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mehr und ißt nicht mehr, sondern tut nur noch, wie wenn er kaute. Er bedauert, daß er eine andere Einladung abgelehnt hat, um bei dem fürchterlichen Kardinal zu Tische zu gehen, und sehnt seufzend den Augenblick herbei, wo das Fest zu Ende sein wird und er vom Tische aufstehen kann.

      Was folgt nun aus diesen Betrachtungen über die weibliche Tugend? Fünf Grundsätze, von denen uns aber die beiden letzten von einem eklektischen Philosophen des achtzehnten Jahrhunderts überliefert sind. Hier sind sie:

      XVIII. Eine tugendhafte Frau hat im Herzen eine Fiber mehr oder weniger als die übrigen Frauen: sie ist dumm oder erhaben.

      XIX. Die Tugend der Frauen ist vielleicht eine Frage des Temperaments.

      XX. Die tugendhaftesten Frauen haben in sich ein gewisses Etwas, das niemals keusch ist.

      XXI. Daß ein geistvoller Mann Zweifel an seiner Geliebten hegt, das läßt sich begreifen; aber an seiner Frau ...! da muß man gar zu dumm sein.

      XXII. Die Männer wären zu unglücklich, wenn sie bei den Frauen auch nur im leisesten sich dessen erinnerten, was sie auswendig wissen.

      Die Zahl der seltenen Frauen, die wie die Jungfrauen des Gleichnisses das Öl ihrer Lampe zu sparen wußten, wird in den Augen der Verteidiger von Tugend und redlichem Gefühl stets zu schwach sein. Aber noch obendrein müssen wir sie von der Gesamtzahl der anständigen Frauen abziehen, und diese an und für sich trostreiche Subtraktion macht die Gefahr für die Ehemänner noch größer, das Ärgernis noch häßlicher, und befleckt um so mehr die Ehre der übrigen legitimen Ehefrauen.

      Welcher Ehemann wird jetzt noch ruhig an der Seite seiner jungen hübschen Frau schlafen können, wenn er vernimmt, daß mindestens drei Junggesellen auf der Lauer liegen? Wenn sie auf seiner kleinen Besitzung auch noch keinen Schaden angerichtet haben, so betrachten sie doch die Verheiratete als eine Beute, die ihnen von Rechts wegen zukommt und die ihnen früher oder später auch zufallen wird, entweder durch List oder durch Gewalt, die sie mit dem Rechte des Eroberers oder mit freier Zustimmung erlangen werden. Und es kann nicht anders sein, als daß sie eines Tages siegreich aus diesem Kampf hervorgehen.

      Furchtbare Schlußfolgerung!

      Nun werden uns vielleicht Moralhelden, die Lobpreiser der guten alten Zeit, beschuldigen, wir brächten gar zu trostlose Berechnungen vor: sie werden sich zu Verteidigern entweder der anständigen Frauen oder der Junggesellen aufwerfen wollen; aber für diese Herren haben wir uns eine letzte Beobachtung aufgespart:

      Vermehrt nach Belieben die Zahl der anständigen Frauen und vermindert die Zahl der Junggesellen – stets werdet ihr das Ergebnis erhalten, daß es mehr galante Abenteuer als anständige Frauen gibt; stets werdet ihr eine ungeheure Menge von Junggesellen finden, die durch unsere Sitten sich darauf angewiesen sehen, zwischen drei Arten von Verbrechen zu wählen:

      Wenn sie keusch bleiben, wird infolge der schmerzhaftesten Aufregungen ihre Gesundheit Schaden nehmen; sie werden die erhabensten Absichten der Natur vereiteln und werden in die Schweizer Berge reisen, um dort Milch zu trinken und an der Schwindsucht zu sterben.

      Wenn sie ihren berechtigten Versuchungen unterliegen, werden sie entweder anständige Frauen kompromittieren – und dann sind wir ja wieder bei dem Thema unseres Buches angelangt – oder sie werden sich durch den abscheulichen Umgang mit jenen fünfhunderttausend Frauen entwürdigen, von denen wir im letzten Absatz der ersten Betrachtung sprachen – und wie groß sind nicht auch in diesem letztern Fall die Aussichten, daß sie Milch trinken und in der Schweiz sterben müssen!

      Ist es euch denn niemals wie uns aufgefallen, daß die Einrichtung unserer Gesellschaftsordnung an einem bösen Fehler leidet, dessen nähere Betrachtung als moralischer Beweis unserer letzten Berechnungen dienen wird?

      Das Durchschnittsalter, in dem der Mann sich verheiratet, beträgt dreißig Jahre; das Durchschnittsalter, in dem seine Leidenschaften, seine heftigsten Begierden nach Schöpferfreuden sich entwickeln, ist das zwanzigste Lebensjahr. Während der zehn schönsten Jahre seines Lebens, während der Periode voller Saft und Kraft, in der seine Schönheit, seine Jugend und sein Geist ihn für die Ehemänner bedrohlicher machen, als zu jeder andern Zeit seines Daseins – während all dieser Jahre gibt es für ihn kein Mittel, das unwiderstehliche Liebesbedürfnis, das, sein ganzes Wesen erschüttert, auf gesetzmäßige Weise zu befriedigen. Da dieser Zeitraum ein Sechstel des menschlichen Lebens ausmacht, so müssen wir zugeben, daß mindestens ein Sechstel von der Gesamtzahl unserer Männer, und zwar gerade das kräftigste Sechstel, sich beständig in einer Lage befindet, die ebenso beschwerlich für sie, wie gefährlich für die Gesellschaft ist.

