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Physiologie der Ehe. Оноре де Бальзак
Читать онлайн.Название Physiologie der Ehe
Год выпуска 0
isbn 9783955014742
Автор произведения Оноре де Бальзак
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Daß die Geistlichkeit im allgemeinen keusch ist.
Daß es Männer gibt, die ihrer Stellung wegen niemals in den glänzenden Kreis eintreten können, in dem sich die anständigen Frauen bewegen – die keinen Frack haben, oder schüchtern sind, oder denen der Kornak fehlt, um sie einzuführen.
Aber wir wollen einem jeden die Mühe überlassen, die Zahl dieser Ausnahmen nach seiner eigenen Erfahrung zu vermehren – denn der Zweck eines Buches ist vor allem, zum Denken anzuregen – und wollen mit einem Federzuge die Hälfte der Gesamtzahl streichen. Rechnen wir also nur eine Million Herzen, die würdig sind, den anständigen Frauen zu huldigen: dies ist so ziemlich die genaue Zahl unserer hervorragenden Persönlichkeiten auf allen Gebieten. Die Frauen lieben nicht nur geistreiche Männer; aber, noch einmal sei's gesagt, wir wollen der Tugend das Spiel nicht zu schwer machen.
Wenn wir nun einmal unsere liebenswürdigen Junggesellen anhören, da erzählt ein jeder von ihnen eine Menge Abenteuer, die ohne Ausnahme darauf hinauslaufen, daß durch sie die anständigen Frauen in bedenklicher Weise bloßgestellt werden. Wir sind recht bescheiden und zurückhaltend, wenn wir auf jeden Junggesellen nur drei solcher Abenteuer rechnen; aber wenn einige ihre Liebschaften dutzendweise berechnen, so gibt es soundso viele andere, die sich ihr ganzes Leben lang mit zwei oder drei Leidenschaften oder gar nur mit einer einzigen begnügt haben. Wir haben daher das in der Statistik übliche Verfahren uns zu eigen gemacht und verteilen die Gesamtzahl auf die einzelnen Köpfe. Wenn man nun die Zahl der Junggesellen mit der Zahl der Liebschaften multipliziert, so kommen drei Millionen solcher Abenteuer heraus; und um dieser Nachfrage zu genügen, haben wir nur vierhunderttausend anständige Frauen!
Wenn der gütige und nachsichtige Gott, der über den Welten schwebt, nicht eine zweite Generalwäsche des Menschengeschlechts veranstaltet, so ist ohne Zweifel der Grund der, daß die erste so geringen Erfolg gehabt hat.
Da haben wir also ein Volk untersucht! Da haben wir eine Gesellschaft durch das Sieb gestrichen! Und da haben wir gesehen, was dabei herauskam!
XVI. Die Sitten sind die Heuchelei der Völker; die Heuchelei ist mehr oder weniger vollkommen.
XVII. Tugend ist vielleicht nur Höflichkeit der Seele.
Die physische Liebe ist ein Bedürfnis, das dem Hunger gleicht – mit dem Unterschiede jedoch, daß der Mensch immer ißt, daß aber in der Liebe sein Appetit nicht so ausdauernd und nicht so regelmäßig ist wie bei Tische.
Ein Stück Schwarzbrot und ein Krug Wasser stillen den Hunger eines jeden Menschen; aber unsere Zivilisation hat die Gastronomie geschaffen.
Die Liebe hat ihr Stück Brot, aber sie hat auch jene Kunst des Liebens, die wir Koketterie nennen – ein reizendes Wort, das nur in Frankreich existiert, wo diese Wissenschaft entstanden ist.
Nun, haben nicht alle Ehemänner einigen Anlaß zu zittern, wenn sie daran denken, daß der Mensch von Natur ein Bedürfnis hat, Abwechslung in seine Kost zu bringen? Dieses Bedürfnis geht ja so weit, daß die Forschungsreisenden auch in den wildesten Ländern geistige Getränke und Ragouts gefunden haben!
Aber der Hunger ist nicht so heftig wie die Liebe; aber die Launen der Seele sind viel zahlreicher, viel prickelnder, viel raffinierter in ihrer Heftigkeit als die Launen der Gastronomie; aber alles, was die Dichter und das Leben uns über die menschliche Liebe offenbart haben, bewaffnet unsere Junggesellen mit einer furchtbaren Macht: sie sind die Löwen des Evangeliums, die brüllend einhergehen und suchen, wen sie verschlingen.
Möge einmal ein jeder sein Gewissen prüfen, in seinen Erinnerungen nachsuchen und sich fragen, ob ihm jemals ein Mann begegnet ist, der sich mit der Liebe einer einzigen Frau begnügt hätte!
