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Schamlose Bettler!« schrie der Bauer, »macht daß Ihr fortkommt!«

      »Wir gehen,« sprach der Lama mit ruhiger Würde, »wir gehen von diesen ungesegneten Feldern.«

      »Heh,« sagte Kim, »wenn Deine Ernte das nächstemal mißrät, gib Deiner eigenen Zunge die Schuld.«

      Der Mann schlurfte unbehaglich in seinen Schuhen.

      »Das Land ist voll von Bettlern,« begann er halb entschuldigend.

      »Und woher weißt Du, daß wir betteln wollten, o Mali, unrechter Mensch?« fragte Kim scharf, den Namen brauchend, den ein Markthändler am wenigsten hören mag. Alles was wir hier wollten, war, den Fluß, der hinter dem Felde dort fließt, in der Nähe anzusehen.«

      »Der Fluß? Nanu!« knurrte der Mann. »Aus welcher Stadt seid Ihr gebürtig, daß Ihr einen Kanal-Schnitt nicht kennt? Er fließt so gerade wie ein Pfeil, und ich zahle für das Wasser, als ob es geschmolzenes Silber wäre. Weiter hin ist ein kleines Flüßchen. Aber, wenn Ihr Wasser trinken wollt, kann ich Euch das geben – auch Milch.«

      »Nein, wir wollen zu dem Fluß gehen,« sagte der Lama ausschreitend.

      »Milch und ein Mahl,« stotterte der Mann, die fremdartige, hohe Gestalt musternd. »Ich – möchte mir selbst und – meinen Feldern nichts Übles zuziehen; aber es gibt so viele Bettler in diesen schlechten Zeiten.«

      »Beachte wohl,« wandte der Lama sich zu Kim, »durch den Roten Nebel des Zornes ward er verleitet, harte Worte zu sprechen – nun, da der von seinen Augen weicht, wird er höflich und zeigt ein freundliches Herz. Hüte Dich, o Bauer, die Menschen zu rasch zu beurteilen: mögen Deine Felder gesegnet sein!«

      »Ich bin Heiligen begegnet,« sprach Kim zu dem beschämten Mann, »die Dich vom Herdstein bis zum Kuhstall verflucht haben würden. Ist er nicht weise und heilig? Ich bin sein Schüler.«

      Kim streckte die Nase hochmütig in die Luft und schritt mit großer Würde durch die schmalen Feldwege.

      »Stolz,« sprach der Lama nach einer Pause, »Stolz gibt es nicht unter denen, die dem Mittleren Pfade folgen.«

      »Aber Du sagtest, er wäre unhöflich und von niederer Kaste.«

      »Von niederer Kaste sprach ich nicht, denn wie kann das sein, was nicht ist? Er entschuldigte sich nachher wegen seiner Unhöflichkeit, und ich vergaß die Beleidigung. Überdies, er ist, wie wir sind, gebunden auf das Rad der Dinge; aber er kennt den Weg der Befreiung nicht.« Er stand still bei einem kleinen Flüßlein zwischen den Feldern und betrachtete die von Hufen zertretenen Ufer.

      »Nun, wie willst Du Deinen Fluß erkennen?« fragte Kim, im Schatten hohen Zuckerrohrs kauernd.

      »Wenn ich ihn finde, wird mir sicher Erleuchtung kommen. Dies, ich fühle es, ist nicht der rechte Ort. O, kleinstes der Wässer, wenn Du mir nur sagen könntest, wo mein Strom fließt! Aber sei gesegnet, da Du die Felder fruchtbar machst!«

      »Sieh! Sieh!« Kim sprang zu ihm hin und zerrte ihn rückwärts. Ein gelb und brauner Streifen glitt aus dem purpurn schimmernden, raschelnden Gebüsch nach dem Ufer, streckte den Hals zum Wasser, trank und lag still – eine große Cobra, mit unbeweglichen, lidlosen Augen.

      »Ich habe keinen Stock – ich habe keinen Stock,« sagte Kim. »Ich will mir einen holen und ihr den Rücken zerbrechen.«

      »Warum? Sie ist auf dem Rade, wie wir es sind – ein aufwärts oder abwärts steigendes Leben – weit entfernt von der Befreiung. Große Sünde muß die Seele begangen haben, die in solche Gestalt gebannt ward.«

      »Ich hasse alle Schlangen,« sagte Kim. Selbst das Aufwachsen unter den Eingeborenen kann nicht des weißen Menschen Abscheu vor Schlangen bannen.

      »Lasse sie ihr Leben ausleben.« Das geringelte Ding zischte und öffnete die Haube halb. »Möge Deine Erlösung bald kommen, Bruder,« fuhr der Lama mit sanfter Stimme fort. »Hast Du zufällig Kenntnis von meinem Strom?«

      »Niemals sah ich einen Mann wie Du bist,« flüsterte Kim, überwältigt. »Verstehen die Schlangen selbst Deine Sprache?«

      »Wer weiß?« Er ging nur einen Fußbreit am erhobenen Kopf der Cobra vorbei, und diese vergrub sich schnell unter den staubigen Ringeln.