      »Warum verheiratet man sie denn nicht?« ruft vielleicht eine Betschwester.

      Aber welcher vernünftige Vater möchte seinen Sohn mit zwanzig Jahren verheiraten?

      Kennt man denn nicht die Gefahr dieser allzu frühen Ehen? Allem Anschein nach muß die Ehe mit den natürlichen Gewohnheiten bedeutend im Widerspruch stehen, denn sie verlangt eine ganz besondere Reife der Vernunft. Allgemein bekannt ist ja Rousseaus Wort: »Eine gewisse Zeit der Ausschweifung ist stets notwendig – entweder vor der Ehe oder in der Ehe. Wir haben in uns einen schlechten Gärungsstoff, der früher oder später doch zu wirken beginnt.«

      Welche Familienmutter würde das Glück ihrer Tochter den Zufällen dieser Gärung aussetzen, wenn sie nicht vor der Ehe stattgefunden hat?

      Wozu brauchen wir übrigens eine Tatsache zu rechtfertigen, die in allen Gesellschaften besteht, ohne daß diese daran zugrunde gehen? Gibt es nicht in allen Ländern, wie wir nachgewiesen haben, eine ungeheure Anzahl von Männern, die auf die ehrenwerteste Art von der Welt ohne Zölibat und ohne Ehe fertig werden?

      »Können denn nicht diese Männer« – wird wieder die Betschwester fragen – »Enthaltsamkeit üben wie die Priester?«

      Zugegeben, meine Gnädige.

      Indessen müssen wir darauf aufmerksam machen, daß das Keuschheitsgelübde eine der stärksten der von der Gesellschaftsordnung notwendig gemachten Ausnahmen vom Naturzustande ist; daß die Enthaltsamkeit der schwierige Punkt im Beruf des Priesters ist; daß dieser keusch sein muß, wie der Arzt unempfindlich ist gegen die körperlichen Leiden; wie der Notar und der Advokat unempfindlich sind gegen Armut und Elend, die vor ihnen ihre Wunden enthüllen; wie der Soldat unempfindlich ist gegen den Tod, der ihn auf einem Schlachtfeld umgibt. Wenn die Bedürfnisse der Kultur gewisse Fibern des Herzens verknöchern und gewisse Membranen der Denkkraft verhärten – so dürfen wir daraus nicht schließen, daß alle Menschen verpflichtet sind, in solcher Weise ihre Seele zum Teil absterben zu lassen. Das hieße das Menschengeschlecht zu einem abscheulichen moralischen Selbstmord treiben!

      Aber es erscheine nur im jansenistisch-sittenstrengsten Salon, den es überhaupt gibt, ein achtundzwanzigjähriger junger Mann, der aufs sorgsamste sein Unschuldskleid bewahrt hat und so jungfräulich ist wie jene Auerhähne, an denen die Feinschmecker ihr Entzücken haben – seht ihr nicht die Szene vor euch, wie die herbste tugendhafte Frau irgendein recht bitteres Kompliment über seinen Mut an ihn richtet, wie der strengste Beamte, der jemals auf dem Richterstuhl saß, lächelnd den Kopf schüttelt, wie alle Damen ihre Köpfe verstecken, damit er nicht ihr Lachen höre? Und kaum verläßt das unglaublich heldenmütige Opferlamm den Salon, welch eine Sintflut von Witzen regnet da auf sein unschuldiges Haupt hernieder! Wie viel Beleidigungen! Gibt es in Frankreich etwas Schimpflicheres als Impotenz, Kälte, völlige Leidenschaftslosigkeit, Trottelhaftigkeit?

      Der einzige König von Frankreich, der nicht einen solchen Tropf laut ausgelacht hätte, wäre vielleicht Ludwig XIII.: sein forscher Vater dagegen hätte vielleicht ein solches Bürschchen verbannt, indem er entweder ihn beschuldigt, kein Franzose zu sein, oder geglaubt hätte, er könnte ein gefährliches Beispiel abgeben.

      Seltsamer Widerspruch! Ein junger Mensch wird gleichermaßen getadelt, wenn er sein Leben ›im heiligen Lande‹ verbringt, um uns eines landläufigen Ausdrucks des Junggesellenlebens zu bedienen. Sollten vielleicht zum Besten der anständigen Frauen die Polizeipräfekten und Bürgermeister aller Zeiten angeordnet haben, daß die im Dienste der Öffentlichkeit stehenden Leidenschaften erst mit Dunkelwerden zu beginnen und um elf Uhr abends aufzuhören

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