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es. Ein Wahnsinn fraß sich in das Heer ein, und es wandte sich gegen seine Offiziere. Das war das erste Unheil; aber es wäre nicht hoffnungslos gewesen, hätten sie dann die Hände still gehalten. Aber sie verfielen darauf, die Weiber und die Kinder der Sahibs zu töten, und da kamen die Sahibs von jenseits des Meeres und zogen sie zur strengsten Rechenschaft.«

      »Irgend so ein Gerücht drang zu mir einst, vor langer Zeit. Sie nannten das Jahr das schwarze Jahr, wie ich mich entsinne.«

      »Welche Art von Leben hast Du geführt, um das Jahr nicht zu kennen? Ein Gerücht – in der Tat! Die ganze Erde wußte es und zitterte.«

      »Unsere Erde bebte nur einmal – an dem Tage, als der höchst Vortreffliche Erleuchtung empfing.«

      »Ach was! Delhi wenigstens sah ich zittern, und Delhi ist der Nabel der ganzen Welt.«

      »So wandten sie sich gegen Frauen und Kinder? Das war eine schlechte Tat, für welche sie der Strafe nicht entgehen konnten.«

      »Viele versuchten es wohl, aber mit sehr wenig Nutzen. Ich war damals in einem Kavallerie-Regiment. Es wurde vernichtet. Von 680 Säbeln blieben – wie viele denkt Ihr wohl? drei übrig, ihr Salz zu essen, und davon war ich einer.«

      »Um so größer das Verdienst.«

      »Verdienst! Wir betrachteten es nicht als Verdienst in jenen Tagen. Mein Volk, meine Freunde, meine Brüder fielen von mir ab. Sie fügten: »Die Zeit der Englischen ist erfüllt. Laßt jeden von uns eine kleine Habe für sich heraus schlagen.« Aber ich hatte mit den Männern von Sobraon, von Chillianwallah, von Moodkee und von Ferozeshah geredet. Ich sagte: »Wartet ein wenig, der Wind wird sich drehen. Bei diesem Werk ist kein Segen.« In jenen Tagen ritt ich siebzig Meilen mit einer englischen Mem-Sahib und ihrem Kindchen auf meinem Sattelsitz. Oh, Wunder! War das ein Pferd! Ich brachte sie in Sicherheit und zurück kam ich zu meinem Offizier – dem einen, der nicht getötet war von unsern Fünfen. »Gib mir Arbeit,« sprach ich, »denn ich bin von meiner eigenen Sippe ausgestoßen und das Blut meiner Vettern ist naß auf meinem Degen.« »Sei beruhigt,« sagte er. »Viel Arbeit liegt vor. Wenn dieser Wahnsinn vorüber ist, wartet die Belohnung.«

      »Aye! Eine Belohnung wartet, wenn der Wahnsinn vorüber, in Wahrheit!« murmelte der Lama halb zu sich selbst.

      »In jenen Tagen behingen sie nicht jeden, der zufällig eine Kanone donnern gehört, mit Medaillen. Nein! In neunzehn regelrechten Schlachten war ich: in sechsundvierzig Reiter-Scharmützeln und in kleinen Plänkeleien ohne Zahl. Neun Wunden trage ich: eine Medaille und vier Spangen und das Zeichen eines Ordens; denn meine Kapitäne, die jetzt Generäle sind, erinnerten sich meiner, als die Kaiseri-Hind (Kaiserin von Indien) fünfzig Regierungs-Jahre vollendet hatte und das ganze Land froh war. Sie sprachen: »Gebt ihm den Orden von Britisch Indien.« Ich trage ihn nun an meinem Hals. Ich habe auch mein Iaghir (Besitz) von der Hand des Staates – eine freie Gabe an mich und die Meinen. Die Männer aus der alten Zeit – sie sind nun Kommissäre – kommen hoch zu Pferde über die Felder zu mir geritten, so daß das ganze Dorf es sieht, und wir reden von unsern alten Scharmützeln und der Name von einem toten Mann bringt uns auf den andern.«

      »Und dann?« sagte der Lama.

      »Oh, nachher gehen sie fort, aber nicht ehe das ganze Dorf sie gesehen hat.«

      »Und am Ende – was wirst Du tun?«

      »Am Ende werde ich sterben.«

      »Und dann?«

      »Laß die Götter das einrichten. Ich habe sie nie mit Gebeten gequält; ich denke, sie werden mich auch nicht quälen. Sieh! Ich habe in meinem langen Leben gemerkt, daß alle, welche die da oben ewig mit Klagen und Rapporten und Brüllen und Heulen belästigen, ganz plötzlich und in Eile abberufen werden, gerade so wie unser Oberst die lockerzungigen Bauernburschen vom niedern Land, die zu viel schwatzten, wegholen ließ. Nein, ich habe die Götter nie belästigt. Sie werden das bedenken und mir einen ruhigen Platz geben, wo ich mich in den Schatten meiner Lanze werfen und warten kann, bis ich meine Söhne bewillkommene – ich habe nicht weniger als drei, Ressaldar-Majore alle – bei den Regimentern.« (Risaldar, eingeborener Befehlshaber eines Risala.)