Wie sollen wir denn nun in einer Weise, daß die Ehre aller Beteiligten unangetastet bleibt, das Problem lösen, daß drei Millionen glühender Leidenschaften zu ihrer Sättigung nur vierhunderttausend Frauen finden? Will man vier Junggesellen auf jede Frau annehmen und die Rechnung aufstellen, daß die anständigen Frauen recht wohl instinktmäßig und unbewußt eine Art Turnus untereinander und unter den Junggesellen eingerichtet haben könnten, etwa in derselben Art wie die Gerichtspräsidenten, die ihre Räte alle nacheinander immer nach einer Anzahl von Jahren von einer Abteilung zur andern versetzen?
Das wäre eine traurige Art, die Schwierigkeit zu lösen!
Will man gar annehmen, daß bei der Verteilung der Junggesellen gewisse anständige Frauen es machen wie der Löwe der Fabel? Wie? Dann wären zum mindesten die Hälfte unserer Altäre übertünchte Gräber!
Will man zur Ehre der französischen Damen mit in Anschlag bringen, daß in Friedenszeiten die andern Länder, besonders England, Deutschland und Rußland, eine gewisse Anzahl ihrer anständigen Frauen in unser Land einführen? Da werden aber die europäischen Nationen behaupten, das gleiche sich wieder aus, indem Frankreich eine gewisse Anzahl hübscher Frauen ausführe.
Derartige Berechnungen sind so schmerzhaft für Moral und Religion, daß ein anständiger Mann, von dem Wunsche beseelt, die verheirateten Frauen unschuldig zu finden, recht gerne glauben möchte, daß die Witwen und jungen Mädchen an dieser allgemeinen Verderbnis zur Hälfte beteiligt seien; oder noch lieber: daß die Junggesellen lögen. Aber was plagen wir uns lange mit Rechnungen? Denkt nur an unsere Ehemänner, die, zur Schande unserer Sitten sei's gesagt, sich fast alle wie Junggesellen aufführen und untereinander sich mit ihren geheimen Abenteuern brüsten.
Oh, dann glauben wir also, daß jeder Verheiratete, wenn er ein bißchen auf die Ehre seiner Frau hält, sich nur einfach nach einem Strick und einem Nagel umsehen kann: ›Foenum habet in cornu!‹
Unter diesen vierhunderttausend anständigen Frauen müssen wir jedoch, die Laterne in der Hand, die Zahl der tugendhaften Frauen suchen, die es in Frankreich gibt! In unserer Ehestatistik haben wir nur Geschöpfe abgestrichen, um die die Gesellschaft sich tatsächlich nicht bekümmert. Stimmt es nicht, daß in Frankreich die ›anständigen Leute‹, die ›feinen Leute‹ kaum eine Gesamtzahl von drei Millionen Individuen ausmachen, nämlich: unsere Million Junggesellen, fünfhunderttausend anständige Frauen, fünfhunderttausend Ehemänner und eine Million Witwen, Kinder und Backfische?
Wundert ihr euch jetzt noch über Boileaus berühmten Vers? Dieser Vers beweist, daß der Dichter in die mathematischen Berechnungen, die wir soeben in diesen betrübenden Untersuchungen den Augen unserer Leser unterbreitet haben, tief eingedrungen war, und daß er nicht übertrieben hat.
Indessen – es gibt doch tugendhafte Frauen:
Ja – diejenigen, die niemals in Versuchung geraten sind, und diejenigen, die in ihrem ersten Kindbett sterben, vorausgesetzt, daß sie Jungfrauen waren, als ihre Gatten sie heimführten.
Ja – diejenigen, die häßlich sind wie die Kaïfakatadary aus ›Tausendundeine Nacht‹; ja – diejenigen, die Mirabeau ›Gurkenfeen‹ nennt, und die genau aus denselben Atomen bestehen wie die Wurzeln der Erdbeere und der Seerose; indessen – darauf wollen wir uns lieber nicht verlassen.
Dann wollen wir zur Ehre des Jahrhunderts gestehen, daß man seit der Wiederaufrichtung der Moral und Religion in gegenwärtiger Zeit hier und da einigen Frauen begegnet, die so moralisch sind, so religiös, so pflichteifrig, so redlich, so abgezirkelt in ihrem Benehmen, so steif, so tugendhaft, so .... daß der Teufel sie nicht einmal anzusehen wagt; sie sind auf allen Seiten schützend umgeben von Rosenkränzen, Gebetsübungen und Beichtvätern ... pst!
Wir wollen nicht versuchen, die Frauen zu zählen, die aus Dummheit tugendhaft sind; es ist allgemein anerkannt, daß in der Liebe alle Frauen Geist haben.
Schließlich wäre es jedoch nicht unmöglich, daß es in irgendeinem Winkel junge, hübsche und tugendhafte Frauen gäbe, von denen die Welt keine Ahnung hat.
Eine tugendhafte Frau dürft ihr aber nicht die nennen, die gegen eine unwillkürliche Leidenschaft ankämpft und einem Liebhaber, den sie zu ihrer Verzweiflung vergöttern muß, nichts bewilligt hat. Dies ist der blutigste Schimpf, der einem verliebten Ehegatten angetan werden kann. Was bleibt ihm von seiner Frau? Ein namenloses