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Pony für den Marsch ebenfalls. Laß uns sehen – laß uns sehen«. Er trommelte auf den Sattelknopf.

      »Dies ist kein Ort um Berechnungen anzustellen, Vater. Laß uns nach Deinem Hause gehen.«

      »Bezahl’ den Knaben wenigstens zuvor; ich habe kein Kupfergeld bei mir, und er brachte günstige Nachricht. Ho! Freund der ganzen Welt, ein Krieg steht bevor, wie Du gesagt hast.«

      »Nein, wie ich weiß, der Krieg,« erwiderte Kim fest.

      »Eh?« machte der Lama, seine Perlen fingernd, begierig weiter zu gehen.

      »Mein Meister befragt die Sterne nicht um Lohnes willen. Wir brachten die Nachricht – merkt wohl – wir brachten die Nachricht, und wir gehen nun.« Kim drehte an seiner Seite die Hand halb um.

      Der Sohn schleuderte eine Silbermünze durch das Sonnenlicht, etwas von Bettlern und Gauklern brummend. Es war ein Vierannastück, genügend, sie für einige Tage zu erhalten. Der Lama, den Schein des Metalles gewahrend, summte einen Segen.

      »Ziehe Deines Weges, Freund der ganzen Welt,« rief der alte Soldat, sein knochiges Reittier wendend. »Einmal in all meinen Tagen bin ich einem wahren Propheten begegnet – der nicht Soldat war.«

      Vater und Sohn schwenkten zusammen um; der alte Mann ebenso stramm aufrecht wie der junge.

      Ein punjabischer Konstabler in gelben Leinwandhosen schlenderte über den Weg. Er hatte das Geldstück fliegen sehen.

      »Halt!« rief er in nachdrücklichem Englisch, »wißt Ihr nicht, daß ein Takkus von zwei Annas für den Kopf erhoben wird für jeden, der die Straße von dieser Seite betritt? Es ist Sirkar-Befehl, und das Geld wird für das Pflanzen von Bäumen und für Verschönerung der Straße verwendet –.«

      »Und für den Bauch der Polizei,« rief Kim, aus Armesweite entschlüpfend. »Besinn Dich ein Weilchen, Dummkopf. Denkst Du, daß wir aus dem nächsten Sumpf kommen, wie der Frosch, Dein Schwiegervater? Hast Du jemals den Namen Deines Bruders gehört?«

      »Und wie hieß der? Laß den Knaben in Ruhe,« rief ungemein belustigt ein älterer Konstabler, als er in der Veranda niederhockte, seine Pfeife zu rauchen.

      »Der nahm die Etikette von einer Flasche Belaittee-Pani (Sodawasser), nagelte sie an eine Brücke, sammelte einen Monat lang Taxen von allen, die passierten und sagte, es wäre Sirkar-Befehl; dann kam ein Engländer, der schlug ihm den Kopf entzwei. He, Bruder, ich bin eine Stadtkrähe, keine Dorfkrähe.«

      Der Polizist zog sich verlegen zurück und Kim verspottete ihn, so lange er ihn sehen konnte.

      »Hat es jemals einen Schüler wie mich gegeben?« frug er lustig den Lama. »Nicht zehn Meilen von Lahore würde schon alle Welt Dir die Knochen im Leibe zerschlagen haben, wenn ich Dich nicht beschützt hätte.«

      »Zuweilen, in meinen innersten Gedanken, scheinst Du mir ein guter Geist zu sein und zuweilen ein böser Kobold,« sprach schwach lächelnd der Lama.

      »Ich bin Dein Chela.« Kim trat an seiner Seite in den angemessenen Schritt – der unbeschreiblichen Gangart der Wanderer, die große Landmärsche machen.

      »Nun laß uns wandern,« murmelte der Lama; und zu dem Klick, Klick des Rosenkranzes gingen sie schweigend Meile nach Meile, der Lama, wie gewöhnlich tief in Meditation, Kim mit weit offenen Augen. Dieser breite, heitere Strom von Leben gefiel ihm besser als das Gewühl und Gedränge in den Straßen von Lahore. Bei jedem Schritt neue Vorgänge und neue Gesichter – Kasten, ihm bekannt und Kasten, die er nie geahnt.