      »Und diese ebenfalls, gebunden an das Rad, gehen von Leben zu Leben – von Verzweiflung zu Verzweiflung,« murmelte der Lama leise, »heiß, hastig, ruhelos.«

      »Ei ja!« Der alte Soldat kicherte. »Drei Ressaldar-Majore in drei Regimentern. Spieler ein bißchen – aber das bin ich auch. Sie müssen gut beritten sein; und man kann die Pferde nicht nehmen, wie man in alten Tagen die Weiber nahm. Nun, nun, mein Besitz kann für alles zahlen. Siehst Du, es ist ein wohlbewässerter Landstreifen, aber meine Leute betrügen mich. Ich versteh’ mich auf nichts anderes als mit der Lanzenspitze Forderungen einzutreiben, ich werde zornig und ich verwünsche sie, und sie heucheln Reue; aber hinter meinem Rücken, ich weiß es, nennen sie mich einen zahnlosen, alten Affen.«

      »Hast Du niemals etwas anderes begehrt?«

      »Ja – ja – tausend Mal. Einen strammen Rücken, ein fest durchgedrücktes Knie, flinke Hand und scharfes Auge noch einmal – und das Mark, das den Mann macht. O, die alten Tage – die guten Tage meiner Stärke!«

      »Stärke ist Schwäche.«

      »Dazu ist sie geworden; aber fünfzig Jahre früher hätte ich mich anders zeigen können,« grollte der alte Soldat, dem Pony seine Spornspitze in die magere Flanke treibend.

      »Aber ich weiß einen Strom von großer Heilkraft.«

      »Gunga-Wasser habe ich getrunken fast bis zur Wassersucht. Alles was ich davon hatte, war eine Diarrhoe, aber kein bißchen Stärke.«

      »Es ist nicht Gunga. Der Fluß, den ich weiß, wäscht jeden Flecken von Sünde ab. Ersteigt man das jenseitige Ufer, ist man der Befreiung gewiß. Ich kenne Dein Leben nicht, Dein Antlitz aber ist das Antlitz der Ehrbaren und Gefälligen. Du hast an Deinem Wege festgehalten. Du hast Treue erwiesen, als es schwer war sie zu erfüllen, in dem schwarzen Jahr, aus welchem ich mich nun auch anderer Erzählungen entsinne. Betritt jetzt den Mittleren Pfad, der der Pfad zur Befreiung ist. Höre das höchst Vortreffliche Gesetz und folge nicht mehr Träumen nach.«

      »Rede denn, alter Mann,« der Soldat lächelte, halb salutierend, »in unserem Alter sind wir alle Schwätzer.«

      Der Lama kauerte nieder im Schutze eines Mangobaumes, dessen Schatten schachbrettartig über sein Gesicht spielten: der Soldat saß steif auf seinem Pony, und Kim, nachdem er sich versichert hatte, daß keine Schlangen da waren, legte sich in den gabelförmigen Einschnitt der Wurzelwindung.

      Ringsumher einschläferndes Summen von kleinen Lebewesen im heißen Sonnenschein, ein Girren von Tauben, ein schläfriges Knarren von Wassertreträdern auf den Feldern. Der Lama begann, langsam und eindrucksvoll. Nach zehn Minuten glitt der alte Soldat von seinem Pony, um, wie er sagte, besser zu hören, setzte sich und wickelte die Zügel um sein Handgelenk. Des Lamas Stimme ward unsicher, die Pausen wurden länger. Kim beobachtete ein graues Eichhörnchen. Als das kleine, buschige Bündelchen Pelzwerk, dicht an einen Zweig gepreßt, nicht mehr sichtbar war, waren Prediger und Auditorium fest eingeschlafen, des allen Soldaten scharf geschnittener Kopf auf seinen Arm gebettet, der des Lama an den Baumstamm gelehnt, wo er sich abhob wie gelbes Elfenbein. Ein nacktes Kind trippelte herbei, stierte alle an und machte in einem plötzlichen Impuls von Ehrfurcht eine feierliche, kleine Verbeugung vor dem Lama – nur war das Kind so Kurz und fett, daß es seitwärts umpurzelte, und die zappelnden, plumpen Beinchen machten Kim laut lachen. Das Kind, erschrocken und zornig, schrie gellend.

      »Ho! Ho!« rief der Soldat, auf seine Füße springend, »was ist los? Welche Ordres? … Es ist … ein Kind! Ich träumte, es wäre Alarm. Kleines – Kleines – schreie nicht. Habe ich geschlafen? Das war wirklich unhöflich!«

      »Ich fürchte mich! Ich fürchte mich!« brüllte das Kind.

      »Was ist da zu fürchten? Zwei alte Männer und ein Knabe? Wie willst Du jemals ein Soldat werden, Prinzchen?«

      Der Lama war ebenfalls erwacht, nahm aber keine besondere Notiz von dem Kinde, sondern Klapperte mit seinem Rosenkranz.

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