      »Komm Du!« rief er über seine Schulter.

      »Ich nicht,« antwortete Kim. »Ich gehe um sie herum.«

      »Komm. Sie tut Dir nichts.«

      Kim zögerte. Der Lama unterstützte seine Aufforderung durch ein kurz gesprochenes, chinesisches Zitat, das Kim für eine Zauberformel hielt. Er gehorchte, sprang über das Flüßchen, und die Schlange rührte sich nicht.

      »Niemals habe ich so einen Mann gesehen.« Kim trocknete den Schweiß von seiner Stirn. »Und nun, wohin gehen wir?«

      »Das mußt Du bestimmen. Ich bin alt und ein Fremdling – fern von meiner Heimat. Wenn nicht der Eisenbahnwagen mir den Kopf mit Teufelstrommeln füllte, würde ich darin jetzt nach Benares reisen … und doch könnten wir auf diese Art den Fluß übersehen. Laß uns einen andern Fluß suchen.«

      Wo das vielgenützte Erdreich drei-, selbst viermal im Jahre Ernten gibt – durch Strecken von Zuckerrohr, Tabak, von langen weißen Rettigen und Kolanuß, wanderten sie den ganzen Tag, jeden Schimmer von Wasser beachtend, die Dorfhunde und in der Mittaghitze schlafende Dörfer weckend. Der Lama antwortete auf die vielfachen Fragen mit unerschütterlicher Einfachheit: »sie suchten einen Fluß – einen Fluß von wunderbarer Heilkraft. Hatte irgend einer Kenntnis von so einem Strom?« Zuweilen lachten die Leute, öfter aber hörten sie die Geschichte bis zum Ende an und boten ihnen einen Platz im Schatten, einen Trunk Milch und ein Mahl. Die Frauen waren immer gütig und die Kinder, wie Kinder in der ganzen Welt sind, abwechselnd scheu und dreist. Der Abend fand sie in Ruhe unter dem Dorfbaum zwischen den lehmgedeckten und lehmwandigen Häuschen eines Weilers, mit dessen Dorfältesten sie sich unterhielten, während die Rinder von den Weideplätzen heimkehrten und die Frauen des Tages letzte Mahlzeit bereiteten. Den Bereich der Marktgärten rings um das vielverzehrende Umballa hatten sie passiert und befanden sich nun im meilenweiten grünen Stapelland des Getreides.

      Der weißbärtige freundliche Dorfälteste war gewohnt, Fremde aufzunehmen. Er brachte für den Lama eine aus Schnüren zusammengeknüpfte Bettstatt herbei, setzte ihm gekochtes warmes Essen vor und schickte, als die Abend-Zeremonie im Dorftempel beendet, nach dem Dorfpriester.

      Kim erzählte den älteren Kindern Geschichten von der Größe und Schönheit von Lahore, von Eisenbahnfahrten und dergleichen weltlichen Dingen, während die Männer mit einander redeten, langsam, wie ihr Rindvieh das Futter wiederkäute.

      »Ich kann es nicht begreifen«, sagte der Älteste zum Priester. »Wie deutest Du diese Rede?« Der Lama, nachdem er seine Geschichte erzählt, zählte schweigend seine Perlen.

      »Er ist ein Suchender. Das Land ist voll von solchen. Erinnere Dich an den, der erst im letzten Monat hier war – den Fakir mit der Schildkröte.«

      »Ei, der Mann hatte Grund und Recht, denn Krishna selbst erschien ihm in einer Vision und verhieß ihm das Paradies ohne den Scheiterhaufen, wenn er nach Prayag wanderte. Dieser Mann sucht keinen Gott, von dem ich Kenntnis habe.«

      »Schweige, er ist alt; er kommt aus weiter Ferne und ist geistesgestört,« erwiderte der glattgeschorene Priester. »Höre mich,« wandte er sich zum Lama, »drei Kos (sechs Meilen) westwärts läuft die große Straße nach Calcutta.«

      »Aber ich wollte nach Benares – nach Benares.«

      »Und nach Benares ebenfalls. Sie durchschneidet alle Ströme auf dieser Seite von Hind. Mein Rat, Heiliger, ist, ruhe hier bis morgen. Dann schlage den Weg ein (er meinte die große Haupt-Heer-Straße) und prüfe jeden Strom, über den er hinweg führt; denn wie ich Dich verstehe, beschränkt die Heilkraft des Stromes sich nicht auf einen kleinen Strich Wassers noch auf eine bestimmte Stelle, nein, sie erstreckt sich auf seine ganze Länge. Dann, sei versichert, wenn Deine Götter es wollen, wirst Du zu Deiner Befreiung gelangen.«

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