      Da begegnete ihnen ein Trupp langhaariger, scharf riechender Sansis, Körbe voll Eidechsen und andere unreine Nahrungsmittel auf dem Rücken magere Hunde an ihren Fersen schnüffelnd. Diese Leute blieben an der ihnen bestimmten Seite des Weges und bewegten sich scheu in raschem, leichtem Trott und alle Kasten gaben ihnen Raum, denn der Sansi ist unrein. Hinter ihnen im Schatten, noch im Nachgefühl seiner Fußeisen breit und steif ausschreitend, ein frisch aus dem Gefängnis Entlassener, der durch seinen dicken Bauch und glänzende Haut bewies, daß die Regierung ihre Gefangenen besser füttert, als viele ehrliche Leute sich selber zu füttern vermögen. Kim kannte den Schritt wohl und spottete darüber. Dann Kam ein Ukali, ein wildhaariger, wildäugiger, frommer Sickh, in der blau gewürfelten Gewandung seines Glaubens, mit glitzernden, polierten Stahlscheiben an der Spitze seines hohen blauen Turbans, der von dem Besuch eines der unabhängigen Sickh-Staaten zurückkehrte, wo er den zur Ausbildung im Gymnasium befindlichen kleinen Prinzen in Stulpenstiefeln und weißbetreßten Hosen von dem alten Ruhm Khalsas gesungen Halle. Kim hütete sich wohl, diesen Mann zu erzürnen, denn des Ukalis Temperament ist hitzig und seine Hand flink. Hier und da begegneten sie oder wurden überholt von ganzen Dörfern bunt gekleideter Leute, die von einem nahen Jahrmarkt herkamen, die Frauen mit ihren Babys auf den Hüften, hinter den Männern gehend, die älteren Knaben mit Spazierstöcken von Zuckerrohr einherstolzierend, rohes, messingenes Spielzeug von Lokomotiven, wie man sie für ein Halbpennystück kauft, hinter sich herziehend oder mit billigen, winzigen Spiegelchen, die in der Sonne blitzten, die Augen ihrer Väter blendend. Man konnte sofort sehen, was jeder gekauft hatte und war man zweifelhaft, so brauchte man nur die Frauen zu beobachten, wie sie braunen Arm neben braunen Arm hielten, um die neu gekauften plumpen Glas-Armbänder, wie sie vom Nordwesten importiert werden, zu vergleichen. Diese lustigen Leute gingen langsam, standen unter Zurufen still, um mit Zuckerwerk Verkäufern zu handeln, oder um rasch ein Gebet zu verrichten vor einem Heiligengrab an der Wegseite – zuweilen ein Hindu-Grab, zuweilen ein mohammedanisches – welche die niedere Kaste beider Konfessionen mit wundervoller Unparteilichkeit behandelt. Eine dichte, blaue Linie, bald sich hebend, bald senkend, wie der Rücken einer rasch kriechenden Raupe, schwang sich durch den aufgewirbelten Staub und trottele unter einem Durcheinander von lebhaftem Geschwätz vorüber. Das war ein Trupp »Changars«-Weiber, die alle nördlichen Eisenbahndämme unter ihre Obhut nehmen – eine plattfüßige, hochbusige, starkgliedrige, blau berockte Sippschaft von Erdträgerinnen, die in Aussicht auf neue Arbeit nordwärts eilten und keine Zeit auf dem Weg verloren. Sie gehören zu der Kaste, deren Männer nicht mitzählen, und sie marschierten mit gespreizten Ellbogen, schaukelnden Hüften und hoch gehaltenen Köpfen, wie Frauen, die schwere Lasten tragen. Etwas später erschien mit Musik und Freudengeschrei, mit Geruch von Ringelblumen und Yasmin, stärker als selbst der Dunst des Standes, eine Heirats-Prozession auf der Großen Straße. Man sah die Sänfte der Braut, glitzernd von Flittergold und Rot, durch den Dunst schwanken, indes des Bräutigams bekränztes Pony sich seitwärts drehte, um ein Maulvoll von einem vorbeifahrenden Futterkarren wegzuschnappen. Kim stimmte ein in den andauernden Lärm von guten Wünschen und schlechten Scherzen, dem Paare hundert Söhne und keine Tochter wünschend, wie der Brauch ist. Noch aufgeregter und mit noch mehr Geschrei begrüßt wurde ein strolchender Gaukler mit einigen halbgezähmten Affen und einem keuchenden, schwachen Bären, oder ein Weib, das, Ziegenhörner an die Füße gebunden, auf einem schlaffen Seil tanzte, die Pferde scheuen und die Frauen vor Staunen in lang gezogenes, vibrierendes Geschrei ausbrechen ließ.

      Der Lama blickte nicht auf. Er beachtete nicht den Wucherer, der auf kurzschwänzigem Pony dahin eilte, unmenschliche Zinsen einzutreiben, nicht das Häuflein tiefstimmiger, lärmender, eingeborener Soldaten, die auf Urlaub noch in militärischer Ordnung marschierten, sich freuten, der Gewehre und des Putzens ledig zu sein und den anständigsten Frauen die unanständigsten Worte zuriefen. Selbst den Verkäufer von Ganges-Wasser sah er nicht und Kim erwartete, daß er von dem kostbaren Stoff wenigstens eine Flasche kaufen würde. Er blickte ununterbrochen zu Boden und ebenso ununterbrochen wanderte er vorwärts, Stunde auf Stunde; seine Seele war anderswo beschäftigt. Kim aber war vor Freude im siebenten Himmel. An dieser Stelle war die Große Straße über einen Damm geführt, der sie gegen die Winterfluten von den Vorbergen schützen sollte, so daß man über dem Lande ging, wie auf einem stattlichen Korridor und rechts und links ganz Indien ausgebreitet zu Füßen sah. Es war prächtig, die verschiedenartig bespannten Getreide-und Baumwoll-Wagen schwerfällig über die Landstraßen sich bewegen zu sehen; das Knirschen der Achsen hörte man schon eine Meile entfernt, es kam näher und näher, bis unter Rufen und Schreien und bösen Worten sie den abschüssigen Abhang herauf klommen und dann mit einem plötzlichen Ruck auf der harten Hauptstraße anlangten, Fuhrmann auf Fuhrmann schimpfend. Nicht minder hübsch

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