An diesem Kamin lag die junge Gräfin in einem großen Lehnstuhl aus vergoldetem Holze, der mit wunderbarer grüner Seide gepolstert war, in der Haltung völliger Erschöpfung hingestreckt. Sie war erst um sechs Uhr von der Grenze von Brie zurückgekehrt, nachdem sie dem kleinen Trupp als Kundschafterin vorausgeritten war, um die vier Edelleute richtig nach dem Obdach zu bugsieren, wo sie ihre letzte Rast vor dem Einzug in Paris halten sollten, hatte Herrn und Frau von Hauteserre gegen Ende ihres Nachtessens überrascht und, vom Hunger getrieben, sich zu Tisch gesetzt, ohne ihr schmutzbespritztes Reitkleid und ihre Stiefel auszuziehen. Statt sich nach der Mahlzeit auszukleiden, hatte sie, von all ihren Anstrengungen überwältigt, ihren schönen entblößten Kopf mit seinen tausend blonden Locken in die Lehne des riesigen Fauteuils sinken lassen und die Füße vor sich auf ein Taburett gelegt. Das Feuer trocknete die Spritzflecken ihres Reitkleides und ihrer Stiefel. Ihre Wildlederhandschuhe, ihr kleiner Biberhut, ihr grüner Schleier und ihre Reitpeitsche lagen auf der Konsole, auf die sie sie geworfen. Sie blickte bald auf die alte Boulle-Uhr, die auf dem Kaminsims zwischen

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